Vorstellung am 17.11.2019
Spätestens wenn eine Sängerin der Isolde mit einer Gänsehaut erregenden Emphase zu Beginn des zweiten Aktes Dass hell sie dorten leuchte intoniert, hat sie mein Herz gewonnen. Doch bei Annemarie Kremer musste man gestern am späten Nachmittag im Badischen Staatstheater gar nicht so lange warten. Bereits im ersten Akt begeisterte die Sängerin mit einer exemplarischen Reinheit der Gesangslinie, herrlich samtener Tiefe, warmer, expressiver Mittellage und mühelos erreichten Spitzentönen. Mit bewegender Intensität gestaltet Frau Kremer das Warten auf Tristan im zweiten Akt – und dann kommt er, dieser Gänsehaut-Moment, unterstützt vom Glanz des Orchesters. Spannend gestaltet sie die oft gestrichene Passage über den Tag , bevor sie zusammen mit dem Tristan von Stefan Vinke die Wunder der Liebe, das entrückt Sein in der Nacht besingt. Für den Liebestod schließlich, der in der Inszenierung von Christopher Alden keiner ist, steht Annemarie Kremer ganz alleine auf der Bühne, man kann sich voll und ganz auf die exquisite Schönheit ihrer Stimme konzentrieren, raumgreifend zwar, doch ohne jegliches Forcieren, wunderbar strömend, den todessehnsüchtigen Sog dieser Musik aufs Schönste evozierend. Nur schon die Steigerung bei immer lichter, wie er leuchtet sorgt für einen weiteren Gänsehaut-Moment. Sie selbst steigt als starke Frau, die sie in dieser Inszenierung ist zu In dem wogenden Schwall auf den Souffleurkasten und wir versinken in höchster Lust…
Das ganz große Glück dieser Wiederaufnahme war, dass Frau Kremer – siehe Bild rechts – einen mehr als ebenbürtigen Partner an ihrer Seite hatte: Stefan Vinke, der fast auf den Tag genau vor 25 Jahren hier am Badischen Staatstheater Karlsruhe mit einem Anfängervertrag seine Karriere startete, welche ihn über Mannheim – dort hörte ich ihn vor 15 Jahren als Tristan und war damals schon begeistert – und Leipzig an Opernhäuser rund um den Erdball bis zu den Bayreuther Festspielen führte, wo er noch letzten Sommer ebenfalls den Tristan sang. Die gestrige Vorstellung nun war eine Sternstunde, noch selten habe ich einen stimmlich präsenteren, unverkrampfteren Tristan erleben dürfen. Keine Drücker, kein Forcieren, seine Stimme strömt kraftvoll und überaus differenziert, im zweiten Akt mit dem langen Liebesduett schon beinahe liedhaft zart und mit wunderbar fein gesetzten, tragfähigen Piani! Auch darstellerisch überzeugt er als psychisch angeschlagener Held mit Alkohol- und Herzproblemen, für die nur die Wunderheilerin Isolde Erlösung bringt. Meisterhaft gestaltet Stefan Vinke den dritten Akt, in welchem Wagner dem Tenor lange, anstrengende Fieberphantasien in die Kehle schrieb. Doch bei Vinke klingen diese völlig unangestrengt, wunderbar leicht und sauber und doch voller Ausdrucksstärke in den kontrollierten Ausbrüchen.
Den beiden Protagonisten hat Wagner je eine Vertraute, einen Vertrauten zur Seite gestellt, wichtige und gewichtige Partien. Katharine Tier begeistert mit ihrer Darstellung der altjüngferlichen, bieder daherkommenden Brangäne, ein Mauerblümchen, das so gerne geliebt werden möchte – und sogar dem Kurwenal Avancen macht, erst vergeblich, doch am Ende des zweiten Aktes wird sie von Kurwenal gar geküsst. Frau Tier vermag auch stimmlich sehr zu überzeugen, ihre Habet acht!–Rufe und der lange gehaltene Ton auf Nacht erzeugen grandiose Wirkung. Sehr schön herausgearbeitet ist ihr zärtliches Verhältnis zu Isolde, eine tief gehende Frauenfreundschaft. Die parallele Männerfreundschaft zeigen der Tristan von Stefan Vinke und Seung-gi Jung als Kurwenal. Der Bariton verleiht der Rolle mit bewegendem Aplomb eine großartige Präsenz, es ist eine wahre Freude, ihm zuzuhören! Renatus Meszar singt den großen Monolg des Königs Marke mit anrührender Bassstimme, anklagend, verletzt, aber nicht weinerlich, den Schmerz des Verrats macht er ergreifend fühlbar, man leidet mit ihm. Kammersänger Klaus Schneider gibt einen passend spitz und scharf intonierenden Denunzianten Melot. Ganz besondere Erwähnung verdient Cameron Becker, welcher den jungen Seemann im ersten und den Hirten -hier ein Bewacher Tristans – im dritten Akt gibt. Welch eine wunderbar timbrierte, rein und makellos sauber intonierende Tenorstimme ist da zu erleben!
