
Zu einem vollen Erfolg geriet die Aufführung von Nikolay Rimsky-Korsakows Oper Die Nacht vor Weihnachten an der Bayerischen Staatsoper. Mit dieser Neuproduktion einer absoluten Rarität ist dem Nationaltheater München ein großer Wurf gelungen. Dieses Werk beruht auf einer Geschichte von Nikolai W. Gorgol. Aus der Taufe gehoben wurde die Oper, für die der Komponist persönlich das Textbuch schrieb, im Jahre 1895. In Russland gehörte sie zu den nicht allzu oft gespielten Opern von Rimsky-Korsakow. Die erste Aufführung in Deutschland fand im Jahre 1940 unter dem Titel Sonnwendnacht statt. Dort konnte sie sich einige Jahre auf dem Spielplan halten, wurde indes zu Beginn des Russlandfeldzuges wieder abgesetzt. Nach dem Krieg führte Die Nacht vor Weihnachten auf den deutschen Bühnen eher ein Schattendasein und geriet in Vergessenheit. Vor vier Jahren holte die Oper Frankfurt sie erfolgreich aus der Versenkung. Und nun zog die Bayerische Staatsoper nicht minder erfolgreich nach.
Zuerst einige Worte zum Inhalt dieser weitgehend unbekannten Oper: Die Geschichte spielt sich am Vorabend der Weihnachtsnacht in dem ukrainischen Dorf Dikanka ab. Der Schmied Wakula ist in Oksana verliebt, erhält von ihr aber eine Abfuhr. Bei einem Weihnachtssingen fordert sie ihn auf, ihr ebensolche Schuhe zu schenken wie sie die Zarin trage. Dann würde sie einwilligen, seine Frau zu werden. Wakula ist einverstanden. Zusammen mit dem Teufel, den er sich gefügig zu machen versteht, reist er an den Hof der Zarin. Dort gelingt es ihm, ihre Gunst zu erwerben und sie zu überreden, ihm ein Paar Schuhe für Oksana zu schenken. Mit dieser großzügigen Gabe der Herrscherin tritt Wakula den Rückweg nach Dikanka an. Dort zerfließt Oksana inzwischen in Selbstvorwürfen. Sie hat große Angst, dass sich Wakula etwas angetan haben könnte. Als er in die Stube tritt und ihr die Schuhe überreicht, eröffnet sie ihm in hohem Maße erleichtert, dass sie ihn auch ohne diese großzügige Gabe geehelicht hätte. Das Ende sieht ein glückliches Paar. Über seine Reise berichtet Wakula nichts, verweist aber auf einen hervorragenden Dichter, der eines Tages eine Geschichte über diese tolle Nacht vor Weihnachten schreiben wird.

Es ist eine recht hübsch anzuhörende, einfach gestrickte Geschichte, die hier erzählt wird. Eindringlich werden in diesem Stück christliche und heidnische Aspekte miteinander vermischt. Trefflich erschließen sich dem Publikum die Sitten und Gebräuche rund um die Wintersonnenwende. Und das Wirken der Hexe Solocha und des Teufels sowie Wakulas Pakt mit letzterem haben keine schlimmen Folgen. Diese Fakten machen den großen Reiz der Handlung aus. Regisseur Barrie Kosky hat sie zusammen mit dem für das Bühnenbild und das Licht verantwortlichen Klaus Grünberg und dem Kostümbildner Klaus Bruns stringent, fetzig und überaus kurzweilig auf die Bühne gebracht. Ausgesprochen aufgedreht und turbulent geht es zu, wobei das groteske Element nicht zu kurz kommt. Das knallbunte Bühnenbild stellt eine mehrstöckige Arena da, deren verschiedene Ebenen durch Leitern und Stufen miteinander verbunden sind und das Züge eines Zirkusses aufweist. Akrobaten und Tänzer zeigen bereitwillig ihre Künste, wobei die Erotik eine nicht ganz unwichtige Rolle spielt. Das Ganze stellt gleichsam eine Theater-auf-dem-Theater-Situation dar.
In diesem Ambiente rollt Kosky die Handlung gleichsam von hinten auf. Die Bewohner von Dikanka befinden sich bereits auf der Bühne, noch während die Zuschauer ihre Plätze einnehmen. Dann erscheint der unheilstiftende, gleichwohl aber humorvolle Teufel und fordert den Dirigenten auf, zu beginnen. Anschließend lässt er die Schuhe der Zarin, die sich bereits jetzt in seinem Besitz befinden, durch die Reihen des Chores gehen, bis sie schließlich wieder in seinen Händen angelangt sind. Erst dann nimmt die Geschichte so richtig ihren Anfang. Die Menschen erzählen sich, wie die Schuhe in ihr Dorf gelangt sind. Diese kollektive Erzählweise verbindet gleichsam alle Nationen, nicht nur die hier versammelten Menschen.

