Premiere: 24. September 2022, besuchte Vorstellung: 29. September 2022
Der Operettenboom der vergangenen Jahre sorgt dafür, dass viele unbekannte Werke neu entdeckt werden. 2019 ging das Münchener Staatstheater am Gärtnerplatz noch einen Schritt weiter und ließ mit „Drei Männer im Schnee“ eine ganz neue Operette schreiben und komponieren. Das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier spielt das Stück jetzt in einer eigenen Inszenierung nach. Kabarettist und Liedermacher Thomas Pigor hat den Roman von Erich Kästner für die Bühne bearbeitet, Texte für Songs, Duette und Ensembles gedichtet und gemeinsam mit Benedikt Eichhorn, Christopher Israel und Konrad Koselleck die Musik komponiert. Das Quartett hat eine Musik geschrieben, bei der Benatzkys „Das weiße Rössel“ und Abrahams „Märchen im Grand-Hotel“ von fern grüßen. Die Musik ist schwungvoll und abwechslungsreich, trifft die Szenen und die Charaktere gut, erreicht aber nicht ganz die Ohrwurm-Qualitäten der großen Vorbilder. Im Zentrum steht der Berliner Industrielle Eduard Tobler, der inkognito in einem Luxushotel in den Alpen zu Gast ist, wo auch der Erfinder und Werbetexter Dr. Fritz Hagedorn aufgrund des Gewinns eines Preisausschreibens der Tobler-Werke einige Tage verbringt. Dritter Mann im Schnee ist Toblers Buttler Johann, der sich als Millionär ausgibt. Durch die Vorurteile des Hotelpersonals und der anderen Gäste gegenüber den drei Hauptfiguren wird das Stück zu einer Sozial-Operette.
Den verschrobenen Konzernchef Eduard Tobler gibt Joachim Gabriel Maaß mit gekonnter Komik und schöner Bassstimme. Mark Weigel singt und spielt den Buttler Johann mit wendiger Eleganz. Sebastian Schiller bräuchte als Dr. Hagedorn noch etwas mehr tenoralen Schmelz. Problematisch ist, dass die Aufführung fast drei Stunden dauert. Das ergibt sich aus der Liebe des Autorenteams zu den vielen Nebenfiguren. Die sind genau und witzig getroffen, ziehen die Vorstellung aber unnötig in die Länge. Eine Kürzung um 30 Minuten und der Verzicht auf vier bis fünf Liedern, vielleicht sogar einer Nebenrolle würde dem Stück guttun und die Geschichte straffen. Unverzichtbar ist auf jeden Fall Toblers Tochter Hilde, die hier zu gewieften Juniorchefin aufgewertet wird, von Scarlett Pulwey auch sehr emanzipiert gespielt, aber eine Spur zu soubrettenhaft gesungen wird. Eine starke Figur ist auch der Skilehrer Toni Graswander, der zum Geliebten des Butlers Johann wird und überzeugend von Tobias Glagau gesungen wird. Der von ihm geleitete gesteppte Skikurs (Choreographie: Sean Stephens) könnte Kultcharakter erlangen, wenn dieses Stück oft genug nachgespielt wird. Beim restlichen Personal müsste aber über die Größe der Rolle diskutiert werden: Toblers Hausdame Claudia Kunkel wird von Christa Platzer souverän gesungen, die männermordende Frau Calabre bekommt von Nini Stadlmann einem Hauch von Marlene Dietrich. Philipp Kranjc singt den Portier Polte mit tollem österreichischen Akzent. MIR-Intendant Michael Schulz steht als Hoteldirektor Kühne nach 14 Jahren an der Spitze des Hauses selbst mit auf der Bühne und weiß in seiner Rolle so zu überzeugen, dass man sich fragt, warum Schulz sich nicht öfters für Nebenrollen selbst besetzt?
Peter Kattermann gibt am Pult der Neuen Philharmonie Westfalen den nötigen nostalgischen Schwung. Auch Regisseurin Sandra Wissman sorgt dafür, dass die Dialoge und Pointen wie am Schnürchen ablaufen. Unterstützt wird sie dabei von Bühnenbildenerin Britta Thöne, die mit Prospekten und Drehbühne dafür sorgt, dass die vielen ansehnlichen Schauplätze schnell gewechselt werden. Die Kostüme von Beata Kornatowska treffen gut den Stil der 1920er Jahre.
Die „Drei Männer im Schnee“ sind ein gelungener neuer Beitrag zur Gattung Operette, könnte allerdings noch kleine Straffungen vertragen.
Rudolf Hermes, 03.10.22
Bilder: © Sascha Kreklau