Klar – Wagners Meistersinger von Nürnberg ist eine komische Oper, aber wann hat man mal in einer Inszenierung wirklich Tränen gelacht? Regisseur Matthias Davids hat mit seiner Produktion von 2025 in Bayreuth sicher keine Experimente gewagt, aber es ist ihm eine wundervolle, bildstarke und farbenpralle Produktion gelungen, die vor allem eines bringt: grandiosen Spaß!

In zahlreichen Besprechungen wurde Matthias Davids attestiert, eine zu brave, ja langweilige Neuauflage dieser Komödie, die so viel Ernst in sich trägt, auf den Hügel gebracht zu haben. Sicher, es gibt keine offensichtlichen politischen oder gesellschaftskritischen Aspekte oder provokanten Sichtweisen, aber es ist eine handwerklich solide Produktion mit liebevollen Einfällen, einer wundervollen Choreographie und bis ins Detail ausgearbeiteten Personenregie.
Das Spiel mit geometrischen Grundformen auf der Bühne von Andrew Edwards gelingt ausgezeichnet, vielleicht auch deswegen, weil die von ihm zugrunde gelegte Programmatik in der Ausführung so unaufdringlich und verspielt daherkommt. Ob das Dreieck, auf dem überzogen hoch im ersten Aufzug die Kirche ragt, das Quadrat, das sich in den ineinander geschachtelten Fachwerkhaus-Reminiszenzen im zweiten Akt mannigfach findet, oder der Kreis, der Hans Sachsens Werkstatt im Final-Aufzug umschmiegt – man muß darüber nicht nachdenken, weil die einzelnen Bilder in ihrer Ausgewogenheit und Detailverliebtheit wirken. Es gibt viel zu entdecken, weil sich überall witzige Querverweise, Schilder mit humorigen Bildern und Aufschriften sowie Zitate finden. Die Singschule nimmt innenarchitektonische Elemente aus dem Zuschauerraum auf – harte Sitze inbegriffen.
Aber in den wesentlichen Stellen passen die Requisiten auch zum Libretto: Es gibt einen echten Singstuhl und einen Schemel, auf den Eva ihren Fuß stellt, als sie der Schuh drückt.

Simon Eichenberger hat sich auf die festlichen Fahnen seiner Choreographie geschrieben, bei den Gruppen- oder Massenszenen sehr viel passieren zu lassen. Es gibt zauberhafte Interaktionen zwischen den Mitwirkenden, aber das Lustigste, was seit Langem auf einer Opernbühne zu erleben war, ist die Prügelszene. Übrigens hat die Wagner tatsächlich während eines Nürnberg-Aufenthalts erlebt, er hat sogar mitgehauen. Das wußte Hans Martin Gräbner in seinerEinführung zu berichten – Gräbner ist in Bayreuth seit vielen Jahren eine echte Instanz – der Musikwissenschaftler und Komponist führt im Rokoko-Saal des Steingraeber & Söhne-Haus (Friedrichstr. 2, 95444 Bayreuth) jeden Tag um 11 Uhr vor einer Aufführung im Festspielhaus charmant, humorvoll und kenntnisreich in die jeweilige Oper ein. Er erzählte auch von Wagners Recherchen bezüglich der Tabulatur, also dem festen Regelwerk der Meistersinger, und wie das alles in der Oper gekonnt umgesetzt ist.
Doch zurück zum munteren Prügeln: Die gar nicht braven „Nämbercher“ dreschen nicht nur mit Fäusten und Füßen aufeinander ein; es wird in Sekundenschnelle ein Boxring für David und Beckmesser aufgebaut, in dem vor allem der Stadtschreiber sich mehr als ein blaues Auge holt. Viele im Publikum müssen sich hinterher die Brillengläser abwischen, weil alles voller Lachtränen ist.„Spielt, daß‘ s lustig wird!“, rufen die Lehrbuben ja dem Stadtpfeifer zu und hier hat man das wunderbar wörtlich genommen.
Besser wird es dem Geschundenen nicht ergehen, denn bei Beckmessers nächtlichem Eindringen in die Schusterwerkstatt geschieht ihm ein Mißgeschick nach dem anderen. Das ist schon fast wie in den frühen „Nackte Kanone“-Filmen, wird aber nie klamaukig.

