Konzert am 06. Juli 2019
Peter I. Tschaikowsky
Klavierkonzert Nr. 2 G-Dur, op. 44
Richard Wagner
Siegfrieds Tod und Trauermarsch
Schlussgesang der Brünnhilde aus Götterdämmerung
Peter I. Tschaikowsky
Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 „Pathétique“
Alexandre Kantorow, Klavier
Eva-Maria Westbroek, Sopran
Im Rahmen der Sommerfestspiele im Festpielhaus Baden-Baden gastierte Valery Gergiev mit seinem Mariinsky Orchester St. Petersburg.
In einem umfangreichen Programm mit Werken von Richard Wagner und Peter Tschaikowsky gab es Gelegenheit, das rar anzutreffende 2. Klavierkonzert von Tschaikowsky zu hören, welches 1881 uraufgeführt wurde. Dieses Konzert steht seither im Schatten des 1. Klavierkonzertes und das zu Unrecht. Denn die Eigenarten dieses Konzertes machen es zu einem besonderen Erlebnis. So gibt es im ersten Satz ausladende Kadenzen und viel Raum für pianistische Virtuosität. Im zweiten Satz tritt dann das Klavier ungewöhnlich deutlich in den Hintergrund, um Raum zu geben für die solistischen Beiträge von Violine und Cello. Welch ein Kontrast dann im beschließenden Allegro con fuoco, in welchem Tschaikowsky russische Volksmusiken verarbeitete und dem Solisten reichlich Gelegenheit schuf, am Klavier zu brillieren.
In Baden-Baden stellte sich der frisch gebackene Preisträger des berühmten Tschaikowsky Musikwettbewerbes, der 22jährige Franzose Alexandre Kantorow, vor. Erstmals in der langen Geschichte dieses Wettbewerbes trug ein französischer Pianist den Sieg nach Hause.
Tschaikowsky‘s Klavierkonzert bot Kantorow reichlich Gelegenheit, sein pianistisches Können zu exponieren. Hier agierte ein hoch sensibler Virtuose, der natürlich alle technischen Anforderungen völlig souverän meisterte. Schnelle Läufe, Doppelgriffe, vertrackte Kadenzen, alles wirkte völlig natürlich und von jeglicher Anstrengung befreit. Anrührend war seine ausgeprägte Sensibilität im Vortrag, vor allem im zweiten Satz, der geradezu kammermusikalisch gestaltet geriet. Sehr wach folgte er dem Melodieverlauf und phrasierte die Kantilenen kantabel aus. Im Rondo des dritten Satzes zeigte Kantorow großes spielerisches Feuer und mitreißende Verve. Auch hier war die spielerische Überlegenheit, die Leichtigkeit und Natürlichkeit im Anschlag hinreißend. Das Publikum wurde in stürmische Begeisterung versetzt.
Bei Tschaikowsky ist Valery Gergiev mit seinem fabelhaften Mariinsky Orchester ganz zu Hause. Schwelgerische Streicherfarben und berückende Holzbläser ergaben einen mitreißenden Sog. Im zweiten Satz zeigten die Konzertmeisterin und der Solo-Cellist ihre außerordentliche Spielqualität in den ausladenden Solo-Passagen. Gergiev zeigte sich hier als dienender und reaktionsschneller Begleiter. Riesiger Jubel für den jungen Pianisten, der sich mit einer gefühlvollen Zugabe bedankte, der auch Gergiev lauschend auf dem Podium beiwohnte. Noch einmal eine Komposition von Tschaikowsky, seine Meditation No. 5, op. 72.
In Baden-Baden hat Gergiev bereits mehrfach Male Wagners kompletten „Ring des Nibelungen“ mit seinem Opernhaus-Ensemble aus St. Petersburg aufgeführt. So war es spannend, in diesem Konzert zwei Auszüge aus der „Götterdämmerung“ zu hören. Im Trauermarsch überwältigte die schiere Klangpracht seines Orchesters, das mit seinem Dirigent geradezu symbiotisch agierte. Ungeheuer wuchtig ertönten die Orchesterschläge nach dem großen Crescendo in den tiefen Streichern. Und im hellsten Licht erstrahlte dann die Solotrompete mit dem Schwertmotiv, um dann in gewaltigen Schlagzeugausbrüchen dem Trauermarsch alle Größe zu geben.
