Zweite Kritik
Besuchte Aufführung: 20.6.2015
(Premiere: 13.6..2015)
Im Brennspiegel der Psychiatrie
Dass Köln die Prokofjew-Oper mit ihrer in der Domstadt angesiedelten Handlung 1960 zur Deutschen Erstaufführung brachte (Siegfried Köhler, Oscar Fritz Schuh, Caspar Neher – Helga Pilarczyk als Renata), war eigentlich Ehrensache, auch wenn die Couleur locale im Grunde keine conditio sine qua non bedeutet. Die Geschichte könnte sich auch im historischen Düsseldorf abspielen, hier, wo jetzt die Rheinoper das selten gespielte und nicht leicht konsumierbare Werk (in russischer Sprache) auf den Spielplan gesetzt hat. Das hochkomplexe Sujet ist denkbar größter Gegensatz zu der vorangegangenen, komödiantischen „Liebe zu den drei Orangen“, die es übrigens in der nächsten Spielzeit am Aalto Musiktheater Essen geben wird.
Sowohl die Entstehungsgeschichte „Feurigen Engels“ als auch die Rezeptionsentwicklung waren ein fast schon grotesker Hürdenlauf, und beim Komponisten selber mündete die erste Euphorie über den Roman Walerie Brjussows (1919) in eine lethargische Einstellung. Die venezianische Premiere des aber dann doch fertig gestellten Werkes (1955) erlebte der Komponist nicht mehr. Er war zwei Jahre zuvor am gleichen Tag wie Stalin gestorben.
Im Abstand von sechs Jahrzehnten lässt sich aber nachdrücklich bestätigen, dass Prokofjew eine großartige, theatralisch stimulierende Musik geschrieben hat. Die starke Beimischung tonaler Klänge, mitunter fast puccinesker Art, mag vielleicht überraschen, mehr noch freilich, dass sich die Musikwelt trotz dieses Umstands schwer mit dem Werk tat. Die Aufrauhungen im 4. Und 5. Akt sind hierfür keine Erklärungen. Wen-Pin Chien in Düsseldorf macht aus der Partitur ein musikalisch üppiges, dynamisch schäumendes Festmahl, an welchem der auch starstellerisch äußerst engagierte Chor erheblichen Anteil hat (Einstudierung: Christoph Kurig).
Die Handlung von Prokofjews Oper (und Brjussows symbolistischem Roman) ist psychologisch verschachtelt. Ein hochkomplexes Frauenbild wird etabliert: emanzipiert, aber strengen religiösen Geboten unterworfen, sich diesen aber – in Gedanken an die Erscheinung Madiels, des „feurigen Engels“, erotisch getrieben – immer wieder entwindend. Das alles endet in klösterlichem Ambiente mit einem Pandämonium, ähnlich wie später in Pendereckis „Teufel von Loudon“.
Dieses Sujet abzuwandeln, weil es möglicherweise schon etwas Patina angesetzt hat oder weil ihm neue Erkenntnisse hinzugefügt werden sollen, ist gutes Recht eines Regisseurs. Bei Immo Karaman, welcher an der Rheinoper vor allem mit Britten-Opern reüssierte, scheint das Moment weiblicher Selbstbehauptung etwas an den Rand geschoben. Renata, Protagonistin der Oper, wird als Insassin einer psychiatrischen Anstalt gezeigt, bei welcher Stimmungen und Sichtweisen einander krass abwechseln. Ähnliche Deutungstendenzen sind im Moment offenbar Trend, wie jüngst „Rusalka“ in Essen (Regie: Lotte de Beer) und „Ariadne auf Naxos“ in Berlin (Regie: Hans Neuenfels) zeigen.
Für die Behandlung Renatas wird in Düsseldorf ein Arzt herangezogen. Im Original ist Ruprecht hingegen ein etwas anonymer junger Mann. Seine immer stärker lodernde Liebe zu Renata nimmt bei Karaman geradezu obsessive Züge an, münden in die Bereitschaft zum Mord an seinem Nebenbuhler. An seinen Gefühlen zerbricht er, wird zuletzt selber zu einem Irren, dem zuletzt Renata als Krankenschwester die Hand auf die Schulter legt. Musiklos endet die Aufführung. Das krachende Zuschlagen eines Anstaltstores ersetzt den üblichen Schlussakkord.
Mit dieser in sich stimmigen Deutung wird die Entschlüsselung von Geheimnissen zwar teilweise umgangen, aber Fragen dürften bei diesem dunklen Sujet wohl immer offen bleiben. Karaman bietet faszinierendes Bühnenspiel, wobei die geschmeidigen Bildwechsel vom psychiatrischen Ambiente hin zu erträumten Erlebnisräumen hinreißend funktionieren (Ausstattung: Regisseur und Aida Leonor Guardia – hinzu kommen die einfallsreichen Kostüme von Fabian Fosca, der auch für die Choreographie verantwortlich zeichnet). Die im Original eigentlich ziemlich periphere Faust-Mephisto-Szene (4. Akt) als hausinterne Theaterveranstaltung zu zeigen, ist übrigens ein Regiecoup von besonderer Art.
In den zentralen Rollen bietet die Rheinoper Künstler auf, die ihre Partien bereits anderswo gesungen haben. Svetlana Sozdateleva beispielsweise verkörperte die Renata bereits in Brüssel und an der Komischen Oper Berlin. Sie wirkt mit ihrem kraftvollen Sopran dramatisch eloquent, ohne das Mädchenhafte der Figur infrage zu stellen. Als Ruprecht lässt Boris Statsenko alles hinter sich, was er bisher – eindrucksvoll genug – in dem von ihm besonders okkupierten italienischen Fach geboten hat. Er erreicht singdarstellerisch eine beklemmende Ausdrucksdichte und bewältigt auch baritonale Extremhöhen mit Glanz und Power. Dass er in Düsseldorf keinen „Liebhaber“, sondern einen Arzt zu spielen hat, kommt seinem Realalter (nirgends zu verifizieren, vermutlich jedoch etwas über 50) entgegen. Er verkörperte den Ruprecht im Januar auch am Bolschoi.
Den Exorzisten gibt Jens Larsen (wie auch schon an der „Komischen“) mit ausladendem Bass. Er verkörpert weiterhin den Grafen Heinrich, welcher als idealisierter Geliebter in Renatas aphrodisiertem Gehirn spukt. Dass er sich in dem changierenden Düsseldorfer Bildarrangement als gackernder Anstaltsinsasse entpuppt, gehört übrigens zu den besonders raffinierten Regiekniffen Karamans. In der Doppelrolle des in einem Operationssaal blutiges Handwerk verrichtenden Doktor Agrippa und des Mephisto fügt der großartige Sergej Khomov, bestens bei Stimme, seinen aktuellen Rollen (José, Radames, Werther) brillant eine skurrile Charakterpartie hinzu. Renée Morloc (Wahrsagerin), Susan Maclean (Äbtissin), Sami Luttinen (Doktor Faust), Florian Simson (Glock) und Torben Jürgens (Mathias) ergänzen das starke Ensemble. Die bemerkenswerte Produktion sollte Folgen für die künftige Repertoiregestaltung auch anderer Bühnen haben.
Christoph Zimmermann 22.6.15
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