Buchkritik: „Nicht schön genug?“, Cornelia Oelwein

Adelaide Schiasetti, Amalie von Stubenrauch, nie gehört? Nicht? Auch nicht von den schönen operninteressierten Münchnerinnen unter unseren Leserinnen? Dabei gehörten die beiden Damen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu den Stars des Münchner Hoftheaters – und apart waren sie auch noch, wenn man den Bildern glaubt, die man von ihnen malte.

Umso merkwürdiger, dass sie, obwohl sie dazu ausersehen waren, niemals in der von Ludwig I. ermöglichten Schönheitengalerie gelandet sind. Waren sie „nicht schön genug“? Gewiss nicht; die Ablehnungsgründe waren diverser Natur. Ein neues Buch, das pünktlich zum 200. Jahrestag der Thronbesteigung des (die Bayreuther überlesen bitte diesen Satz) bedeutendsten bayerischen Königs erschien, enthält nun die Ergebnisse einer eigentümlichen wie spannenden, am Ende auch lohnenden Spurensuche. Vorgenommen wurde sie von der Historikerin Cornelia Oelwein, die sich in einem guten, nein: einem sehr sehr guten Buch bereits den gleichsam kanonischen Damen der Galerie gewidmet hat, die vom König im Festsaalbau der Münchner Residenz (der im Krieg zerstört und leider nicht rekonstruiert worden ist) platziert wurde. Heute kann man die beauties der Ludwig-Ära im Schloss Nymphenburg bewundern: auch einige Damen vom Theater, die einen nicht geringen Teil der zumeist von Joseph Stieler gemalten Schönheitengalerie ausmachen. Nun also folgte ein Band über all jene Frauen, die irgendwann einmal vom Maler und / oder vom König als Kandidatinnen gelistet, aber nicht gemalt oder – wenn sie denn gemalt wurden – nicht in der berühmten Sammlung verewigt wurden. Die Autorin kam auf gut 20 Namen und Biographien, ohne alle Frauen dingfest machen zu können, doch was sich in den 19 Kapiteln und einem Sonderkapitel über ein Phantom, die vermeintliche Gräfin Rambaldi, auftut, ist nichts weniger als eine Kulturgeschichte, die, meist von München ausgehend, über Standesgrenzen hinweg ein Bild des 19. Jahrhunderts zeichnet, wie es schöner und facettenreicher nicht sein könnte. Ihren Auftritt haben also auch Schauspielerinnen, Opern- und Konzertsängerinnen – mag deren Gesang längst verflogen sein, so zeugen die schriftlichen Dokumente doch von einer Kultur, die einmal sehr lebendig war. Adelaide Schiasetti, deren Bild überliefert worden ist, weil sie zu den Populären und nicht zu den No-Names gehörte (im Buch sehen wir das vom Hofmaler im Jahre 1820 vielleicht noch ein wenig veredelte und sehr schöne Gesicht der freundlich in die Kamera schauenden attraktiven Frau), die Schiasetti war nicht irgendwer, sondern 1819 die erste Münchner Rosina. Regina Lang, die viel zu früh, nach dauernder Krankheit, starb, war die erste Sängerin der Münchner Hofoper und trat in Werken von Ferdinando Paër, etwa im Sargino, auf, auch in den ihrerseits damals populären und heute so gut wie vergessenen Werken Peter von Winters; Das unterbrochene Opferfest gehörte einmal zu den Schlagern des Jahrhunderts. Amalie von Stubenrauch war eine höchst beliebte Schauspielerin, die, bei aller Dezenz des Charakters, ein theatralisches Leben führte, beispielsweise in Webers Preciosa auftrat und mit Koryphäen wie Meyerbeer (der in Zusammenhang mit Ida Avigdor noch einen kurzen Auftritt haben wird), natürlich auch mit dem Münchner Kapellmeister Peter von Lindpaintner bekannt war, bevor sie der Bühne Adieu sagte und zur Freundin des württembergischen Königs Wilhelm I. wurde. Katharina Sigl-Vespermann, ein eher zwielichtiger Charakter, war die erste Münchner Marzelline und das erste Ännchen an der Isar, sang u.A. in Méhuls Une folie und anderen vergessenen und immer noch bekannten Opern Hauptrollen. Oelwein erzählt die Lebensgeschichten der Künstlerinnen in aller Vollständigkeit und historiographischen Gewissenhaftigkeit, ohne die kritisch kommentierten „Gschichterln“ auszulassen. So entstand ein lebendig gemaltes Panorama auch des Münchner Theater- und Opernwesens, in dem ein Divenkrieg so gut einen Platz hat wie die mal mehr, mal weniger intensiven Beziehungen der Schönen zum König, der sich denn doch nicht dazu entschließen konnte, sie in seine öffentliche Galerie zu integrieren.

Dass einige der Frauen ihre Maler fanden und der Schwanenhals der kapriziösen Katharina Sigl-Vespermann wie die auffällig frisierte Amalie von Stubenrauch, auch die sanft schauende Regina Lang und die alle überstrahlende Adelaide Schiasetti damals konterfeit wurden, um heute im Bildteil präsentiert werden zu können, ist das eine. Ihre wahre Porträtistin haben sie jetzt durch Cornelia Oelwein gefunden, die sich durch zeitgenössische Akten, Zeitungen, Lebensberichte, Briefsammlungen, Matrikeln und Todesanzeigen arbeitete, um, durchaus nicht nebenbei, in die Münchner Operngeschichte hineinzuleuchten. Die Opernfreunde, die an so etwas Exotischem wie der Geschichte des Musiktheaters zwischen Mozart und Wagner interessiert sind, muss der Band dringend empfohlen werden – den aficionados, die mit dem Begriff der „Schönen Münchnerin“ etwas anfangen können, muss er, glaube ich, nicht extra nahegelegt werden.

Frank Piontek, 13. Juni 2025


Nicht schön genug?
Kandidatinnen für die Schönheitengalerie König Ludwigs I.

Cornelia Oelwein

336 Seiten, Volk Verlag, München 2014