Danach sang Eva-Maria Westbroek den Schlussgesang der Brünnhilde. Westbroek ist eine wissende und hoch engagiert agierende Sängerin. Die innere Anteilnahme war ihr jederzeit anzumerken. Ihre Stimme erklang raumgreifend und ausgeruht. Es zeigte sich aber auch, dass die Brünnhilde gegenwärtig eine deutliche Grenze für sie darstellt. Alle Töne waren da, wenngleich in den Höhen zuweilen doch hörbar mühsam erreicht. Westbroek war bisher so klug, die Brünnhilden nicht zu singen. Sie sollte dabei bleiben, weil sie doch, wie hier im Schlussgesang, zu oft forcieren musste. Und doch war der schiere Wille, diese wunderbaren zwanzig Minuten der Opernliteratur singen zu wollen, so unwiderstehlich, dass dieser musikalische Grenzgang berührte.
Valery Gergiev und sein famoses Orchester blieben dieser großartigen Musik keine Nuance schuldig!
Nach der Pause stand dann Valery Gergiev ganz im Mittelpunkt. Noch einmal Peter Tschaikowsky, nun seine finale sechste Symphonie, die „Pathétique“. Gergiev ließ diese Symphonie als Lebensmusik erschallen. Alle Farben wurden beispielhaft musikalisch umgesetzt. Vom hellsten Licht hinein in die tiefste Schwärze des Todes. Überlegen und perfekt ausgewogen in der dynamischen Gestaltung entfaltete die Lesart Gergiev einen unwiderstehlichen Sog. Ruppige Akzente in den Streichern, infernalisch intonierende Blechbläser, kantabel tönende Holzbläser und dazu strahlend prasselnde Beckenschläge im berühmten dritten Satz. Danach im vierten Satz ein Dahinscheiden, ein Aushauchen der Seele, mit einem intensiven Schlag auf das Tam-Tam. Ein langer Moment der Stille. Wunderbar. Dann viel Jubel, stehende Ovationen für ein großartiges Konzert!
Konzert am 07. Juli 2019
Claude Debussy
Prélude à l’après-midi d’un faune
Sergej Prokofjew
Violinkonzert Nr. 2 g-Moll op. 63
Dmitri Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 7 C-Dur op. 60 „Leningrader“
Daniel Hope, Violine
1894 erklang von Claude Debussy seine Komposition „Prélude à l‘après-midi d‘un faune“, vielleicht das zentrale Hauptwerk im musikalischen Impressionismus. Die extrem sensitive Klangsprache, hier allein schon durch die wunderbar weich intonierende Soloflöte realisiert, ist von geradezu narkotischer Wirkung. Es ist immer faszinierend, in diese so besondere Klangwelt einzutauchen, die am Ende mit den kleinen Zimbeln, dann noch besondere Farbtupfer ergänzt. Valery Gergiev ist mit der Musik von Claude Debussy hörbar vertraut, ebenso sein großartiges Mariinsky Orchester, das traumwandlerisch sicher diese Komposition vortrug. Gergiev nahm sich viel Zeit, um genau und außerordentlich sensibel in die Musik hineinzuhören. Die hervorragende Solo-Flöte konnte sich auf dieser Basis bestens entfalten, so dass eine besonders klang sinnliche Interpretation zu bestaunen war.
Mit Daniel Hope gab es dann das 1935 entstandene 2. Violinkonzert von Sergej Prokofiev zu erleben. Erstmals musizierte der vielfach ausgezeichnete englische Geiger mit Valery Gergiev. Und das Zusammenspiel geriet ausgezeichnet. Sogleich in der solistischen Einleitung war Hope hörbar in seinem Element. Er suchte erkennbar die Kantabilität in diesem Werk und fesselte mit üppigem Ton auf seiner Geige. Gleichzeitig zeigte er sich meisterhaft sicher im Umgang mit allen spielerischen Schwierigkeiten. Vor allem im zweiten Satz war eine besondere Einheit zwischen Solisten und Orchester/Dirigent zu bestaunen. Im turbulenten dritten Satz begeisterte Hope mit mitreißender Bravour und Virtuosität. Valery Gergiev war hier mitgehender Partner auf Augenhöhe, sorgte für gestalterische Freiräume oder ließ auch, wenn notwendig, profund, erdig ausmusizieren. Daniel Hope bedankte sich für den begeisternden Applaus mit einem langsamen Satz aus der Violin-Sonate von Erwin Schulhoff aus dem Jahr 1928. In einer kurzen persönlichen Ansprache warb er dabei für das Interesse für den in Vergessenheit geratenen Komponisten. Auch, wie bereits am Vorabend, blieb Gergiev mit auf dem Podium, um der Zugabe beizuwohnen.