Überhaupt soll dem armen Verlierer an dieser Stelle mal die Ehre der ersten Nennung zuteilwerden. Michael Nagy gibt einen großartig schrägen Dachschaden-Beckmesser, er spielt gekonnt mit dem Text, variiert mit ausgesprochen angenehmer Stimme Betonungen und Aussprachen; seine metrischen Ausrutscher und Koloratur-Karikaturen sind einfach köstlich!
Auf den Hans Sachs von Georg Zeppenfeld hatte man sich schon im Vorfeld gefreut. Natürlich ist der große Sänger eine bewährte Bank und auch mimisch und spielerisch füllt er die Rolle grandios aus, aber man hat ihn schon lauter und verständlicher gehört. Natürlich teilt der erfahrene Künstler sich seine Energie für die Mammut-Rolle ein und legt in den wesentlichen Passagen dann auch zu.
Michael Spyres hat ja schon zuvor in der Rolle des Siegmund die Herzen des Publikums erobert, aber als Walther von Stolzing übertrifft er diese Leistung fast noch. Das zweimal gesungene Preislied ist im doppelten Sinne hochanspruchsvoll, denn gerade die Höhen meistert er souverän und mit fabelhafter Selbstverständlichkeit.
Christina Nilsson ist eine Eva zum Verlieben. Abgesehen von ihrem wundervoll strahlenden, mädchenhaften Sopran, gestaltet sie die Rolle so charmant und bezaubernd, daß man Walther und alle anderen, die sich um ihre Hand bemühen, nur allzu gut verstehen kann.
Der David von Matthias Stier ist ein liebenswerter, schelmischer Lausbub; stimmlich allerdings ist er von großer Reife und Strahlkraft. Eine der Spitzenrollen der Produktion!
Dagegen fällt die Magdalene von Christa Mayer etwas ab, denn sie ist allzu mütterlich, auch von ihrer zuweilen etwas gurrenden Stimme her. In den Alt-gefärbten Partien überzeugt sie dagegen umso mehr.
Der füllig-warme Bass von Jongmin Park paßt ganz wundervoll zur Rolle des würdigen und väterlichen Veit Pogner, aber man versteht ihn nur stellenweise.

Als Meistersinger aus den altehrwürdigen Gilden haben Martin Koch, Werner van Mechelen, Jordan Shanahan, Daniel Jenz, Matthew Newlin, Gideon Poppe, Alexander Grassauer, Tijl Faveyts und Patrick Zielke jeweils ihre sehr individuell gestalteten Auftritte und Partien, mit je zum Berufsstand passendem Kostüm von Susanne Hubrich.
Auffällig sind die ähnlichen Kopfbedeckungen, die an Schlümpfe, Dogen oder Narren denken lassen, aber hier werden die Kappen von Schlaraffen zitiert, und die sind ja auch so eine Männergemeinschaft mit festen Regeln, betont humorvoll, aber auch mit klaren Grenzen.
Ein liebenswertes Randglied der Gesellschaft ist der Nachtwächter, dem Tobias Kehrer volltönende Stimme und etwas schräge Gestalt gibt.
Ein vollendet schöner Glanzpunkt ist das Quintett von Sachs, Eva, Walther, David und Magdalene, gesanglich und vom zauberhaft sensibel gestalteten Klang des Festspielorchesters unter Daniele Gatti her. Längst vergessen ist, daß dem Dirigenten beim Vorspiel mal die verschiedenen leitmotivischen Linien etwas auseinandergeraten sind.
Die Festwiesenszene ist in den Kritiken sehr unterschiedlich und mitunter abfällig besprochen worden, aber, um mit Hans Sachs zu sprechen: „Nicht jeder eure Meinung teilt.“ Das Ganze ist ein farbenprächtiges Wimmelbild mit allen möglichen und unmöglichen Gestalten und Gruppierungen. Unmöglich, weil Angela Merkel, Thomas Gottschalk und andere als Zwillinge auftreten. Das mag man albern finden, aber es stellt einen weiteren witzigen Bezug zu Haus und Hügel her. Es gibt, neben Folkloregruppen, Wiesenzwergen, Metal-Freaks und anderen die Kartoffelkönigin, die Bratwurst-, Erdbeer- und Rotweinkönigin und endlich auch mal die Drama-Königin.

Über die gigantische aufblasbare Kuh und Eva als Teil eines gigantischen Blumengebindes ist viel diskutiert worden, aber all das schafft eine augenzwinkernde Distanz zum inflationären Gebrauch des Wortes „deutsch“. Hans Martin Gräbner betont allerdings, daß bei der Würdigung der „heiligen deutschen Kunst“ das „heilig“ im Vordergrund stehe und die Kunst alle Reiche, auch das deutsche, überdauere. Ja, so steht es auch im Libretto.
Die Kuh kennt man aus der Käsereklame, und im Programmheft wird aufgelöst, daß „La vache qui rit“ eine französische Verhohnepipelung der „Valkyrie“ ist und über das tümelnde Toben der wilden Wunschmädchen letztlich die Kühe lachen. Daß Beckmesser den Stecker zur elektrischen Pumpe zieht, nimmt dem letzten nationalistischen Ruch die Schärfe, da geht dem Chauvinismus tatsächlich die Luft aus.
Das Orchester und vor allem der phantastische Festspielchor unter Thomas Eitler de Lint geben wirklich alles und schaffen ein wuchtiges, prachtvolles Finale. Die Gäste haben ihren Spaß, singen und tanzen, die hohen Werte sind ihnen wurscht. Eva und Walther machen das alles sowieso nicht mehr mit und verlassen die Szene, während Beckmesser nicht aufhört, mit Sachs über den verpfuschten Text zu diskutieren.
Vorhang zu, tosender Applaus, teils stehend. Was für ein Fest!
Andreas Ströbl, 3. August 2025
Die Meistersinger von Nürnberg
Richard Wagner
Bayreuther Festspiele
Aufführung am 2. August 2025
Premiere am 25. Juli 2025
Musikalische Leitung: Daniele Gatti
Festspielorchester Bayreuth
Inszenierung: Matthias Davids