Hochzeitsnacht im Trafo-Häuschen…
Premiere am 25. Juli 2018
Für Neo Rauch, einem der Stars der deutschen Kunstszene und Ausstatter der Neuinszenierung des nicht zuletzt deshalb mit Spannung erwarteten „Lohengrin“ am Grünen Hügel von Bayreuth, ist der „Lohengrin“ „die malerischste Oper, dir mir je begegnet ist. Sie stellt sich als ein gewaltiges Standbild dar.“ Und damit ist das meiste eigentlich schon gesagt. Was wir am hitzigen Premierentag der 107. Bayreuther Festspiele erlebten, nach erfolgreicher Überwindung der offenbar auf Alarmstufe Rot agierenden Polizeikordons, war ein Primat des Bühnenbildes über die Regie, wenn man denn von einer solchen überhaupt sprechen kann. Es schien, als wären beide nie recht zusammen gekommen, genauso wie Lohengrin und Elsa in dieser Inszenierung des jungen amerikanischen Regisseurs Yuval Sharon. Wunderbar anzuschauende Megaprospekte mit dunkel dräuenden Wolken in einem die ganze Produktion bestimmenden Delfter Blau mit allen denkbaren Schattierungen im Licht von Reinhard Traub, zeitweise durchbrochen von kräftigen Sonnenstrahlen, nehmen den Zuschauer umgehend ein und lassen sogar Manches vergessen, was in ihrem Rahmen stattfindet. Denn das war für Wagnersches Musiktheater zu wenig. Mit dem Blau lagen Rauch und seine Frau Rosa Loy bei „Lohengrin“ aber sicher richtig, denn schon Nietzsche sprach der „Lohengrin“-Musik „opiatische, narkotische Wirkung“ zu. Und der die „Lohengrin“-Sphäre bestimmenden Tonart A-Dur ist eindeutig das Blau zuzuordnen. Auch in den zum Teil der niederländischen Malerei Rembrandts entstammenden und durchaus interessanten Kostümen von Rosa Loy, die zudem „in einem Zirkelschluss“, wie Neo Rauch meint, von der Gegenwart und der Zeit des Stücks auch Andeutungen an die Jetztzeit und die Zeit der Brabanter im Mittelalter machen, ist Blau oder gedecktes Grau die Farbe der Wahl. Selbst die silbernen Haare Elsas erschimmern schon bläulich und machen sie von Beginn an zu einer älteren Frau. Das war von Wagner so nicht angedacht, aber passend zum Konzept dieser Produktion, die in Elsa schon im 1. Akt eine skeptische und selbstbewusstere Frau sieht als das meist das Frageverbot unüberlegt annehmende Dummchen. Eigentlich brauchte es dazu gar nicht mehr der Beratung durch Ortrud, der bei Sharon diese Rolle als neuer Regieeinfall zufällt und damit die finstere Gegnerin zu einer fast freundlichen Partnerin macht. Was nicht alles möglich ist, wenn es im #metoo-Zeitalter gegen die Männer geht…!
