Offenbachs Tragik
Das so stark im Bestehen sich wähnte, das zweite französische Kaiserreich, seinem Ende eilte es zu. Und je weiter es auf diesem Weg fortschritt desto weniger wurde Jacques Offenbach als Parodist von Reich und Gesellschaft gebraucht und wandte sich seinem wohl lange gehegten Traum zu, Opern zu komponieren. Sein Genre lag im Dreieck der Bouffe, der komischen und der romantischen Oper. In einem Winkel seines Herzens war er Deutscher geblieben. Als in Paris Barrikaden errichtet wurden, setzte er sich nach Osten über die Grenze ab; kulturell blieb er dem deutschsprachigen Kulturraum verbunden und wirkte häufig in Wien. Im Sommer hielt er am liebsten in Bad Ems Hof, wo es auch immer eine zahlkräftige französische Gesellschaft gab, da in Frankreich der letzte König 1837 den Betrieb von Spielcasinos untersagt hatte. Der dramatische Wechsel in den französisch-deutschen Beziehungen nahm ironischerweise 1870 gerade dort in seine dramatische Wendung zum Krieg.
Prinzessin Theres (Jennifer Riedel) und Fantasio (Stefanie Schaefer) verlieben sich ineinander bei romantischem Gesang
Die komische Oper Fantasio schrieb Offenbach 1870 als Auftragswerk für die opéra comique; ihre für 1870 geplante Uraufführung fiel dem Krieg zum Opfer. Das mit pazifistischen Themen durchzogene Werk wurde nach gründlicher Bearbeitung 1872 uraufgeführt. Der Erfolg war weniger als mäßig, da die Franzosen in ihrer Revanchelust Pazifismus nicht goutierten. Offenbach selbst war zur tragischen Figur geworden. Im noch weniger liberalen Deutschland war die Wertschätzung für den Juden und „Vaterlandsverräter“ ohnehin gering. Aber nach 1871 mochten ihn auch die Franzosen nicht mehr, obwohl er 1860 eingebürgert worden war. Sie behandelten ihn als Boche und preußischen Agenten. Georges Bizet, den er zeitlebens gefördert hatte, beschimpfte ihn gar als Schwein und seine Werke als Müll. An seinen Operetten war man nicht mehr interessiert. Der Schwerpunkt der Operettenkultur verlagerte sich nach Wien, Offenbach wandte sich seinem opus magnum zu: Les Contes d‘Hoffmann.
Fantasio wurde noch 1872 schon einen Monat nach der Pariser Uraufführung in einer stark veränderten dritten Fassung in Wien herausgebracht. Aber auch diese verschwand bald in der Versenkung. Die französische Uraufführungspartitur ist wahrscheinlich beim Brand der Opéra Comique 1887 vernichtet wurde, was einer weiteren Verbreitung des Werks auch nicht zuträglich war. Offenbachs Nachkommen haben dessen Autografen in alle Welt verstreut. Dem Offenbach-Liebhaber und Musikologen Jean-Christophe Keck gelang es, die einzelnen Teile der Urfassung wieder einzusammeln und in seiner kritischen Offenbach-Ausgabe neu zu edieren. Dieser neue alte Fantasio wurde im Dezember 2013 unter Mark Elder in London konzertant gegeben und kam nun in deutscher Sprache am Badischen Staatstheater als szenische Uraufführung heraus.
Studentenprotest in Bayern
Als Textvorlage für die Oper diente das gleichnamige Theaterstück von Alfred de Musset (1834). Bis zu vier Librettisten befassten sich mit dem Opern-Büchlein zu Fantasio: Alfred de Mussets Bruder Paul, Camille du Locle, Charles Nuitter und vermutlich auch Alexandre Dumas d. J. Wieder einmal hatte Offenbach einen deutschen Stoff gewählt, in welchem man schon rein literarisch die drei implizierten Gattungen des Musiktheaters erkennt: die Bouffe, die komische und die romantische Oper. Handlung: Der bayerische König hat zur Rettung seines Reichs von Krieg und Elend seine Tochter Theres dem reichen Prinzen von Mantua versprochen. Der tauscht die Kleidung mit seinem Adjutanten Marinoni, um seine Zukünftige incognito begutachten zu können. Fantasio, ein Studentenführer, der sich in die Prinzessin verliebt hat, schlüpft in die Verkleidung eines Hofnarren und macht bei einem Fest den Prinzen von Mantua bei Hofe lächerlich, woraufhin der Rache fordert, mit Krieg droht und Fantasio festsetzen lässt. Die Prinzessin widersetzt sich der Zwangsheirat und erwidert die Liebe von Fantasio. Am Schluss wird der pazifistische Narrenstaat ausgerufen, nachdem Fantasio die Exponenten der Staaten aufgefordert hat, sich gefälligst selbst zu duellieren, statt ihre Völker in den Krieg zu schicken.
