
Mit dieser Produktion, die ursprünglich am Duisburger Haus der Deutschen Oper am Rhein am 5. März 2022 Premiere hatte und in Koproduktion mit dem Grand Théâtre de Genève aufgelegt wurde, beweist die Oper am Rhein, dass sie als Ort der Janáček-Pflege immer noch ernstgenommen werden muss. Unter dem Dirigat von Axel Kober in der Inszenierung von Tatjana Gürbaca mit dem Bühnenbild von Henrik Ahr entfaltete sich das Drama der Titelheldin auf beeindruckende Weise. Die Deutsche Oper am Rhein ist wohl das deutsche Theater mit der größten Janáček-Expertise, denn sie spielte schon 1977 unter Intendant Grischa Barfuss einen sechsteiligen und unter Tobias Richter 2009 einen fünfteiligen Janáček-Zyklus.
Ein Wiedersehen mit Axel Kober, diesmal als Gastdirigent, die Regie durch Tatjana Gürbaca und das Bühnenbild von Henrik Ahr waren, abgesehen vom aufgeführten Werk, Gründe genug, in Düsseldorf „Katja Kabanova“ von Leoš Janáček an der Oper am Rhein in Düsseldorf zu besuchen. Letzte Inszenierung in Düsseldorf war 1996 von Stein Winge, dirigiert von Hans Wallat. Uraufführung war 1921 in Brünn, deutsche Erstaufführung 1922 in Köln in einer Übersetzung von Max Brod.
Leoš Janáček hat in Deutschland eine engagierte Fangemeinde, die allerdings selten in den Genuss seiner Opern kommt, weil sie als schwer aufführbar gelten. Ich selbst gehöre seit 2019 dazu, als ich in Bonn Die Sache Makropoulos erleben konnte.
Janáček, der auch das Libretto nach Alexander Ostrowskis Drama „Gewitter“ schuf, ist ein Vertreter des tschechischen Verismo. In intensiven Studien erforschte er die Melodie der gesprochenen Sprache und passte ihr seine Musik an. Das ist einer der Gründe, warum das Werk in der Originalsprache aufgeführt wird. Die eigenständige Tonsprache des Komponisten ist äußerst farbig und geprägt von kleinteiligen rhythmischen Verschiebungen, die zum Teil der tschechischen Folklore entlehnt sind. Die Instrumentierung verzichtet auf lange Melodiebögen, sondern wirkt eher pointilistisch, durch scharfe Blechsignale, Holzbläser-Soli und perkussive Elemente, der Gesang glänzt nicht durch Arien, sondern durch musikalische Sprachverdichtung.

Das Drama spielt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Städtchen Kalinow am Ufer der Wolga. Es handelt sich um die Geschichte einer verheirateten Frau, Katja Kabanova, die in Abwesenheit ihres Gatten Tichon Kabanov die Gelegenheit ergreift, mit ihrem Verehrer Boris mehrere Liebesnächte zu verbringen. Nach der Rückkehr ihres Gatten gesteht sie, verängstigt durch ein Gewitter, den Ehebruch und stürzt sich in die Wolga, wo sie ertrinkt. Die eifersüchtige Schwiegermutter triumphiert.
Die Kostüme von Barbara Drosihn deuten an, dass die Handlung auch hundert Jahre später spielen könnte, das abstrakte Bühnenbild von Hendirk Ahr zeigt am Anfang den Blick auf die Wolga, die im Drama eine große Rolle spielt, als Videoprojektion. Später drückt es durch käfigartig enge Wände die starren Konventionen im Städtchen aus. Man abstrahiert von sämtlichen historischen und folkloristischen Elementen. Regisseurin Tatjana Gürbaca arbeitet in Bildern, die einer Familienaufstellung ähneln, präzise die Machtstrukturen und Konflikte zwischen den Personen heraus. Dass Leoš Janáček die Rolle der Frau im feudalistischen Russland problematisiert, muss man nicht betonen. Die Inszenierung Gürbacas zeigt, dass es in Westeuropa des 21. Jahrhunderts nicht viel besser geworden ist, wenn man in einer Kleinstadt wohnt.
