„Die Oper muss die Leute zum Weinen bringen, mit Grauen erfüllen, sie durch Gesang sterben lassen“. Bellini wurde 1801 in Catania/Sizilien als Sohn eines Kapellmeisters geboren. Er ging 1827 nach Mailand und lernte dort seinen zukünftigen Librettisten Felice Romani (*1788 in Genua, + 1865 in La Spezia) den überragenden italienischen Librettisten seiner Epoche kennen. Beide arbeiteten nach der Tragödie von Alexandre Soumet an der „Norma“, die am 26. Dezember 1831an der Mailänder Scala uraufgeführt wurde. Erst ein Mißerfolg, Bellini sprach von einem „fiasco fiaschimo“, wohl weil die Oper die Konventionen der Zeit sprengte. Mit einigen Änderungen an den Aktschlüssen, im settecento war lieto fine üblich, hier ein tödlich endender Dreieckskonflikt. So wurde die Oper ein Erfolg und trat die Reise um die Welt an.

Kurz die Handlung: Gallien ist von den Römern besetzt. Oroveso, Oberhaupt der Druiden, will die Römer vertreiben. Seine Tochter Norma, Priesterin, soll die Mistel schneiden und den göttlichen Willen offenbaren: ein Zeichen zum Kampf gegen die Römer. Der römische Feldherr Pollione gesteht seinem Freund Flavio, dass er Norma, die heimliche Mutter seiner beiden Kinder nicht mehr liebe, sondern Adalgisa. Sie solle ihm nach Rom folgen. Als Norma diesen Verrat erkennt, droht sie ihm mit Rache. Norma will ihre Kinder töten, doch sie kann es nicht tun. Sie versöhnt sich mit Adalgisa. Pollione bekennt seine Schuld, seine neue Liebe zu Norma lässt ihn mit ihr in den Tod auf dem Scheiterhaufen gehen.
Norma ist eine Oper der italienischen Romantik, ein hehres Belcanto-Fest! Der Kampf zwischen Römern und Galliern ist nur die historische Folie. Ansonsten lässt die Oper eher an zutiefst menschliche Eigenschaften denken. Norma – Name und Begriff: eine Ideal-Personifikation weiblicher Eigenschaften. Was für ein Name, der wie ein schlagkräftiger Begriff daherkommt. Nirgendwo ist ein Beitrag dazu zu finden, geschweige denn eine Deutung des Namens. Es gibt die Tragödie von Alexandre Soumet (1788 – 1845), die am 6. April 1831 im Pariser Odeon uraufgeführt wurde. Es bleibt die bloße Vermutung, dass Soumet den Namen erfunden hat. Das Motiv der Kindstötung lässt an Medea denken. Der Name Norma ist der Inbegriff der Leidenschaften, an deren Ende die Bejahung der Liebe steht.
Es bleibt die Frage: szenisch oder konzertant. Das liebe Geld erleichtert die Entscheidung zu konzertant. Die Schreiberin lässt vor ihrem geistigen Auge den Film der Bonner Scala am Rhein von 1983 ablaufen. Dem französischen Regisseur Jorge Lavelli gelang die schlüssige Inszenierung: weg von den langweiligen Druiden-Gewändern in Weiß und Lang und hin zur Situation in der französischen Resistance mit der faszinierenden Mara Zampieri als Norma. Das Casta diva mit Stiefeln und dunklem, schwingendem Rock, ein Gewehr in der Hand auf der Ladefläche eines LKWs. Heute dürfte man als Regisseur wohl den Krieg in der Ukraine mit den russischen Besatzern vor Augen haben.
Da wären wir bei den Sängerinnen angelangt, der langen Reihe der Sopranistinnen, die wie einst die Sutherland mit ihrem Ehemann und Dirigenten Richard Bonyng die Belcanto-Opern aus der Vergessenheit gehoben haben. Es gab bisher nur wenige Sängerinnen, die den Thron des Belcanto-Singens besteigen konnten oder durften. „Denn es gibt sowohl Sänger, die sich unterschätzen, als auch solche, die sich überschätzen. Ein Beispiel für Belcanto: Die Musik muss ganz streng und rein gesungen werden, mit perfekter Linie wie bei Bellini, ohne jedes innere Zittern, das womöglich die Stimme erfasst. Es ist die Klage der Menschen in einem idealistischen Klang.“ (Cecilia Bartoli, FAZ vom 16. August 2025) Es gab sie – diese Sängerinnen. Allen voran Maria Callas, dann Joan Sutherland, Montserrat Caballé, Renata Scotto … und zuletzt Edita Gruberova.
