Santa Cruz: „Der Diktator“ und „Der Kaiser von Atlantis“

semi-konzertant – Premiere am 14. Dezember 2019

Da muss man auf den Kanarischen Inseln sein, um so selten gespielte Werke zu erleben die tragische Oper in einem Akt. op. 49 „Der Diktator“ von Ernst Krenek und am selben Abend die tragische Oper in einem Akt, op. 49 „Der Kaiser von Atlantis“ oder „Der Tod dankt ab“ von Viktor Ullmann. Die Ópera de Tenerife in Santa Cruz, der Hauptstadt von Teneriffa, schreibt zwar bescheiden im Programmheft, dass beide konzertant gegeben werden, bringt de facto aber soviel Aktion in das konzertante Geschehen, dass man getrost von einer semi-konzertanten Aufführung sprechen kann. Diese Aktionen, insbesondere die Mimik der Protagonisten, machten die beiden Opern im Einklang mit der Musik Kreneks und Ullmanns, gespielt vom Symphonischen Orchester von Teneriffa unter der engagierten Stabführung von Pedro Halffter zu einem besonderen Erlaubnis.

Die Entstehung beider Opern ist mit Diktatoren des frühen 20. Jahrhunderts verbunden. Krenek, der kein Jude war, spricht mit dem „Diktator“ das Wesen eines Diktators ganz allgemein an, wurde zum Sujet aber durch den Aufstieg Benito Mussolinis in Italien inspiriert. Ullmann, der seinen „Kaiser von Atlantis“ unter schlimmsten Bedingungen als inhaftierter Jude in Theresienstadt mit dem Libretto des Mithäftlings Peter Kien komponierte, sah sich zu seiner Oper natürlich durch den Diktator Adolf Hitler motiviert.

„Der Diktator“ erlebte seine Uraufführung am Hessischen Staatstheater Wiesbaden am 6. Mai 1928, zusammen mit zwei weiteren Stücken Kreneks, „Das geheime Königreich“ und das „Schwergewicht“ oder „Die Ehre der Nation“, die in ihrer Art als Trilogie völlig unterschiedlich sind, wobei „Der Diktator“ jedoch durch seinen brutalen Realismus hervorsticht. Die Handlung und die Darstellung der Hauptfigur, des Diktators, zeigen klare Charakterzüge Mussolinis. Es ist interessant, dass Krenek die Komposition nur vier Tage nach der Fertigstellung von „Johnny spielt auf“, also am 23. Juni 1926, begann und schon nach zwei Monaten abschloss, mit eigenem Libretto. Das Stück hat nur vier Personen, den Diktator, bewusst nur mit dieser Gattungsbezeichnung versehen, um die Allgemeingültigkeit eines solchen Charakters zu betonen, Charlotte, seine Frau, einen Offizier und dessen Frau Maria. Auch der Offizier steht stellvertretend für viele Soldaten, die aufgrund des Befehls des Diktators in den Krieg ziehen müssen und dabei den Tod oder schlimmste Verletzungen erleiden. Deshalb trägt wohl auch er keinen Namen.

Der Diktator macht mit seiner Frau Urlaub in einem Luxushotel in Montreux, und Maria lebt mit ihrem durch den Krieg erblindeten Mann in einem nahen Sanatorium. Sie beschließt gemeinsam mit ihrem Mann, den Diktator aus Rache am Schicksal ihres Mannes zu töten, während die Frau des Diktators vergeblich versucht, dessen Gier nach noch mehr Krieg unter dem Motto „Gewalt kreiert Gewalt, nur der Stärkste gewinnt“ zu dämpfen, auch weil sie in Sorge um sein Leben ist. Der Diktator entdeckt ein erotisches Interesse an Maria. Als diese ihm gegenübersteht, um ihn zu töten, verfällt sie seiner Attraktion, lässt den Revolver fallen und will sich ihm hingeben. Charlotte, die die Szene beobachtet hat, ergreift die Waffe und tötet Maria. Kalt bittet der Diktator, die Kantonspolizei zu holen, eine Frau habe sich soeben in seinem Zimmer erschossen. Der Offizier erscheint, denkt, Maria habe den Diktator getötet, da er den Schuss hörte, und ruft nach ihr, bis er feststellt, dass sie es ist, die getroffen wurde.