Einer simplen Schwarz-Weiß-Malerei erteilt der Regisseur eine klare Absage. Die Trennung zwischen Gut und Böse hebt er auf. Sogar der Teufel ist nicht durchweg schlecht. Die hier versammelten Leute haben ganz unterschiedliche Qualitäten, die durchaus auch widersprüchlicher Natur sein können. Es sind teilweise ungemein schräge Typen, die hier ihr Wesen treiben und sich bei der von ihnen hochverehrten Solocha hintereinander in riesigen Säcken verstecken, die von dem einen Gegenentwurf zu den Wagner-Helden darstellenden Schmied Wakula (vgl. Programmbuch S. 117) dann behände abtransportiert werden. Die von Wakula geliebte Oksana ist ein recht hochnäsiges Mädchen, das sich erst im dritten Akt von einer gefühlvollen Seite zeigt. Ein echter Coup de théatre gelingt Kosky im zweiten Teil der Oper mit der vom Schnürboden herabschwebenden Zarin. Umrahmt von einem doppelköpfigen Reichsadler trinkt und raucht sie, bevor sie schließlich Wakula großmütig ihre Schuhe für seine Geliebte schenkt. Dabei werden ihr gleich ihre Beinprothesen mit abgenommen. Diese Szene war der Höhepunkt der insgesamt sehr kurzweiligen Aufführung, bei der der Regisseur einmal mehr gezeigt hat, was er kann. Mit der kosmisch-fantasievollen Welt, in die er das Auditorium hier entführte, kann man gut leben. Das machte durchaus Eindruck.
Die musikalische Ausbeute von Rimsky-Korsakows Partitur ist enorm. Im Zentrum der Oper stehen die Koljadki-Gesänge. Hier werden geschickt die Eigenarten der russischen Volksmusik mit Kontrapunkttechniken und homophoner Satzweise der Kunstmusik verbunden. Ferner kommt der ukrainischen Volksmusik zentrale Relevanz zu. Es ist eine aufblühende, klangfarbenreiche und aufwühlende Musik, die Rimsky Korsakow hier geschrieben hat. Vladimir Jurowski hat sie zusammen mit dem versiert und klangschön aufspielenden Bayerischen Staatsorchester mit großer Brillanz, enormem Esprit, emotional und farbenreich vor den Ohren des Publikums ausgebreitet.

Fast durchweg überzeugend waren die gesanglichen Leistungen. Mit glänzendem, bestens fokussiertem und beweglichem Sopran sang Elena Tsallagova eine ausgezeichnete Oksana. Über weite Strecken stimmlich saft- und kraftvoll präsentierte sich Sergey Skorokhodov als Wakula. Nur in der extremen Höhe verlor er manchmal die Körperstütze seines ansonsten gefälligen Tenors. Einen kraftvollen, imposanten Mezzosopran brachte Ekaterina Semenchuk in die Partie der Solocha ein. Nicht zu überzeugen vermochte Tansel Akzeybek, dessen flach klingender Teufel überhaupt keinen vorbildlichen Körperklang aufwies. Aus der kurzen Rolle der Zarin machte die immer noch über beträchtliches Stimmmaterial verfügende Violeta Urmana vokal viel. Das gilt in gleicher Weise für den sehr sonor singenden Dorfvorsteher von Sergei Leiferkus. Durchweg zu gefallen vermochten die ebenfalls tadellos intonierenden Dmitry Ulyanov (Tschub), Milan Siljanov (Panas), Vsevolod Grivnov (Diakon), Matti Turunen (Pazjuk), Alexandra Durseneva (Frau mit veilchenblauer Nase) und Laura Aikin (Frau mit gewöhnlicher Nase). Phantastisch präsentierte sich der von Christoph Heil einstudierte Bayerische Staatsopernchor. Einen gefälligen Eindruck hinterließen die Ballett-Tänzer sowie die Akrobaten.
Fazit: Eine vergnügliche, temporeiche Aufführung, deren Besuch durchaus zu empfehlen ist.
Ludwig Steinbach, 10. Dezember 2025
Die Nacht vor Weihnachten
Nikolai Rimski–Korsakow
Bayerische Staatsoper
Premiere: 29. November 2025
Besuchte Aufführung: 7. Dezember 2025
Inszenierung: Barrie Kosky
Musikalische Leitung: Vladimir Jurowski
Bayerisches Staatsorchester