Sie sang das Original der Arie in G-Dur. Die meisten Sängerinnen sangen aber einen Ton tiefer in F. „Da werden die Farben ganz anders, und auf Grund der stimmlichen Farben verändert sich auch der Charakter der Figur. Die Norma hat zwar auch tiefe Stellen zu singen, sie hat ebenso viele Stellen, die ätherisch schweben müssen. Das können schwere Stimmen nicht. … Bellini bevorzugt bei all seinen Sopranpartien fast immer die Mittellage.“
Nun zu Sonya Yoncheva. Sie will in die Fußstapfen der Callas treten. Als Erscheinung auf der Bühne wunderschön. Die Farben des Kleides passten jeweils zum Inhalt ihres Auftritts; das „Weiße“ mit Pailletten glitzernd zur Priesterin, das „Schwarze“ zum Konflikt, die langen Haare zum Schlußakt streng nach hinten gebunden. Dazu das Messer! Mit Spannung erwartet: Rezitativ und Cavatine Sediziose voci – Casta diva, leider nach unten, nach F-Dur transponiert.
Verschiedene Faktoren wirken zusammen: ein breit angelegtes Crescendo, kreiselartig verlaufende, eine sich langsam höherschraubende Melodie, die erst sehr spät den Höhepunkt ansteuert, synkopierte Rhythmen und chromatische Harmonik. Fiorituren sind nicht mehr als äußere Zeichen vokaler Virtuosität. Ihre Koloraturen im Terzett des 1. Aktes sind Ausdruck ihres höchsten Zorns. Sonya Yoncheva ist noch auf dem Weg zur Norma, den sie 2016 in London begann. Vieles gelingt und ihr schauspielerisches Talent bringt manches über die Rampe. Ihr berückendes Piano könnte in einem Opernhaus aber wohl nicht über den Graben kommen. Der Weg zur Callas ist steinig, aber sie wird versuchen ihn weiter zu schaffen.
Domingo Hindoyan, der Dirigent und ihr Ehemann, sie könnten das erfolgreiche Paar sein, das die Musikgeschichte schon hatte. Geboren in Caracas, war Geiger in Venezuela, dann Assistent bei Daniel Barenboim im West-Eastern Divan Orchestra. Er musizierte mit dem Schweizer Festival Orchester aus Gstaad mit italianita al fresco und für die Sänger mit sicherer linker Hand. Sänger und Chor standen auf der Bühne in seinem Rücken. Der linke Arm bog heraus zur Seite, wie die Ansage eines Verkehrspolizisten, so dass jeder Künstler wusste, wann er einzusetzen hatte.
Der rumänische Tenor Stefan Pop gab Pollione, lirico spinto mit entsprechender Höhe und guter Mittellage, so wie es sich gehörte. Etwas mehr Kern und Strahlkraft hätten es aber sein können. Die französische Mezzosopranistin Karine Deshayes war Adalgisa. Leider passten die Stimmfarben mit der von Frau Yoncheva nicht ideal zusammen. Ihr Duett mit Norma ist das Berückendste an weiblichem Zwiegesang, die die Operngeschichte vor Richard Strauß überliefert hat. Alexander Vinogradov, ein famoser russischer Bass. Groß von Gestalt und im Frack war er Oroveso und erfüllte nicht nur stimmlich, sondern auch schauspielerisch die Partie. Die Comprimarii Kristina Klein als Clotilde und Marin Yonchev als Flavio waren solide.
Der Frack vom Oroveso war leider ein Unikum. Orchester, Chor und Sänger im Straßenlook: grauer Anzug, dunkles Hemd ohne Krawatte. Das war Tristesse! War das etwa der Nachmittags-Vorstellung geschuldet? Eigentlich gilt doch, vor allem bei Festspielen oder der gehobenen Preisklasse: „Und jedermann erwartet sich ein Fest“, wie es Rolf Liebermann beschrieben hat.

Die Oper wurde abgerundet durch den Chor der Bühnen Bern mit 32 guten Sängern, die regelmäßig solistische Partien übernehmen. Das Ende des 1. Aktes ein martialischer Chor: „Norma viene“ und weiter „Guerra“, der damalige Zeitgenossen verstörte und Verdi wohl zum Kriegerchor in „Aida“ inspirierte. Hier auf der Bühne mit zum sozialistischen Gruß erhobener Faust. Wer hätte das von den Schweizern gedacht? Aber natürlich Ende gut, alles gut! Das Publikum dankte mit Applaus, das Festspielhaus mit Blumen.
Inga Dönges 25. August 2025
Norma
Vincenco Bellini
Festspielhaus Baden-Baden
24. August 2025
Dirigent Domingo Hindoyan
Festival Orchester Gstaad