Der italienische Bariton Bruno Taddia verleiht mit seiner intensiven Mimik und stimmlichen Ausdruckskraft dem Diktator unglaublich authentische Züge. Er lässt keinen Moment Zweifel daran, dass er sich weder von seiner Frau Charlotte zu einer pazifistischen Verhaltensweise bewegen noch von Marias Todesdrohung beindrucken lasst. Dabei überzeugen Taddias kraftvolle Höhen besonders. Melody Louledjian lässt als Charlotte einen feinen Sopran mit hervorragender Diktion hören, technisch optimal geführt und vielfältig in seiner emotionalen Facettierung. Neben einer vorwiegend lyrischen Linienführung im ersten Teil des nur 30minütigen Stücks zeigt sie am Ende auch beeindruckendes Potenzial zur Attacke. Spätestens da wird klar, warum Louledjian schon an vielen großen Häusern gesungen hat und ihr Debut in Santa Cruz de Tenerife letztes Jahr mit der Violetta in „La traviata“ gab. Sie widmet sich auch in hohem Masse der modernen Musik.

Nicht ganz so homogen erklingt der Sopran von Carmen Acosta als Maria, die aus Santa Cruz stammt. Sie setzt mehr auf dramatische Akzente, was der Rolle durchaus entspricht. Dabei kommt es aber bisweilen zu einem inhomogenen vokalen Vortag bei auch unzureichender Wortdeutlichkeit, die Spitzentöne wirken aufgesetzt. Darstellerisch gestaltet Acosta ihre Rolle und insbesondere das ambivalente Verhältnis zum Diktator sehr intensiv. Am Schluss – sie hat sich beim Schuss Charlottes vor den Diktatur gestellt und damit die Kugel abbekommen – sinkt sie vor ihm tot zusammen. Ihr blinder Mann erkennt die Tragödie erst, als er mit seinen Füßen an sie stößt – ein dramatisch-tragisches Finale! Der Venezolaner César Arrieta spielt diese Rolle sehr authentisch und kann mit seinem eher leichten, technisch bestens geführten und wortdeutlichen Tenor beeindrucken.

„Der Kaiser von Atlantis“ thematisiert wie „Der Diktator“ ebenfalls die Machenschaften eines unersättlichen Diktators, in diesem Falle Adolf Hitlers, geht die Problematik aber mit mythologischen Elementen und einem gewissen Schuss Komik an. Das ist umso beeindruckender, wenn man sich vor Augen führt, unter welchen Umständen Viktor Ullmann, damals Mitte vierzig, mit seinem viel jüngeren Librettisten Peter Kien diese Oper schrieb. Beide saßen im Konzentrationslager Theresienstadt ein, manchmal auch als Ghetto bezeichnet, de facto aber eher die Vorkammer zu Auschwitz-Birkenau. Bekanntlich stellten die Nazis Theresienstadt als Muster-KZ dar, in dem es ein reichhaltiges kulturelles Leben gab und die internierten Juden in scheinbar besten Bedingungen lebten. Die Wirklichkeit sah natürlich ganz anders aus. Es gab die gleichen Probleme und ernsthaften Notlagen wie in anderen KZs, obwohl Künstler hier unter schwierigsten Umständen tatsächlich produktiv schaffen konnten und es sogar Aufführungen von Opern wie „Tosca“, „Carmen“ und der „Verkauften Braut“ gab. Unter diesen Bedingungen schufen Ullmann und Kien den „Kaiser von Atlantis“, der beklemmend widerspiegelt, was sie zu jener Zeit im KZ bewegte, bevor beide im Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert und dort sofort in der Gaskammer ermordet wurden. Unter abenteuerlichen Bedingen konnten Partitur und Libretto in die Nachkriegszeit gerettet werden und die Oper erlebte ihre UA erst am 16. Dezember 1975 im Centre Bellevue in Amsterdam.

