CD: „Flammen“, Erwin Schulhoff

Der jüngst vom Label Capriccio auf CD veröffentlichten Aufnahme von Erwin Schulhoffsauf einem Libretto von Karel Josef Benes – die deutsche Übersetzung stammt von Max Brod – beruhendereinziger abendfüllender Oper Flammen liegt eine Produktion des Theaters an der Wien vom August 2006 zugrunde. 17 Jahre hat es gedauert, bis sich endlich ein Label dazu entschlossen hat, den Live-Mitschnitt dieses durchaus beachtlichen Werkes auf Tonträger herauszubringen. Die musikalische Ausbeute ist nicht zu verachten und zeugt von den hohen Qualitäten ihres Schöpfers.

Erwin Schulhoff (1894 – 1942) ist nur einer von zahlreichen Komponisten, deren Schaffen im Dritten Reich von den Nationalsozialisten verfemt, als entartete Musik bezeichnet und schlussendlich verboten wurde. Dieses Schicksal hat Schulhoff mit vielen anderen Tonsetzern geteilt, deren oft ausgesprochen ansprechenden Werke von den bornierten braunen Machthabern kurzerhand auf den Index gesetzt wurden. Auch Schulhoff konnte sich den Auswirkungen der politischen Entwicklung nicht entziehen. Nach der Besetzung Tschechiens, wo er mit seiner Familie lebte, durch die deutsche Wehrmacht im März 1939 plante er die Emigration in die Sowjetunion, deren Staatsbürgerschaft er besaß. Zu einer Flucht des Komponisten kam es jedoch nicht mehr. Er wurde von den Nazis im Juni 1941 verhaftet und in das deutsche Konzentrationslager Wülzburg gebracht, wo er am 18. August 1942 im Alter von nur 48 Jahren an Unterernährung und Tuberkulose starb. Nach seinem Tod geriet sein Schaffen über Jahrzehnte hinweg in Vergessenheit

Erst in den 1990er Jahren kam es zu einer Renaissance der Musik von Schulhoff, darunter auch die Flammen. Und das ist äußerst verdienstvoll, denn diese Oper kann sich durchaus sehen lassen. Ihr Ausgangspunkt ist der Don-Juan-Stoff, der vielfach in der Literatur- und Musikgeschichte Verarbeitung fand. Berühmt geworden ist in erster Linie Mozarts Deutung des Stoffes unter dem italienischen Titel Don Giovanni. Sicher ist die Oper von Mozart die berühmtere, aber auch Schulhoffs Bearbeitung des Stoffes kann sich sehen lassen. Sein Zugang zu dem Stück ist ein gänzlich anderer als der von Mozart, dennoch kann man die Flammen als eine Art verfremdete Hommage an Mozarts Werk bezeichnen (vgl. Booklet). Dem Booklet lässt sich auch die Grundkonzeption seiner Schöpfer entnehmen: Die Grundidee in Benes und Schulhoffs Werk ist nicht die Darstellung des schillernden Frauenverführers, sondern das Schicksal des von seinen Wünschen und Bedürfnissen Getriebenen, der nie auch nur annähernd sein Glück und seinen Frieden in der Beständigkeit zu finden vermag. Dramaturgisch essentiell ist die Gegenüberstellung von Leben und Tod. Dem die Flammen des Lebens symbolisierenden Don Juan steht der Tod bzw. die Frauenfigur La Morte gegenüber, die für die Flammen des Todes steht. Dieses Gegensatzpaar zieht sich unwiderstehlich an, kann aber nie zusammenfinden. Don Juan, der La Morte in Liebe verfallen ist, sehnt sich nach dem Tod, der ihm aber verwehrt bleibt. Seine Versuche, die Todesfrau zu verführen, scheitern. Am Ende steht erneut die Szene des Anfangs. Hier haben wir es mit einem Kreislauf zu tun, der ständig von neuem beginnt und den Protagonisten nicht freigibt. Das Ganze wird von sechs Schatten kommentiert: Sechs Frauenstimmen, die die Funktion eines antiken griechischen Chores einnehmen. Im Gegensatz zu Mozarts Don Giovanni sind die Flammen nicht aus einem linearen Handlungsfaden aufgebaut, sondern bestehen aus einer losen Abfolge von Szenen. Daraus ergibt sich ein sequenzartiger Charakter des Ganzen.

Schulhoff hat eine eindringliche Musik geschrieben. Insgesamt ist seine Oper stark der Prager Schule als Gegensatz zur Wiener Schule verpflichtet. Das Stück enthält keine Ohrwürmer, ist aber doch recht angenehm anzuhören. Seine spätromantische Tonsprache wird von einer erweiterten Tonalität geprägt und kann den Einfluss eines Max Reger nicht verleugnen. Ein prägnanter Rhythmus, Einflüsse des Jazz und expressionistische Anklänge sind weitere Merkmale von Schulhoffs Musik, die bei Bertrand de Billy und dem versiert aufspielenden ORF Vienna Radio Symphony Orchestra in besten Händen ist. Die vielfältigen Strukturen der Musik werden vom Dirigenten trefflich herausgearbeitet. Emotional dargebotenen lyrischen Passagen, die fast kammermusikalisch anmuten, korrespondieren enorm wuchtige, dramatische Phrasen, woraus ein differenzierter, ansprechender Klangteppich resultiert.

Größtenteils zufrieden sein kann man mit den gesanglichen Leistungen. Einzige Ausnahme bildet leider Raymond Very, der der Rolle des Don Juan mit seinem flachen, überhaupt nicht im Körper sitzenden und etwas kehlig klingenden Tenor in keinster Weise gerecht wird. Da ist ihm Iris Vermillion, die die La Morte mit sauber fokussiertem, klangvollem und intensivem Mezzosopran tadellos singt, haushoch überleben. Gut gefällt auch Stephanie Friede, die für die Partien der Frau, der Nonne, der Margarethe und der Donna Anna einen gut verankerten, farbenreichen Sopran mitbringt. Ebenfalls gut gefällt der markante Bariton von Salvador Fernández-Castro in der Rolle des Komthurs, der hier nicht der Vater, sondern der Ehemann von Donna Anna ist. Nichts auszusetzen gibt es an den tiefgründig intonierenden Frauenschatten von Gabriela Bone, Nina Bernsteiner, Anna Peshes, Christa Ratzenböck, Hermine Haselböck und Elisabeth Wolfbauer. Nicht außergewöhnlich, indes solide geben Karl-Michael Ebner, Andreas Jankowitsch und Markus Raab die Commedia-dell-Arte-Figuren Pulcinella, Pantalone und Harlekin. Eine gefällige Leistung erbringt der von Erwin Ortner trefflich einstudierte Arnold Schoenberg Chor. Als Jazzband fungieren Mitglieder des Orchesters der Vereinigten Bühnen Wien.

Ludwig Steinbach 30. Dezember 2022


Capriccio 2021

Best.Nr.: C5382

2 CDs