Youval Scharon, der für den absagenden Alvis Hermanis einsprang, wie es des Öfteren in den letzten Jahren gerade bei Regisseuren am Grünen Hügel zu erleben war, hatte sich mit Rauchs und Loys Bühnen- und Kostümkonzeption einverstanden erklärt und diese für schlüssig gehalten. Dass daraus kein spannender „Lohengrin“ wurde, konnte er vielleicht nicht ahnen – but it takes two to Tango. So war er auch damit einverstanden, sich von Rauch im 1. Akt eine ausgediente Trafostation und einen Strommast in den Mittelpunkt der Bühne stellen zu lassen. Lohengrin sollte als Grals-entsandter Elektriker in schnittigem stahlblauem Overall neue Energie in die ermattete Gesellschaft der Brabanter bringen, deren Führer – nach Rauch – riesige Mottenflügel tragen. Dabei haben Motten eher gefärbte Flügel und jene, die man auf der Bühne sah, glichen klar den transparenten Flügeln der Libelle oder Biene. Ein etwas tieferer Blick in die Entomologie hätte hier schnell Klarheit geschafft. Es kam dem Leading Team aber auf die Assoziationskette von elektrischer Energie, die zum Licht führt, welches wiederum die Motten anzieht, an…
Die Umspannwerk-Ästhetik und -Bedeutung war für die Mehrheit der Festspielbesucher wohl nur nach Lektüre einiger Erklärungen des Regisseurs im Programmheft – und wohl nur in Grenzen – nachvollziehbar. Der „Gralsritter“ kommt standesgemäß mit einem Blitz-Schwert. Statt dass es den Widersacher mit Blitzen zu Boden streckt, müssen wir einen Luftkampf von zwei Stunts über uns ergehen lassen, der schlicht entbehrlich, ja fast albern wirkt, angesichts der Dramatik der Situation. Lohengrin muss dabei Telramund nur einen Flügel abnehmen, und schon ist der Fall erledigt. Der Schwan ist als weiße Ausgabe des stromlinienförmig stilisierten Prototyps einer Nachfolgegeneration des US-amerikanischen Tarnkappenbombers zu sehen. Immerhin fliegt dieser wenigstens recht gut. Die Brabanter huldigen mit leuchtenden, also, Motten auf den Holzspeeren ihrem neuen Idol Lohengrin. Natürlich bekommt auch er die Flügel umgehängt. Während des finalen Schwanengesangs nach der Gralserzählung, die Lohengrin aufgrund der Ereignisse schon mit mentaler Schwäche zunächst aus liegender Position singen muss – denn mit dem Scheitern seiner Mission ist auch seine Kraft dahin – erlöschen die Motten nach und nach. Das Licht geht wieder aus in Brabant…
Die allzu altbacken auf Sperrholz gemalten Pinien erinnern eher an die Toskana als an die Schelde, der besonders zu Beginn des 2. Akts in einem allzu düsteren Bild im Schilfgürtel gehuldigt wird, in dem – Operntechnik von vor über 100 Jahren bzw. aktuelle Technik des Papiertheaters – feste Busch- und Schilf-Kulissen aus Sperrholz hin- und hergeschoben werden. Leider verpuffen die dramaturgisch so wichtigen Dialoge zwischen Ortrud und Telramund, sowie von ihr mit Elsa, die wie auf einer Briefmarke ganz hinten aus dem Fenster des Trafohäuschen im Dunkel singt. Es sei denn, ein guter Feldstecher leistet etwas Unterstützung bei der Erkenntnis dessen, was da abgeht. Dass Ortrud ihren Gatten langsam aber sicher mit einem Seil einwickelt, ist auch wahrlich nichts Neues und allzu vordergründig. Was hat David Alden vor ein paar Wochen in London Covent Garden mit Thomas J. Mayer und Christine Goerke aus dieser Szene gemacht!
Im Mittelakt ist überwiegend Stehtheater angesagt, gerade auch der Chöre. Nahezu lähmend kommt der Brautzug daher, der sich in einem endlos wirkenden Auftritt der viel zu zahlreichen Brautjungfern darstellt, die pathetisch weiß-blaue Papierschnipsel auf den Boden fallen lassen. Hoffentlich hat das wenigstens dem Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder in der Ehrenloge gefallen. So bleibt der von Rauch erwünschte Standbildcharakter seiner Bilder weitgehend erhalten. Von einer guten Personenregie kann in diesem „Lohengrin“ also leider (noch) nicht gesprochen werden. Man hofft auf die Werkstatt Bayreuth, die früher einmal intensiv genutzt werden konnte.
Das Brautgemach findet in einem kleinen, die Bühnenmitte beherrschenden orangefarbenen Trafohäuschen statt. Nachdem Lohengrin und Elsa sich aus den obligatorischen Hotel-Bibeln unengagiert etwas vorgesungen haben und man auf den Nachttischen wiederum einen leuchtenden Isolator und Strommast gewahrt, kommt unerklärlicherweise die Energieladung von außen erst mit dem Eindringen Telramunds. Ihm wird nun mit einer elektrischen Mega-Entladung auch der zweite Mottenflügel genommen, was sein Ende bedeutet. Zuvor hatte Lohengrin Elsa zu „Höchstes Vertraun…“ an einen riesigen Isolator gefesselt. Also doch berechtigte #metoo Reaktion der Damen am Schluss auf diese Sado-Maso-Aktion, zumal Elsa und Ortrud am Ende als einzige Frauen übrig bleiben?! Dann hätte Elsa nach der Fesselung aber nicht weiterhin ihre Angst vor Lohengrins imminentem Verschwinden besingen müssen. Ist da der Text wirklich nachhaltig gelesen worden?