Zu Beginn stellt der Lautsprecher, hier von Nicolò Donini trocken und prägnant verkörpert, die Protagonisten des Stückes vor: Den Kaiser Overall; den Tod; den Harlekin; einen Soldaten; den Bubikopf, ein Soldat; und den Trommler. Es beginnt mit dem Harlekin, der sich über die Lustlosigkeit seines Lebens beschwert, worauf der Tod sich über die Welt von heute beschwert, in der er sein Werk nicht mehr handwerklich wie in der „guten alten Zeit“, sondern schon mechanisch, ja industriell ausführen muss. Das gefällt ihm überhaupt nicht, er ist amtsmüde. Da kündigt der Trommler den Kaiser Overall an, der den totalen Krieg aller gegen alle postuliert, bis keiner mehr übrig bleibt – der Tod werde schon dabei helfen. Aber der Tod macht nicht mehr mit und zerbricht sein Schwert. Damit ist dem Menschen das Menschlichste des Lebens genommen – der Tod. Dem Kaiser wird berichtet, dass tausende Soldaten gegeneinander kämpfen, um sterben zu können – aber es gelingt ihnen nicht! Er kann nicht verstehen, dass die Soldaten nicht sterben. Es gelingt sogar dem Bubikopf nicht, den Harlekin zu erschießen – er ist immun gegen die Kugel. Da erkennen sie ihre Liebe zueinander! Der Kaiser will aber nicht ablassen vom totalen Krieg, angespornt vom Trommler, während der Harlekin ihn bekniet aufzuhören. Schließlich gibt er wirklich auf, der Tod kehrt zurück, verkündet das Ende des Krieges, die Rückkehr zur Normalität und nimmt den Kaiser mit. In einem Epilog besingen Trommler, Bubikopf, Soldat und Lautsprecher die wichtige Rolle des Todes, den man nie herausfordern solle.

Ähnlich wie als Diktator zeichnet Bruno Taddia den Kaiser mit aggressiven und diktatorischen Zügen sowie einer Mimik, die keine Fragen zur Rolle offen lässt. Francisco Crespo i st ein überzeugender und stets ruhig wirkender Tod mit einem runden Bass bei guter Resonanz und einem leichten Vibrato. Der Costa-Ricaner David Astorga gestaltet den Harlekin mit einem ansprechenden Spieltenor mit hellem Timbre, ebenso wie den Soldaten später. Im Dialog mit Bubikopf erreicht er seine besten Momente, ein Dialog, der fast schon Liedcharakter hat. Melody (Nomen est omen…) Louledjian singt den Bubikopf mit einem glockenrein klingenden Sopran und der richtigen Mimik auf jedem Ton sowie einer dazu ebenfalls passenden Gestik. Da sind nun auch herrliche Schwelltöne zu hören. Die Italienerin Laura Verrecchia, die 2015 den alljährlichen Gesangswettbewerb der Ópera des Tenerife gewann, singt den Trommler mir einem prägnanten, eher hellen Mezzo bei nicht allzu großer Resonanz und mit bisweilen etwas scharfen Höhen.

Kreneks Musik im „Diktator“ ist eine Art spätromantischer Expressionismus. Die Musik steht immer in engem Einklang mit der Handlung, kann nach expressiven Momenten in harmonische, ja bisweilen sehr lyrische Phasen übergehen, aus denen dann wieder eindrucksvolle Steigerungen erfolgen. Manchmal klingt Schreker an, der auch Kreneks Lehrer war. Pedro Halffter dirigiert das Orchester mit großem Engagement und differenziertem Einsatz der einzelnen Gruppen. Es gibt auch ein Orchesterzwischenspiel mit fließendem Duktus und schöner breiter Harmonik. In den Trompeten hört man einmal Walter Braunfels.

Pedro Halffter war es auch, der am 10. Juni 2016 den „Kaiser von Atlantis“ in Spanien zur EA brachte, und zwar im Teatro Real de Madrid. Wer könnte also die Partitur von Ullmann besser kennen als er, was er an diesem Abend auch belegte. Nach einem gewaltigen Aufbäumen gleich zu Beginn kommen nachhaltige

harmonische Passagen ins Spiel. Man hört auch Paul Hindemith und Kurt Weill. Die Musik des „Kaiser von Atlantis“ ist natürlich moderner und letztlich expressionistischer als jene des „Diktator“. Es war ein zusätzliches Erlebnis, diese beiden Stile nebeneinander zu hören. Es ist höchste Zeit, die beiden Werke in unseren Breiten einmal szenisch zu erleben. Sie entbehren zudem leider auch nicht einer gewissen Aktualität…

Klaus Billand/3.1.2020

www.klaus-billand.com

Fotos: Klaus Billand