GMD Justin Brown hat sich für eine Fassung ohne Striche entschieden, zu Recht. Denn gerade die oft einem Strich zum Opfer fallende Passage vor O Sink hernieder, Nacht der Liebe ist nicht nur schön, sondern auch für das Tag-Nacht Gefüge der Komposition sehr aussagestark. Unter Justin Browns Leitung erklingt ein wunderbar zarter Wagner, soghaft strömend, zielgenau kulminierend an den entsprechenden Stellen, transparent und doch samten und weich im Gesamtklang. Die Badische Staatskapelle setzt dies an allen Pulten mit begeisternder Schönheit um.
Wer regelmäßig meine Texte liest, weiß, dass ich nicht der allergrößte Freund von Einheitsbühnenbildern mit Sitzlandschaften bin. Paul Steinberg nun hat für den Regisseur Christopher Alden ein solches entworfen: ein riesiger Raum mit weißen, kahlen Wänden auf der einen Seite geschlossen und gerundet, wie ein Schiffsbauch, auf der anderen Seite eine gigantische Fensterfront mit Galerie. Darin verteilt eine Menge flaschengrüner Sessel und Sofas im Bauhausstil von Le Corbusiers LC2. Mal mit Hüllen abgedeckt, mal nicht. Interessant – und deshalb stört mich die Bühne nicht – ist, wie der Regisseur, der Lichtdesigner Stefan Woinke – toll herausgearbeitet die Tag-Nacht Stimmungen mit dem Lichtschalter – und die als Movement director im Besetzungszettel geführte Elaine Brown diesen Einheitsraum bespielen. Und das hat durchaus etwas Bezwingendes, auch wenn stellenweise in diesem 1940er Ambiente eine gewisse Sterilität vorherrscht.
Aber man muss ja szenisch nicht immer noch die Emotionalität der Musik verstärken und verdoppeln. Sue Willmington hat die dazu passenden Kostüme entworfen, Anzüge für die Herren, strenger Sekretärinnen-Look für Brangäne -im zweiten Akt im Pyjama – etwas verspielter für Isolde. Hoch interessant ist die Personenführung gehalten, so spannend, dass man den unterkühlten Raum beinahe vergisst. Vor allem die Charakterzeichnungen von Brangäne, Isolde und Tristan sind fantastisch gelungen. Da hat sich der Regisseur Christopher Alden wirklich sehr gute, stimmige und sinnige Gedanken gemacht. Einen Coup stellt auch die Ankunft Markes im ersten Akt dar: Da Tristan und Isolde von der Liebestrank-Droge noch immer benebelt und in innigster Umarmung verharren, meint der König, Brangäne sei seine Zukünftige und überreicht ihr den Rosenstrauß. Die Rosen ziehen sich dann auch durch die beiden Folgeakte durch, im zweiten werden sie von Isolde auf dem schwarz spiegelnden Boden verteilt vor der Liebesnacht, im dritten tritt sie schon viel früher als vorgesehen in der Villa auf und streut die Rosen von der Galerie, während Tristan noch im Fieberwahn deliriert: Macht eigentlich gerade in dieser Inszenierung Sinn, da die beiden Liebenden ja von Anbeginn hier in König Markes Villa sind – am Ende werden sie einfach wegen des Verrats und Ehebruchs voneinander getrennt gehalten. Sehr gelungen auch der Einbezug des Plattenspielers, auf welchem für die Liebesnacht und die alte Weise des Hirten im dritten Akt Schellackplatten aufgelegt werden. Tristan zerbricht sie dann, wenn er die Ankunft Isoldes vermeint zu sehen.
Am Ende bleibt Isolde alleine auf der Bühne zurück. Die Leichen von Tristan und Kurwenal – von Melot erschossen – werden weggetragen, Marke schlüpft in Hut und Mantel und geht ebenfalls ab, Brangäne legt eine Pistole auf die Sessellehne und überlässt die Bühne der Isolde für den verklärten Schlussgesang. Wird sich Isolde mit der Waffe erschießen und so Tristan ins Reich der Nacht folgen? Der Regisseur lässt das Ende offen.
Fazit: Eine grandiose Vorstellung, die man sich gerne öfter ansehen und vor allem anhören möchte. Verdiente Beifallsstürme für alle!
Kaspar Sannemann, 18.11.2019
Fotos (c) Falk von Traubenberg