Krefeld: „Die Zauberflöte“

Premiere am 23.9.2018

Phantasievolle Projektion in die Sternenwelt

Trailer

Hochgeschätzte Opernfreunde, Kinder der Opernfreunde, Science-Fiction-Fans und Opernneueinsteiger: Bitte versucht unbedingt, eine Karte für diese wunderbare Inszenierung von Mozarts Zauberflöte zu ergattern – viele gibt es in dieser Theatersaison nicht mehr. Warum?

Fantasievoller, schöner, bildgewaltiger, humorvoller und spannender wurde ich noch nie bei einer Oper von wem auch immer unterhalten. Und ich sage das nach über 50 Jahren Opernerfahrung und auch als alter Filmkritiker. Das ist ein Meilenstein!

Was Kobie van Rensburg, der für Regie, Video, Bühnenbild und Kostüme verantwortlich zeichnet, hier inszeniert hat wird auch in Krefeld Theatergeschichte schreiben, wie einst der großartige Ring von John Dew in den Jahren 1980 bis 1984. Nach dem finalen Bild haben auch gestern die Premierenbesucher das Haus beinah abgerissen vor Jubel und Euphorie, wobei auch viele ältere Theaterbesucher – von denen ich es wirklich nicht erwartet hätte – in die Akklamationen mit und laustark einfielen. Nur ganz wenige gingen in der Pause. Solch einen Jubel habe ich zuletzt bei der Götterdämmerung am gleichen Haus 1984 erlebt. Das niederrheinische Publikum erkennt große Qualität und würdigt sie. Quod erat demonstrandum – mal wieder – bei der gestrigen Premiere. Großes ist zu vermelden…

Man muss nicht unbedingt 2001, Enterprise oder die herrlichen alten Star-Wars-Filme kennen, um sich köstlich zu amüsieren. Aber wer mit Obi-Wan Kenobi, R2-D2, C-3PO, Jabba, Mr. Spock, den putzigen Ewoks, Darth Maul oder Darth Vader etwas anfangen kann, der wird dieses grandiose Sammelsurium der Zauberflöten-Sternenwelt in all seinen ausziselierten, köstlichen Feinheiten erst richtig genießen können. Hier hat jemand jahrelang gearbeitet. Auch die Kostüme und Masken sind außerirdisch gelungen. Irgendwie fehlte mir am Anfang, wenn der oben zitierte Einführungstext über das Sternenuniversum sich ausrollt, noch die Widmung an den großen Regisseur George Lukas, der das ganze ja einst vor vielen Jahrhunderten einmal für Hollywood aus der Taufe hob. Oder war es erst 1977?

Van Rensburg hat das Ganze so genial umgesetzt, als wäre es ein großer Science-Fiction-Film; nicht umsonst erinnert die anfängliche, radförmige, sich drehende Raumstation an den Jahrhundertfilm 2001 – Odyssee im Weltraum. Der Filmfreak hat zwar immer noch an der schönen blauen Donau im Kopf, aber Mozart passt auch sehr gut. Überhaupt wurde die Zauberflöten-Ouvertüre wohl noch nie mit einer so brillant rasanten Weltraum-Verfolgungsjagd bebildert – allein für diesen Kurzfilm lohnt schon der Besuch. Tamino Skywalker wird in seinem Raumgleiter von bösen Mächten verfolgt und überlebt nur, weil er mit atemberaubender Geschwindigkeit durch ein Meteoritenfeld steuert. Kommt Ihnen diese Szene bekannt vor? Wenn ja, werden Sie noch vieles andere cineastisch Bekannte entdecken.

Über die Jahre sind von Rensburgs Projektionen gereift. Am Anfang war es beispielsweise Don Giovanni als Comic mit Sprechblasen des Librettos. Heute nun das Meisterstück: Seine Inszenierungen haben nach den Probeläufen der Technik in Studio-Inszenierungen in Rheydt im Kleinen nun das ganz große cinemascope-artig bühnenfüllende Filmformat erreicht. Bravissimo!

