Erl: „Lohengrin“

Vorstellung am 31. Juli 2021

Statt Schwanenritter Rittertum für den Glauben

Die Tiroler Festspiele Erl haben unter ihrem Präsidenten Hans Peter Haselsteiner und dem Intendanten Bernd Loebe von der Oper Frankfurt in diesem Jahr einen großen Sprung nach vorn getan. Nach den „Königskindern“ von Engelbert Humperdinck und Richard Wagners „Rheingold“ in der Neuinszenierung von Brigitte Fassbaender kam als drittes Werk nun „Lohengrin“ in einer Neuinszenierung von Katharina Thoma hinzu. Für sie ist diese „romantische Oper“ vor allem ein Stück über den Glauben. Und so zieht sie eine interessante und stimmige Parallele zum Spielort Erl, dem kleinen Ort in Tirol, der nicht zuletzt seit dem ersten Passionsspiel vor über 400 Jahren stark vom Glauben geprägt ist. Ohne diesen Glauben gäbe es die Tiroler Festspiele nicht, mit denen einst Gustav Kuhn ein international bekanntes Opernfestival mit einem sehr guten Orchester geschaffen hat. Und Glaube hat hier auch viel mit Vertrauen zu tun, dem Vertrauen Elsas zu Lohengrin, und damit dem Vertrauen der Menschen auf gutgemeinte Hilfe von außen…

Diesem Credo, welches auch immer wieder Statisten aus Erl eine begrenzte Mitwirkung bei den Aufführungen ermöglichte, ist Thoma auch mit ihrem Regiekonzept gefolgt. Denn es findet schon vor und zum Vorspiel mit rustikal gekleideten Erler Kindern unter der Gerichtslinde des Dorfes mit einem alten Segelkahn, der Assoziationen an das Narrenschiff von Hieronymus Bosch oder jenem in den Darstellungen von Albrecht Dürer hervorruft, ein kindliches Versteckspiel statt. In seinem Verlauf tritt auch Elsa das erste Mal auf. Mit dem 1. Akt beginnt eine Wanderung durch die vergangenen Jahrhunderte bis zur Gegenwart. Statt der Brabanter kommen Menschen als allen Epochen vom Mittelalter bis heute herein – ein sinnvoller Bogen über die mehr als eintausend Jahre alte „Lohengrin“-Geschichte. Neben Unternehmern, Handwerkern, Landstreichern unserer Tage und mittelalterlichen Mönchen in braunen Kutten tummeln sich Figuren, die aus Bildern von Dürer oder Pieter Brueghel d. Ä. entstiegen sein könnten. Bei Brueghel könnte man an seine Bilder „Rückkehr der Jäger“ sowie „Bauern, Narren und Dämonen“ denken. Im Narrenschiff von Albrecht Dürer sitzen Typen mit der gleichen Kopfbedeckung wie die des Heerrufers mit seinen eigenartigen Eselsohren… Dazu König Heinrich als würdevoll royal in Purpur gekleideter Monarch. Mit einer interessanten Choreografie führt Katharina Thoma diese bunte und agile Truppe, die die Universalität des Glaubens an sich und des Glaubens an Erlösung im „Lohengrin“, aber auch die Manipulierbarkeit der Massen eindringlich widerspiegelt.

In so eine Umgebung passt ein elegant im weißen Frack aus dem Orchester kommender Lohengrin als Geiger aus einer anderen Welt natürlich nicht hinein. So kann es kaum verwundern, dass er Telramund trotz erhobenen Schwerts mit dem Geigenbogen besiegt. Die Kostüme von Irina Bartels werden zu einem zentralen Element der Inszenierung im schlichten, aber im Laufe des Abends sinnvoller werdenden Bühnenbild von Johannes Leiacker, in dem Stefan Bolliger mit dem Licht einige Akzente setzt. Am Ende steigt Gottfried aus der Gerichtslinde herab und übernimmt die Insignien Lohengrins.

AJ Glueckert ist ein darstellerisch etwas behäbiger, aber herrlich lyrisch singender und phrasierender sowie musikalischer Lohengrin, der auch mit den Spitzentönen keine Mühe hat. Die junge Schwedin Christina Nilsson, die erst in der Saison 2018/19 mit ihrem Master-Abschluss als Ariadne auf Naxos in Stockholm debutierte, singt die Elsa mit einem glockenreinen Sopran und viel Ausdruckskraft in den entscheidenden Momenten des 3. Akts. Dshamilja Kaiser spielt eine finstere und arrogante Ortrud und singt sie mit ihrem kraft- und klangvollen Mezzo Bayreuth-reif. Andreas Bauer Kanabas ist ein mit königlich orgelndem Bass musikalischer König Heinrich. Domen Krizaj spielt sehr agil einen ebenso beeindruckend singenden Heerrufer mit klangvollem Bariton. Allein für Andrew Foster-Williams erscheint die Rolle des Telramund stimmlich eine Nummer zu groß. Samuel Levine, David Kerber, Oliver Sailer und Nicolas Legoux sind gute Brabantische Edle.

Titus Engel dirigiert das wieder in beachtlicher Größe auf der Empore hinter der Bühne und einem leicht durchscheinenden Vorhang postierte Orchester der Tiroler Festspiele Erl mit einem filigranen und transparenten Klang, aus dem er Wagners mit dem Werk verbundene Utopie betonen will. Das ist ihm an diesem Abend mehr als gelungen. Der stets präsente und ebenso transparent wie kräftig singende Chor der Tiroler Festspiele Erl wurde von Dmitri Khliavitch einstudiert. Ein zu Erl und seiner Geschichte passender „Lohengrin“ bei den Tiroler Festspielen und damit auch ein würdiger Abschluss der Sommersaison 2021.

Fotos: Xiomara Bender

Klaus Billand/12.8.2021

www.klaus-billand.com