Rauch sagte auf Nachfrage in der heutigen Mitgliederversammlung der Freunde von Bayreuth e.V., das Textbuch sei ihm nicht so wichtig gewesen. Er habe es zwar gelesen, um zu wissen, worum es geht, sich mit seiner Frau aber auf die Musik dieses „Märchens für Erwachsene“ bei jahrelangem Hören in ihrem Atelier konzentriert. Für ihn erschließe sich – durchaus nachvollziehbar – die Bedeutung eines Kunstwerks über die Sinnlichkeit. Bedeutung und Erklärung hingegen würden durch den Verstand erreicht. Das sei jedoch, wie er meint, nachrangig. Aber gibt es dazu nicht doch Grenzen, wenn man das Stück inszenieren will und wenigstens eine minimale Logik wahren möchte/sollte? Hier schienen mir diese Grenzen überschritten. Unklar blieb auch, warum König Heinrich schon zu Beginn eine silberne Doppelausgabe des futuristischen Schwans auf seiner Brust trägt. Das konnte doch kein Zufall sein. Wenn er etwas von Lohengrins Kommen wusste, hätte man à la „Ariadne auf Naxos“ dem Heerrufer die halbe Rolle und Elsa „Einsam in trüben Tagen…“ streichen können…
Wenn auch der Sphäre der Sinnlichkeit zuzuordnen, so ist die rationale Frage nach der Bedeutung des von Kopf bis Fuß mit einem froschgrünen Rasenteppich verkleideten Männchen angezeigt, das als Gottfried kommt. Nach Neo Rauch stehe es für die Wiedergeburt, den Neubeginn. Es sei ihm in einem Traum erschienen, „eine Zusendung aus dem Unterbewusstsein, die sich in das Allgemeingut einklinkt.“ Da es aber wiederum einen nun grünen Isolator in der Hand trägt, der auch noch blinkt, war das für mich – in einer vom Leading Team durchaus akzeptierten zeitgenössischen Interpretation – ein Vertreter der mittlerweile weltweit auf dem Vormarsch befindlichen Green Energy im Sinne der UN-Losung „SE4ALL“ sustainable energy for all… Eine reale, weltumfassende und demokratische Option! Und dazu muss man wenigstens nicht träumen. Warum fielen deswegen alle Brabanter tot um? Nur Loy und Sharon werden es wissen…
Gesungen wird weitestgehend beeindruckend. Georg Zeppenfeld ist als einer der besten Wagner-Bässe der Gegenwart ein prägnant und ebenso kraft- wie respektvoll singender König Heinrich, klar artikulierend und wortdeutlich. Leider ist er von der Regie zu sehr in den Hintergrund geschoben. Der kurzfristig für den wegen mangelnder Vorbereitungszeit und Textproblemen absagenden Roberto Alagna eingesprungene polnische Tenor Piotr Beczala ist ein Lohengrin von allerhöchster Güte. Geschmeidig und ausdrucksvoll sein leuchtender Tenor, der das Leiden dieses verlorenen Helden auch stimmlich glaubhaft macht und bisweilen mit einer gewissen Italianità verknüpft. Etwa so konnte es Mario del Monaco gesungen haben. In den dramatischen Höhen wird die Stimme etwas schlanker. Darstellerisch wurde Beczala mit Anja Harteros zum Zentrum der Produktion. Die vielseitige Sängerin begann im 1. Akt etwas verhalten, – man sollte dabei auch an die hohen Temperaturen im Festspielhaus denken, – entwickelte dann aber ihren farbenreichen und wortgenauen Sopran mit bisweilen silbriger Helligkeit und wohlklingenden Ausbrüchen in emotionale Dramatik, bei guter Diktion. Harteros hat damit ihre internationale Qualität als Wagner-Sängerin auch in Bayreuth unter Beweis gestellt, ganz abzusehen von ihrem