Essen: „L’amant anonyme“, Joseph Bologne

Brav-biederes Rokoko-Singspiel

Liest man sich die biographischen Daten von Joseph Bologne durch, so erwartet man von diesem Komponisten eine Musik, die ebenso abenteuerlich ist, wie sein Leben. Bologne wurde nämlich 1745 als Sohn eines Großgrundbesitzers und dessen Sklavin in der Karibik geboren, kam dann nach Frankreich, wo er als Fechter und Geiger berühmt wurde, während der Französischen Revolution eine internationale Brigade befehligte und 1799 verarmt starb. Von seinen sechs Opern ist lediglich „L’amant anonyme“ aus dem Jahr 1780 erhalten geblieben, die aber bloß ein brav-biederes Rokoko-Singspiel ist.

© Matthias Jung

Erzählt wird die Geschichte von Valcour, der in seine verwitwete Freundin Léontine verliebt ist und diese mit anonymen Liebesbriefen überschüttet. Der gemeinsame Freund Ophémon sorgt schließlich dafür, dass die beiden zueinander finden. Die drei Hauptrollen werden am Essener Aalto-Theater von Sopranistin Lisa Wittig Tenor George Virban und Bariton und Tobias Greenhalgh mit angenehmen, aber nicht allzu großen Stimmen verkörpert.

Das Stück kommt im Rahmen eines Partizipationsprojektes auf die Bühne und wird hier mit allerlei Kunst von Essener Bürgern garniert. Das ist zwar alles höchst ehrenwert, ist aber letztlich dem französischen Komponisten und auch den Essener Künstlern gegenüber respektlos, denn keinem von beiden traut man zu, dass sie alleine einen Theaterabend tragen können.

Für die große Bühne des Aalto-Theaters ist Joseph Bolognes Musik zu harmlos, zumal auch die Regie von Zsofia Geréb nur gefällige Arrangements bietet, ohne tiefer in die Psychologie der Figuren einzudringen. Die ansprechende Optik rettet den Abend auch nicht: Als Bühnenbild wird der Raum recycelt, den Frank Philipp Schlössmann 2021 für Mozarts „La finta giardiniera“ entworfen hat. Das passt zeitlich und optisch gut, zumal Ausstatter Ivan Ivanov die Sänger in schönen historischen Kostümen und Perücken der Entstehungszeit auftreten lässt.

© Matthias Jung

Was unter dem Titel „Unerwartete Wendungen“ von Co-Regisseur Alvaro Schoeck an partizipativen Elementen in die Rokoko-Oper reingepackt wird, hilft weder dem Stück noch den auftretenden Künstlern. Die beiden junge Autoren Jan Seglitz und Jule Weber, die sich selbst als „Poetry Slamer“ bezeichnen, in Essen aber als „Spoken Words Artists“ aufgeführt werden, lesen zwischendurch Texte, die sich mit Ich-Findung und Liebe beschäftigen. Die Auftritte sind aber abgegrenzte Fremdkörper im Operngeschehen. Da die Sänger spürbar Probleme mit den deutschen Dialogen haben, wäre es sinnvoller gewesen, die beiden Autoren hätten die Geschichte mit verbindenden Texten nacherzählt.

Während andere Dirigenten bei einer Oper aus dem Jahr 1780 eher auf einen geschärften Originalklang setzen, lässt Wolfram-Maria Märtig geschmeidig und elegant musizieren. Die spannendsten Aufgaben hat er in den drei neukomponierten Stücken von SJ Hanke, die als Reflexionen auf die drei Arien der Léontine folgen. Hier werden von einem sängerischen Seniorinnenquartett Texte aus den Arien aufgegriffen und vom Orchester minimalistisch-perkussiv begleitet. Vielleicht glaubt der Leser jetzt, die Bezeichnung „Seniorinnenquartett“ sei als Beleidigung der Sängerinnen gedacht, es steht aber so auf dem Besetzungszettel! Zudem überschreiten diese Stücke oft die Grenze zur Parodie.

Schön anzusehen und tänzerisch beeindruckend ist die Breakdance-Truppe, die ihr Fach bis in die entlegensten Muskelpartien beherrschen. – Letztlich dürften alle partizipativen Gruppen aber nur mit der Absicht engagiert worden zu sein, um deren Freunden, Verwandte und Bekannte als neue Besuchergruppen ins Theater zu locken, die dann aber mit einer zurecht vergessenen Oper gelangweilt werden.

 © Matthias Jung

Und dann gibt es noch Christina Clark und Rainer Maria Röhr als Besucher in der ersten Reihe, das die Geschichte noch einmal ins Publikum verdoppeln. Wesentlich spannender wäre es gewesen, die beiden hätten im Stile von Waldorf und Statler über die Aufführung gelästert, genug Gründe hätte es da gegeben.

Stattdessen holen die beiden das Publikum nach der anderthalbstündigen Aufführung im Saal dann noch ins Foyer, wo der Abend „auf Augenhöhe“ fortgesetzt werden soll. Als Lockmittel dienen Nudeln mit getrockneten Tomaten und Freigetränke!

Rudolf Hermes, 21. März 2024


L’amant anonyme
Joseph Bologne

Aalto Theater Essen

Premiere: 16. März 2024

Inszenierung: Zsofia Geréb und Alvaro Schoeck
Musikalische Leitung: Wolfram-Maria Märtig
Essener Philharmoniker