Gerade mal für eine einzige CD reichen die kargen Quellen zu einer der faszinierendsten Musikerinnen der Frühen Neuzeit aus, nämlich der Venezianerin Barbara Strozzi.
Freunde der erfolgreichen und gutgemachten Reihe von Hörbiographien des Bayerischen Rundfunks sind tatsächliche umfangreiche Formate mit vier CDs gewohnt, aber Archivalien und andere Schriftquellen liefern nur wenige Informationen über die Sängerin und Komponistin des italienischen Barock, deren Werke derzeit von den wenigen Kultursendern, die die Bezeichnung noch verdient haben, endlich wiederentdeckt werden.
Dummheit, Unbildung, Komplexe, Gier nach Macht oder Geld und Angst vor Kontrollverlust – das sind nur einige Gründe, die Menschen dazu antreiben, sich über andere zu stellen. Daß die Leute eben Kinder ihrer Zeit seien und frauenfeindliche, rassistische oder elitär-unterdrückerische Haltungen irgendwann mal salonfähig gewesen seien, ist eine dürftige Erklärung, die verkennt, daß es immer kluge Köpfe gegeben hat, die sich über das hinweggesetzt haben, was der Zeitgeist vorzuschreiben schien. Der Dichter Giulio Strozzi war einer derjenigen, dem klar war, daß Frauen mindestens so intelligent, begabt und phantasievoll sein können wie Männer und so ermöglichte er seiner 1619 unehelich geborenen Tochter eine musikalische Ausbildung. Seine Freundschaften mit Claudio Monteverdi und Francesco Cavalli kamen ihm, vor allem aber seiner Tochter als Schülerin des Letzteren, zugute. Bald eroberte sie sich mit ihrem Gesang und ihren Kompositionen kulturelle Räume, die bislang allein von Männern besetzt waren.
Qualität setzt sich eben durch, wenn selbstbewußte und aufgeweckte Frauen wie Barbara Strozzi entsprechend auftreten und einer selbstgefälligen Männerwelt die stolze Stirn bieten. Ob das auf dem Cover abgebildete Gemälde „Die Gambenspielerin“ von Bernardo Strozzi (offenbar kein ganz naher Verwandter von ihr) ein Portrait von Barbara ist, wird nie eindeutig zu klären sein. In jedem Falle ist es mit dem Auge eines Mannes gemalt, denn die lasziv entblößten Brüste und die Blumen im Haar rücken die Dargestellte in den eher zweifelhaft beleumundeten Kreis der Kurtisanen – auch, wenn es hierunter Edel-Kurtisanen gab, die sich vor allem der Kunstpflege widmeten.
Wiebke Puls leiht der Künstlerin in der Produktion ihre Stimme und gibt dem selbstbewußten, aufrechten Charakter Barbaras Ausdruck. Erzähler ist auch in dieser Hörbiographie Udo Wachtveitl, der ein erneutes Mal mit Hilfe gut recherchierter Texte das Venedig des 17. Jahrhunderts charmant lebendig werden läßt.
Zitate werden von Thomas Albus, Folkert Dücker, Christoph Jablonka, Jerzy May und Katja Schild eingesprochen. Für Redaktion und Regie war Bernhard Neuhoff verantwortlich, Tonregie und Technik oblagen Michael Krogmann und Daniela Röder.
Glücklicherweise gibt es doch so viele Werke von Barbara Strozzi, um mit Tonbeispielen einen klingenden und sehr frischen Eindruck ihres Schaffens zu vermitteln. Die Sängerin und Komponistin wird den Hörerinnen und Hörern sehr sympathisch, wenngleich man sich fragt, weshalb sie drei ihrer Kinder dahin schickte, wo ihr Vater sie selbst nicht sehen wollte – ins Kloster. Ob es dafür plausible Gründe gab, wird aufgrund der schlechten Quellenlage wahrscheinlich unklar bleiben.
Man wird beim Hören angesichts der misogynen Auslassungen von Barbara Strozzis männlichen Zeitgenossen jedenfalls oft wütend, aber sollte sich beim Kopfschütteln über vergangene Zeiten klarmachen, daß auch bei uns Frauen im Schnitt immer noch 18% weniger verdienen als Männer. Gendersternchen und Doppelpunkte vor genusbestimmenden Wortendungen sind nichts weiter als jämmerliche Almosen einer immer noch männerdominierten Gesellschaft. Auf dem Weg zu einer echten Gleichstellung ist noch viel zu tun!
Andreas Ströbl, 25. Januar 2024
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