Jennifer Riedel (Prinzessin Theres), Kristina Stanek (Flamel, "Hofdame"); Damen des Staatsopernchors
Offenbach behandelt seine alten Lieblingsthemen: Anmaßung, Kleinstaaterei, Dünkelhaftigkeit, Spießertum. Das Werk, halb komische Oper und halb Offenbachiade, verfügt und über deutliche Einstreuungen deutscher Spieloper und romantischer Oper mit Weltschmerz und Todessehnsucht. Offenbach hat Wagners Lied an den Abendstern als eine von der romantischen Melodien eingearbeitet. Über den Prinzen von Mantua und den Narren Fantasio führt eine Linie auch zu Rigoletto. Die politische brisanten Themen sind abgeschwächt: Studentenprotest mit Demos, arrangierte Hochzeit aus Staatsraison, Krieg aus verletzter Ehre. Den Schluss dieses Wirrwarrs bildet die Friedenbotschaft Fantasios. Ist dessen Name Omen für den Realismus einer solchen Botschaft?
Regisseur Bernd Mottl setzt die Schwerpunkte der Oper in Komödiantik und Satire. Erstere bleibt ziemlich klaumaukig, die letztere gerät zu flach.Friedrich Eggert schafft sehr konkrete Bühnenbilder. Der erste Akt soll in München spielen. Man sieht aber ein Dorf aus lauter Fachwerkhäuschen in schwarz-weißer altsächsischer Ständerbauweise, wie man es in idealer Weise in Freudenberg im Siegerland bewundern kann. ( www.sauerland. ) Im Hintergrund erheben sich die bayerischen Alpen; die Bühnenbegrenzungen und die Soffitten sind blauweiß rautiert. Das könnte tatsächlich mit Schlossturm und behütender Kirche der Landsitz eines Duodez-Fürsten sein. Im zweiten Akt ist die Bühne leergeräumt und nur mit einigen komfortablen Stühlen möbliert; in der Mitte hängen lange Streifen, aus deren Bedruckung sich eine etwas verzerrter herrschaftlicher Saal zusammensetzt. Zunehmend geraten auch Umzugkartons mit aufgedruckten QR-Codes auf die Bühne; einer davon ist so groß, dass er Fantasio zum Gefängnis dienen kann. Schließlich wird das hübsche Dorf in solche Kartons verpackt; das Elend will, dass man verkaufen muss. In dieser Umgebung ruft Fantasio zum entscheidenden Frieden auf.
Ks. Klaus Schneider (Marinoni), Gabriel Urrutia Benet (Prinz von Mantua) (Foto: Falk von Traubenberg)
Das Lokalkolorit wird durch die Trachten des Chors vermittelt, wobei die im Verlauf mehr und mehr stilisiert werden. Alfred Mayerhofer schafft die bayerischen Kostüme für die autochthonen Bayern und Zirkusbekleidung für das italienische Paar Prinz/Adjutant, das mit seinen Auftritten wie Plisch und Plum im Zentrum der Komödie steht. Eine zehnköpfige Trachtengruppe ist in der Verkleidung Komödienstadl-authentisch. Deren Schreit- und Hopstänze bleiben ebenso im Bereich des Biederen wie die gesamte (Operetten-)-Choreographie von Otto Pichler. Am besten gelungen ist die komödiantische Maskerade des mantuanischen Prinzen und eines Adjutanten, die auftreten wie Plisch und Plum, wobei sich der als niederrangig verkleidete Prinz nicht damit abfinden will, dass nun er auch den Niederrangigen spielen muss. So ist die Inszenierung insgesamt zwar vergnüglich und unterhaltsam, aber sie bleibt bekenntnislos an der Oberfläche. Studentenprotest wird zur Bierseligkeit (Besäufnisse sind ein Topos in französischen Opern über Deutschland – wohl nach Mme de Stael); die Offenbachsche Satire der politischen Konstellation bleibt flach; der romantische Handlungsstrang versinkt in biedermeierlicher Schlafmützigkeit. Dazu kommt ein völlig überflüssiger Schuss „Neudeutung“: der Ausverkauf von traditionellen Werten zugunsten von moderner Masenware. Diese „Modernisierung“ geht meilenweit am Stoff vorbei und kann schon gar nicht den vor allem im ersten Akt spürbaren Mangel an Schwung kompensieren. Mottl hat diesen Ausverkauf mit dem industriellen Tand der 50er Jahre visualisiert, dem die Dorfbewohner wie Fetischen huldigen, während sie auf zwischen ihren verkauften und versandbereiten Häusern sitzen.