Nach der Pause dann zeigte Valery Gergiev seine interpretatorische Meisterschaft in der Gestaltung russischer Musik. Einmal mehr zeigte er seine große Kompetenz in der Interpretation der Werke von Dmitri Schostakowitsch. Um es vorwegzunehmen: Gergiev und sein herausragendes Orchester boten eine Sternstunde der symphonischen Interpretation! Unzählbar waren die vielen überwältigenden Momente in diesen 70 fordernden Minuten.
Seine monumentale siebte Symphonie beschreibt niederschmetternd den Einmarsch und die Belagerung von Leningrad durch die deutschen Kriegstruppen.
Der erste Satz beginnt mit einer Idylle. Alles dies ändert sich mit der Einführung des zentralen Themas, das den Einmarsch der deutschen Feindestruppen charakterisiert. Im Bolero-Rhythmus der kleinen Trommel wird das bekanntes Maxim-Motiv der Léhar Operette „Die lustige Witwe“ (Da geh ich zu Maxim…) zitiert. In gewaltigen Fortissimo-Klängen steigert sich dieses Thema, bis die musikalische Hölle sich über dem Zuhörer öffnet. Am Ende tönen ermattet Solo-Fagott und Trompete, bis dann in der Coda der Trommel Rhythmus des Invasions-Themas nochmals anklingt.
Der zweite Satz Moderato vermischt Idyllisches und Bedrohliches. Immer wieder brechen schrille Walzertakte die Stimmung auf. Vor allem die grotesken Holzbläser durchschneiden häufig die Melodielinien.
Tief unter die Haut geht dann das ausgedehnte Adagio mit seinen choralartigen Beginn in den Bläsern. Lange Unisono-Kantilenen in den Streichern, bis auch hier wieder musikalische Brüche realisiert werden, z.B. durch einen grotesk anmutenden Marsch.
Im beschließenden letzten Satz verarbeitet Schostakowitsch Motive der Trauer, die am Ende in einen erstarkenden, gewaltigen Triumph-Gesang des gesamten Orchesters führen. Eine Apotheose der Willenskraft in lautesten Ausbrüchen, die doch dann alles in ein helles strahlendes Licht führt.
Valery Gergiev sorgte für eine Ausnahme Interpretation mit seinen perfekten Musikern. Es stimmte einfach alles. Überzeugende Tempi, überwältigende Ausbrüche, tiefe kontemplative Elemente der Einkehr, schrille, spottende Farben und eine erhabene Feierlichkeit. Die Schrecklichkeiten ertönten mit unerbittlicher Drastik und Härte. Die Musiker spielten mit höchstem Engagement und größter technischer Kompetenz. Außergewöhnlich, wie genau, wie klar Gergiev jederzeit die dynamische Balance wahrte. Über die einzelnen Gruppen des Orchesters ließen sich viele Zeilen der Begeisterung schreiben. Die solistische Qualität, ob in der Violine oder in den Holzbläser ist ungemein hoch. Selten dürften Streicher in einem Orchester derart wuchtig, gewichtig klingen. Oder die virtuosen, sauber intonierenden Blechbläser, die mit gewaltigen Reserven größte Steigerungen realisieren konnten. Ein besonderes Lob für den absolut präzisen Schlagzeuger an der kleinen Trommel, der vom ersten Einsatz an, mit größter Exaktheit seinen Bolero-Rhythmus anstimmte und dabei immer wieder durch besondere Akzentuierungen verblüffte.
Eine überwältigende Hörerfahrung, die keiner der jubelnden Zuhörer vergessen dürfte. Stehende Ovationen für Gergiev und sein hinreißendes Orchester. Und dann gab es nach diesem schweren Werk sogar noch mit dem Finale aus Strawinsky‘s „Feuervogel“ eine Zugabe. Unglaublich auch hier die dargebotene Perfektion, so z.B. in dem makellos intoniertem Hornsolo.
Stehende Ovationen und große Euphorie im Publikum.
Was für ein besonderes Abend im Festspielhaus Baden-Baden!