Die Düsseldorfer Symphoniker entfalten düstere Klangfarben im präzisen Dirigat von Axel Kober, der sorgfältig darauf achtet, die Sängerinnen und Sänger zur Geltung kommen zu lassen und nicht zu übertönen. Eine starke Frau ist Rosie Aldridge als die reiche Kaufmannswitwe Marfa Ignatjewna Kabanova (Kabanicha), dominante Mutter von Tichon Kabanov, die auf ihre Schwiegertochter Katja eifersüchtig ist. Sie hat eine Affäre mit dem Kaufmann Dikoj, die sie aber souverän zu verbergen weiß. Aldridge ist eine der Altistinnen, die den dominanten Frauenrollen im osteuropäischen Repertoire international, zum Beispiel in London und Glyndebourne, Profil verleihen. Hier gibt sie eine absolut bigotte Hexe, die ihren Sohn tyrannisiert und ihre Schwiegertochter Katja hasst. Dabei hat man durchaus Verständnis für sie, weil ihr als älterer Frau nur noch Besitz und Dominanz zu Einfluss verhilft. Die drei hervorragenden lyrischen Tenöre – Riccardo Romeo als Tichon, David Fischer als Lehrer und Chemiker Kudrjasch und Jussi Myllys als Boris zeigen, dass die Deutsche Oper am Rhein ein hochkarätiges Ensemble pflegt, denn die Tenöre und alle weiteren Partien sind aus dem Ensemble der Deutschen Oper am Rhein besetzt.
Sami Lutinen gestaltet mit beeindruckendem Bass den versoffenen Kaufmann Sawjol Prokofjewitsch Dikoj, Vormund des armen Boris, der aufgrund des frühen Todes seiner Eltern von Dikoj abhängig ist. Boris ist unsterblich verliebt in die Frau Tichons, Katja Kabanova. Sylvia Hamvasi gibt diese Katja mit wunderschönem lyrischem Sopran und verleiht ihr so etwas wie eine „heilige“ Aura, denn Katja ist zutiefst religiös und möchte nicht sündigen. Sie gibt Tichon das Versprechen, ihm während seiner mehrtägigen Abwesenheit treu zu bleiben. Aber Kimberley Boettger-Soller als lebenslustige Varvara, Pflegetochter im Hause Kabanov, Geliebte von Kudrjasch, hat den Schlüssel zum Gartentor ausgetauscht und ermöglicht sich selbst und Katja ein nächtliches Rendezvous am Ufer der Wolga, bei dem Katja in Boris´ Armen höchste Wonnen erlebt.
Zehn Tage später folgt die Katastrophe. Ein Gewitter treibt alle schutzsuchend in einen engen Raum. Tichon ist von seiner Reise zurückgekehrt, und Katja deutet das Gewitter als Menetekel. Sie erfährt in einem Gespräch mit Boris, dass ihre Liebe keine Zukunft mehr hat, und ertränkt sich in der Wolga. Damit beweist sie die Kraft, die sie aus ihrem Glauben zieht, sich der irdischen Gerechtigkeit zu entziehen. Der verzweifelte Tichon beschuldigt seine Mutter, Katja zugrunde gerichtet zu haben. Die triumphiert, indem sie den Leuten für ihr Mitgefühl dankt. Im Drama gelingt es Kudrjasch und Varvara, der Enge der bigotten Kleinstadt zu entrinnen, indem sie nach Moskau ziehen. In der Oper bleibt das Ende offen.

Mit dieser Produktion wird die Zeitlosigkeit des Werks betont, die großen Gefühle, und vor allem die Kraft des Glaubens an ein Jenseits, der Katja dazu befähigt, sich ihrem irdischen Elend durch Suizid zu entziehen und so ihre bigotte Schwiegermutter ins Unrecht zu setzen. Varvara dagegen setzt die irdische Lösung durch, indem sie den Ort verlässt und vermutlich einen Beruf ergreift.
Leoš Janáčeks Musik ist hochgradig expressiv und hat eine eigene spezifische Tonsprache, die nicht leicht eingängig ist, weil lange Melodiebögen und Arien fehlen. Sie ist aber so intensiv, dass es schon fast weh tut, und überhöht das zu Grunde liegende Drama. Das ist einer der Gründe, warum, gerade an großen Häusern, mittlerweile mehr Janáček gespielt wird, wie zum Beispiel Katja Kabanova in München und an der Komischen Oper Berlin oder Jenufa in Stuttgart. Der Besuch in Düsseldorf lohnt sich auf jeden Fall, denn die Inszenierung ist kongenial und die Besetzung hervorragend.
Ursula Hartlapp-Lindemeyer, 10.Dezember 2025
Dank an unsere Freunde und Kooperationspartner vom Opernmagazin
Katja Kabanova
Leoš Janáček
Deutsche Oper am Rhein / Düsseldorf
Premiere am 7. Dezember
Inszenierung: Tatjana Gürbaca
Dirigat: Axel Kober
Düsseldorfer Symphoniker