am 13. Juni 2019
Gestern Abend begann der Palast der Künste (MÜPA) in Budapest erneut mit der 11 Jahre alten Inszenierung des „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner, die man vor zwei Jahren eigentlich schon einschläfern wollte. Aber der Publikumswiderspruch war so stark, dass sich der Künstlerische Leiter der seit Jahren aus aller Welt Wagner-Interessierte anziehenden Wagner-Tage, Maestro Ádám Fischer, mit seinem Produktionsleiter und casting director Tamás Bátor vornahm, die hier schon oft kommentierte halb-szenische Hartmut Schörghofer-Produktion aufzufrischen. Es ging nun darum, ihr ein face-lifting zu geben, wie Fischer bei einem Empfang nach dem „Rheingold“ sagte. Die beiden jeweils nur viertägigen „Ring“-Zyklen im Juni waren innerhalb kürzester Zeit ausverkauft. Es hat sich mittlerweile offenbar herumgesprochen, welch exzellente musikalische – mit dem Ungarischen Radio Symphonie Orchester – und gerade auch sängerische Qualität die Wagner-Tage im herrlichen und akustisch beeindruckenden Béla-Bartók-Saal des MÜPA zu bieten haben.
Mit neuen Akteuren wie Máté Vajda für das Licht, Corinna Crome für die Kostüme, dem Szupermodern Filmstúdio Budapest für die wichtigen Videos, Gábor Vida für die beeindruckende sowie dramaturgisch stets sinnhafte Choreographie und – last but not least – mit dem Dramaturgen Christian Baier (der ursprüngliche Dramaturg Christian Martin Fuchs war unterdessen verstorben) wurden insbesondere die Kostüme der Damen und die Videos auf den drei großen Screens verändert, bzw. ganz neu aufgesetzt. Das hatte natürlich auch Konsequenzen für die Personenregie. Und diese war sensationell! Man merkte zu keinem Moment das Fehlen einer szenischen Produktion, so intensiv waren die Akteure gezeichnet, mit ebenso starker Mimik, die aber zu einem guten Teil auch auf die persönlichen Rollenerfahrungen einiger Protagonisten zurückzuführen sein dürfte. Die Herren waren bis auf Loge alle im Frack. Das mag in einer halb-szenischen Aufführung in Ordnung sein. Wenn aber Alberich mit Mime um den Tarnhelm streitet, und letzterer dabei spektakulär zu Boden geht, passt der Frack nicht mehr dazu, und man fragt sich, warum – wie dem Loge – nicht auch den beiden eine einfachere und damit zu ihrem „Stand“ besser passende Kluft gewährt wurde. Hier hätte ein bisschen mehr "Inszenierung" gut getan.
Immerhin waren neun von den 14 Solisten Ungarn. Hervorstach Péter Kálmán, der wohl v.a. in Zürich singt, mit seiner Interpretation des Alberich, und zwar stimmlich wie darstellerisch. Eine großartige Rollenstudie wurde da geliefert, die den Sänger m.E. unter die besten Alberiche unserer Zeit einreiht. Der alte Haudegen Christian Franz, noch aus der Zeit Ádám Fischers in Bayreuth und seit Beginn der Wagner-Tage dabei, sang einen fast genialen Loge, beherrschend und mit oft schönem tenoralem Timbre – man glaubt es kaum! Ich erlebte ihn schon vor vielen Jahren in Rom als Loge, und auch dort war er beeindruckend und „spielführend“. Manchmal streifte Franz allerdings die Grenzen einer auch noch zu laut werdenden Deklamation. Aber das kennen wir ja von ihm. Johan Reuter war ein stimmlich guter, aber darstellerisch etwas zu passiver Wotan. Gerhard Siegel stellte wieder einmal eine Luxusbesetzung für die kleine Rolle des Mime dar – der Siegfried steckt ihm immer noch in der Kehle. Er wird „seinen Abend“ eh im „Siegfried“ bekommen.
Atala Schöck sang eine besorgte und stimmschöne Fricka und Per Bach Nissen einen kantablen Fasolt, wenn er auch etwas intensiver in der Darstellung hätte sein können. Hier wurde ja, ganz anders als bei Katharina Wagner im Januar bei ihrer „Walküre“ in Abu Dhabi, den Sängern frei gelassen, Emotionen zu zeigen, bzw. waren diese sogar dezidiert erwünscht. Walter Fink, auch ein alter Recke der Wagner-Tage, orgelte mit seinem abgründigen Bass wieder den Fafner. Zsolt Haja sang den Donner mit klangvollem Bariton bei bester Intonation und Szabolcs Brickner den Froh mit baritonal unterlegtem, kräftigem Tenor und deshalb eindrucksvoller als sonst üblich. Lilla Horti gab eine Freia mit durchschlagskräftigem und gleichwohl leuchtendem Sopran bei guter Optik, den Geschmack Fasolts adelnd. Die bewährte Erika Gál sang aus einer imaginären Ferne die Erda. Sie brach optisch bestechend aus einer Erdscholle heraus, wie die Patschamama in Südamerika, die dort direkt aus der Erde herauswachsend dargestellt wird.
Ganz exzellent agierten und sangen die stimm- und auch sonst schönen und attraktiv bemalten Rheintöchter mit Eszter Wierdl als Woglinde, Gabriella Fodor als Wellgunde und die aparte Kálnay Zsófia als Flosshilde mit klangvollem Mezzo, der nach mehr Wagner in den kommenden Jahren klingt… Hinzu kam eine äußerst phantasievoll choreografierte Tanzgruppe, die vor allem hinter den Screens interessante Formationen gestaltete, die die jeweilige Handlung oder Musik optisch unterstrichen. Leider verpuffte die Dramatik des Finales, weil die Götter viel zu früh hinter den Screens verschwanden und damit der hohle musikalische Pathos ihres hier eigentlich vorgesehenen Aufstiegs nach Walhall nicht nachvollziehbar war – zumindest für Wagner-Neulinge. Loge schien das Publikum um Entschuldigung zu bitten…
Es war dennoch ein ganz starker Abend, vor allem wegen der Qualität von Fischers Dirigat und den allesamt sehr wortdeutlichen Sängern. Es gab lang anhaltenden und schließlich rhythmischen Applaus des Publikums. Dieses „Rheingold“ zeigte einmal mehr, dass Richard Wagner unter Ádám Fischer am MÜPA zu den allerersten Adressen des Bayreuther Meisters in Europa gehört. Die Bezeichnung „Donau-Bayreuth“ hätte durchaus ihre Berechtigung. Schön, dass Maestro Fischer es noch so lange machen will, wie er kann. Das versicherte er emotional glaubhaft auf dem Empfang, auf dem auch der Generaldirektor des MÜPA, Csaba Káel, und der Regisseur Hartmut Schörghofer sprachen und der Erste Konzertmeister, Vilmos Oláh, stolz und begeistert seine erst kürzlich als Leihgabe erhaltene Stradivari vorführte.
Mal sehen, wie es heute mit der „Walküre“ weitergeht, in der die große Catherine Foster als Brünnhilde erwartet wird, die man leider bisher immer noch nicht in Wien zu hören und sehen bekam.
Fotos (c) János Posztós, Müpa Budapest
Klaus Billand, 14.6.2019