Stefanie Schaefer (Fantasio), Jennifer Riedel (Prinzessin Theres)
Das musikalische Profil der Produktion liegt weitaus höher. Auch in der Partitur ist die Stilvielfalt des Stoffs angelegt; die verschiedenen Genres sind musikalisch verarbeitet, wobei Offenbach vor allem an seine Bouffes erinnert (Couplets und sich aufschaukelnde Orchesterbegleitungen) und den Defiliermarsch parodiert. Man wundert sich, wie nahe Offenbach bei Weber liegen kann. Instrumentierungen mit Hörnern und Holzbläsern könnten dem Freischütz entnommen sein. Liedhafte Motive durchziehen die Partitur und halten sie zusammen. Auch Rigoletto wird zitiert. Offenbachs Partitur ermöglicht in der großen Orchesterbesetzung reiche Farbgebungen, die schon auf sein letztes Bühndnwerk hinweisen. Das Dirigat von Andreas Schüller am Pult der Badischen Staatskapelle stellt das ebenso schön heraus, wie die typischen Offenbach-Harmonien und -Rhythmen. Das blieb trotz der Grenzübergänge der Kern des Dirigats: die unverwechselbare Offenbach-„Tinta“ mit viel Verve gelang ihm prächtig, nicht so sehr hingegen das präzise Zusammenspiel mit dem Chor, der hier und da von dem abwich, was der Taktstock vorschreiben sollte. Die große, stimmkräftige Truppe hat Ulrich Wagner einstudiert.
Gefängnis mit Zivilisationsmüll: Jennifer Riedel (Prinzessin Theres), Stefanie Schaefer (Fantasio)
Sängerisch brannte gar nichts an. Jennifer Riedel als Prinzessin Theres glänzte darstellerisch als aufmüpfiges, zur Selbstbestimmung tendierendes Mädchen und erfreute als lyrischer Koloratursopran mit hellem, silbrigem und sehr beweglichem Material, mit Sicherheit und Brillanz in einer Rolle, die schon auf die Olympia hinweist. Als Fantasio erfreute Stefanie Schäfer ihr Publikum mit behändem, ja akrobatischem Spiel, samtig ansprechendem klarem und dennoch glutvollem Mezzosopran und schön ausgesungenen Linien. Warum sie sich am Ende ihrer Hosenrolle ihrer Brustquetsche entledigen und ihre Rolle in schwarzem BH zu Ende spielen muss, konterkarierte frontal das Prinzip der verosimiglianza im Theater. Mit deutlich dunklerem, kräftigem Mezzo sang Kristina Stanek die Rolle der Hofdame Flamel, hier praxisnäher als Kammerzofe dargestellt, die der widerborstigen Prinzessin das unerwünschte Hochzeitskleid überzieht. Viel Spaß bereiteten die (abgesehen von ihrer identischen Größe) wie Pat und Patochon auftretenden, ewig streitenden Prinz von Mantua und sein Adjutant Marinoni. Letzteren gab Matthias Wohlbrecht mit schönem Schmelz und nicht zu hellem Charaktertenor; ersteren Gabriel Urrutia Benet mit fast zu noblem hellem Bariton-Material. Eine größere Rolle sang noch Dennis Sörös als Studentenführer Spark im (Che-Guevara-T-Shirt) mit sonor kultiviertem Bariton; seine „internationalen“ Studenten-Kollegen Facio, Max und Hartmann in kleinen Gesangsrollen empfahlen sich in ihren revoluzzerischen Aktivitäten durch quicklebendiges Spiel (Max Friedrich Schäfer, Nando Zickgraf, Daniel Pastewski). Nicht gut kam Luiz Molz mitseiner Bassrolle als König von Bayern (herausgeputzt in Anlehnung an den „Kinni“ Ludwig II) mit schwanken halsiger Stimme zu recht. Der Multi-Tasker Peter Pichler gab die Sprechrolle des Haushofmeisters am Bayerischen Hof.
Fazit: Bernd Mottl hat die Oper leider konzeptionell unter Wert „verkauft“. Dem Badischen Staatstheater ist aber hoch anzurechnen, dass es dies interessante Werk abseits des Einheitsbreis vorstellt. Sicher wird es nachgespielt, allein weil es originell ist und weil Offenbach immer zieht. Stil-Puristen werden den Genre-Mix, den musikalischen Eklektizismus und Offenbachs Zugeständnisse an die damaligen Usancen (Auftragswerk!) bemängeln; Freunde anspruchsvoller musikalischer Unterhaltung kommen indes auch bei dieser Inszenierung auf ihre Kosten. Ein Kompliment auch an den Dramaturgen Boris Kehrmann nicht nur für seinen informativen Einführungsvortrag, sondern vor allem für die Gestaltung des Programmhefts und seine konzisen, erhellenden Beiträge, die man unbedingt lesen sollte. Es enthält keine „Note“ zu viel und ist auch im Internet zugänglich: programmheft/fantasio.pdf. Das Publikum im nur mäßig gut besuchten Haus quittierte die Aufführung mit herzlichem Beifall.
Manfred Langer, 20.12.2014
Fotos: Jochen Klenk, wenn nicht anders angegeben
Von der im Beitrag erwähnten konzertanten Aufführung des Fantasio ist bei opera rara ein Mitschnitt erschienen.
Orchestra of the Age of Enlightenment; Sir Mark Elder
Nicht Fisch nicht Fleisch