intelligenten Spiel. Nach 18 Jahren kehrte die große Waltraud Meier wieder auf den Hügel zurück und singt hier nun auch ihre letzte Ortrud. Unvergleichlich ist die sängerdarstellerische Kompetenz dieser intelligenten Sängerin, die auch mit der Ortrud wieder eine große stimmliche und darstellerische Intensität ins Spiel brachte. Unverwechselbar auch ihr schönes abgedunkeltes Timbre und Stimmfülle in der Mittellage. Bei „Entweihte Götter …“ und dem finalen „Kehr heim…“ wurden stimmliche Grenzen hörbar. Sie sollen aber dem großartigen Auftritt von Waltraud Meier als Verkörperung einer idealen Ortrud in diesem „Lohengrin“ keinen Abbruch tun. Tomasz Konieczny war mit ihr stimmlich nicht auf Augenhöhe. Zwar verfügt der Bariton über große stimmliche Kraft und blendende Höhen in seinem Fach, dem Heldenbariton. Aber er singt zu undeutlich und auch oft technisch unsauber, so dass man nicht allzu viel versteht. Vielleicht hat er doch zu viel Wotan gesungen in der letzten Zeit. Auch kam es bisweilen wieder zu den bei ihm bekannten Vokalverschiebungen. Egils Silins ist eine Luxusbesetzung des Heerrufers. Die vier Edlen des Telramund sind bestens besetzt mit Michael Gniffke, Eric Laporte, Kay Stiefermann und Timo Riihonen. Sie agieren ziemlich brutal für Telramund und tragen alle die gleichen Brillen aktueller Kollektion. Auch die Edelknaben und Edeldamen singen tadellos. Eberhard Friedrich hat den Festspielchor wieder bestens einstudiert. Er klingt einzigartig, wenngleich im 1. Akt auch einmal nicht ganz im Einklang mit der Musik. Von Choreografie kann diesmal keine Rede sein.
Die wahre Offenbarung spielte sich aber wieder einmal im mystischen Bayreuther Graben ab, in dem Musikdirektor Christian Thielemann das Zepter führte und damit als zweiter Dirigent in Bayreuth alle 10 Werke des Kanons dirigiert hat – ein bemerkenswerter Rekord. Schon mystisch verklärt gelingt dem Festspielorchester das Vorspiel und stimmt einzigartig auf das so beruhigend wirkende Delfter Blau des 1. Akts ein, sodass einem sofort klar wird, warum diese Farbe zum A-Dur des „Lohengrin“ gehört. Es ist immer wieder ein Erlebnis zu hören, wie filigran Thielemann die verschiedenen Tonebenen der Wagnerschen Partituren im Graben auffächern kann und somit die ganzen Feinheiten und Facettierungen dieser einzigartigen Musik zum Ausdruck und Leuchten bringt. Das gelingt ihm gerade auch an diesem Abend wieder, trotz der Hitze, die im Graben geherrscht haben muss, und hier und da kleinste Unebenheiten produziert haben mag. Ein Kompliment den Musikern! Es ist kaum notwendig zu erwähnen, dass Thielemann auch wieder exzellent auf die Sängerinnen und Sänger einging. Er machte diesen neuen „Lohengrin“, an dem szenisch und vielleicht auch dramaturgisch hoffentlich noch viel gearbeitet werden wird und auch sollte, zu einem musikalischen und damit wieder versöhnenden Erlebnis. Frenetischer Applaus mit Trampeln für die Sängerinnen und Sänger, besonders für Waltraud Meier, Piotr Beczala sowie Christian Thielemann. Deutlich zurückgenommener Applaus mit einigen Buhrufen für das nur einige Sekunden vor dem Vorhang erscheinende Regieteam, als wäre man nicht sicher, um wen es sich da handelt.
Fotos: Enrico Nawrath / Bayreuther Festspiele
Klaus Billand 28.7.2018