Gerade auf der eigentlich viel zu großen Krefelder Bühne wirkt das hinreißend. Dabei bedient der Regisseur sich mittlerweile perfekt realisierter, schon hollywoodreifer Bluescreen-Technologie, die dann live – was für ein Aufwand! – in die galaktischen Weltraumbilder und Fantasiewelten eingebeamt werden. Dass der fleißige und kreative Regisseur das alles, wozu Hollywood millionenteure Programme, gigantische Rechenkapazitäten und Heerscharen von Technikern brauchte, quasi in Heimarbeit in Kooperation mit Steven Koop an seinem Laptop kreiert, ist unfassbar. Man kann es kaum glauben …

Dass man dann das alles Mozarts Zauberflöte fast nahtlos überstülpen kann – einige Puristen und Opernmuseale werden dennoch weinend aufschreien – ist dem Märchencharakter der Vorlage zu verdanken. Ja, liebe Opernfreunde, es klappt beinahe hundertprozentig. Der alte junge Wolfgang Amadeus würde, auf Wolke sieben schwebend, aufspringen und jubilieren Ja, Freunde am Krefelder Theater, genauso hätte ich mir das 250 Jahre später – oder sind wir schon im Jahr 3000? – vorgestellt. Modern werktreuer geht es nicht. Danke Kobie, Du genialer Bühnenberserker! Ich bin sicher, dass ein himmlisches Telegramm an den Regisseur längst eingetroffen ist.

Und dann ist da noch die musikalische Seite. Dass auch diese umfassend beglückt, liegt an wunderbaren Musiktheater-Darstellern, die auch noch kosmisch gut singen. Der Sarastro von Matthias Wippich ist ein Space-Träumchen. Den Tamino singt David Esteban so jung und erfrischend herzig wie einst Mark Hamill den jungen Skywalker 1978 spielte. Judith Spiesser brillierte nicht nur mit der Bravourarie „Der Hölle Rache“ und erntete vom Publikum zurecht minutenlangen Applaus. Papageno Raffael Bruck mit sensationeller Irokesenfrisur überzeugte ebenso, wie seine quirlige, sympathische Papagena Gabriela Kuhn. Nicht zu vergessen die zurzeit berauschendste Stimme am Theater: Sophie Witte als Pamina. Viel schöner und sicherer kann man eine Pamina nicht und nirgendwo singen. Brava!

Die musikalische Leitung von Diega Martion-Etxebarria verzichtete auf althergebrachte Weihe und Würde und zelebrierte einen hochmodernen Mozart mit Eleganz und flüssiger Lebendigkeit. Stilsicher – ich würde schon fast sagen mit überragender Virtuosität – spielten die Niederrheinischen Sinfoniker auf. Lange haben wir nicht so einen überzeugenden Mozart gehört – da muss man weit fahren. Michael Preiser hat den Chor wie immer bestens vorbereitet.

Fazit: Nicht nur allen Salzburger Zauberflöten-Geschädigten sollte diese überragende Produktion ins Reisetagebuch geschrieben werden. Es lohnt die weiteste Anreise. Diese Inszenierung muss eigentlich allen Opernfreunden von nah und fern ans Herz gelegt werden, denn was hier gezeigt wurde, ist nicht nur ein Meilenstein für das niederrheinische Zwei-Städte-Theater, sondern auch für die Inszenierungsgeschichte zukünftigen Musiktheaters und Bühnenbilds. Das ist die Zukunft des Musiktheaters. Und nur so – auch dermaßen zeitgemäß – kann man junges Volk fürs Theater begeistern und die sieche Gattung Oper noch retten.

Ein großes Dankeschön für diese so geniale wie epochale Produktion!

Bilder (c) Matthias Stutte

Peter Bilsing / 24.9.2013

Besonderer Dank an die zwei Stormtrooper

P.S.

So ensteht praktisch auch jeder Kinofilm, der mit CGI arbeitet – nur hat man heute meist keine Blue-Screen-Technik mehr (wie im Bild unten), sondern öfter eine Green-Screen. Achten Sie bitte auf die kleine Kugel unten im Bild links! Sie generiert zu R2-D2 dann in der Projektion.

Damit das nahtlos funktioniert braucht man bis zu 10 Helfer in blauen Komplettanzügen, die dann auf der Filmleinwand unsichtbar sind. Für eine Operninszenierung ein riesiger Aufwand, denn da läuft alles live. Auch damit alles nahtlos klappt und an der richtigen Stelle dann einprojiziert wird, müssen die blauen Requisiten exakt zentimetergenau platziert werden.

Credits