Das Entdecker-Label cpo gibt dem interessierten Klassikfreund vielfach Gelegenheit, unbekannte oder in Vergessenheit geratene Komponisten zu entdecken. Und tatsächlich sind es weit mehrheitlich die Herren der Schöpfung, wobei die komponierenden Damen stets in der Minderheit waren. Zu Unrecht! Besondere Bedeutung kommt der Komponistin Emilie Mayer (1812-1883) zu. Geboren im norddeutschen Friedland, erhielt sie früh eine musikalische Bildung, lernte Klavier und Komposition. Im Alter von 27 Jahren starb Mayers Vater. Ein Einschnitt. Dies bedeutete, dass sie unabhängig wohlhabend wurde, und somit nicht heiraten musste, um zu überleben. Mayer konnte nun reisen und überall studieren, vor allem bei Carl Loewe. Im Jahr 1850 organisierte sie ein eigenes Konzert ihrer Musik in Berlin. Dies war so erfolgreich, dass es zu wiederholten Veranstaltungen kam, sogar einmal in Anwesenheit des Königs von Preußen. Als ihre Notenblätter nach ihrem Tod an die preußische Staatsbibliothek verkauft wurden, zählte sie fast hundert Kompositionen, darunter acht Symphonien. Zu Lebzeiten war die Musik von Emilie Mayer so beliebt, dass man sie als „weiblichen Beethoven“ betitelte.
Mayers erste Sinfonie war eine Studienarbeit, komponiert während ihres Studiums bei Carl Loewe. Die Qualität der Musik ist besonders mit eigenem Charakter. Der erste Satz ist durch ein deutliches Hauptthema bestimmt. Verblüffend sind die musikalischen Einfälle der Komponistin. Auch die übrigen Sätze gefallen in ihrer Farbigkeit und musikalischen Eleganz. Klingt diese Musik indessen nach Beethoven? Sie erinnert daran und geht doch melodisch einen eigenen Weg, eher kann die Themenentwicklung an Mendelssohn erinnern.
Die zweite Sinfonie ist deutlich wagemutiger und kreativer in der Ausgestaltung. Markant sind die Kontraste formuliert, so treffen Sturm und Drang auf lyrisch eingefärbte Phrasen. Auch hier erinnert die Melodieführung wieder an Mendelssohn, ebenso hat auch Carl Maria von Weber seinen Einfluss hinterlassen.
Der britische Dirigent Leo McFall motiviert die NDR-Radiophilharmonie zu engagiertem Spiel. Das Orchester klingt transparent und wo gefordert, auch hinreichend kompakt. Im schönen Kontrast dazu sind die Holzbläser in warmer Farbtönung zu erleben. Vorbildlich ist die Dokumentation im Beiheft der CD und das natürliche Klangbild der Aufnahme.
Im strahlenden C-Dur ist dritte Sinfonie „Militaire“ von Emilie Mayer zu erleben. Auch hier ist eine sehr gut gearbeitete Komposition zu bestaunen, die gekonnt Themen ausformuliert. Nach einer langsamen Einleitung entwickelt sich der erste Satz in einem schwungvollen Allegro con brio voran. Die Mittelsätze Adagio und Scherzo kontrastieren deutlich miteinander. Im beschließenden Allegro Finalsatz ist dann erstmals zusätzliches Schlagzeug in einem Militärmarsch zu erleben, was den Beinamen dieses Werks erklärt.
Da die achte Sinfonie bis dato als verschollen gilt, ist mit der hier eingespielten siebten Sinfonie ihr letztes großes Orchesterwerk zu hören. Der kompositorische Stil entwickelte sich erkennbar weiter. Mayer verzichtete auf eine langsame Einleitung, sondern beginnt sogleich mit einem munteren Allegro agitato. Stärkere Kontraste und eine dichtere Emotionalität geben dieser f-moll Sinfonie einen anderen Charakter. Das kantable Adagio besticht durch seine intensive Melodik, die in behaglichen Farben von Celli und Hörner zu erleben ist. Betont tänzerisch, mit folkloristischer Note ist das Scherzo zu erleben. Das Finale ist mitreißend in seiner Kraft, sodass die Sinfonie ein wirkungsvolles Ende findet.
Dirigent Jan Willem de Vriend ist ein überzeugter Vertreter der historischen Spielweise. Als Geiger hat de Vriends erkennbar eigene Klangvorstellungen, gerade bei den Streichern. Das Vibrato ist deutlich reduziert, auch dürfen die Bläser Ecke und Kante in ihrem Spiel zeigen. Wesentliche Akzente gehen von der Pauke aus, die mit harten Schlegeln für ein pointiertes Klangbild sorgt. Die NDR Radiophilharmonie zeigt sich als wandlungsfähiges Ensemble, welches diese Musik ohne Fremdeln, sondern mit großer, hörbarer Überzeugung spielt. Im ausgewogenen Klangbild überzeugt das Orchester sowohl in den Soli als auch im Tuttispiel. Wissenswertes bietet das lesenswerte CD-Beiheft, auch hier ist die gute Klangqualität erfreulich.
Dies sind wichtige Veröffentlichungen einer verkannten Komponistin. Eine Begegnung im Konzertsaal ist wünschenswert.
Dirk Schauß, 6. April 2023
Sinfonie Nr. 1 c-moll
Sinfonie Nr. 2 e-moll
cpo 555 293-2
Sinfonie Nr. 3 C-Dur
Sinfonie Nr. 7 f-moll
cpo 555 511-2