Ensemble Vocal du Luxembourg in der Philharmonie
Auf meiner jüngsten Brasilienreise mit dem Dirigenten, Organisten und Klavierbegleiter Radu Pantea haben wir als Abschlusskonzert nach den Meisterklassen der Fakultät für Musik in Riberão Preto im Staate São Paulo – nicht zuletzt zur Erinnerung an Gioacchino Rossinis 150. Todestag – dessen „Petite Messe solenelle“ einstudiert und aufgeführt. Ich war von diesem Spätwerk des Genies von Pesaro, zumal als Freund vornehmlich des Wagnerschen Oeuvres, sehr beeindruckt, klang es doch so gar nicht nach dem, was man landläufig unter der Opera buffa versteht, die ja untrennbar mit dem Namen Rossini verbunden ist. Immerhin lag eine lange Schaffenspause des Komponisten vor diesem und anderen Spätwerken, in der er intensiv den Bachschen Kontrapunkt studierte, gerade auch für die Komposition der „Petite Messe“. Nicht zuletzt deshalb weist das komplexe Werk auch Einflüsse von Händel, Schubert, Chopin und durchaus bedeutsame auch von Wagner auf. So gibt es die nette, aber jeder Wahrheit entbehrende Anekdote, dass der französische Komponist Abraham Louis Niedermeyer seinen Freund Rossini dabei beobachtet habe, wie dieser die „Tristan“-Partitur Wagners mit dem Kopf unter studierte. Auf Niedermeyers verwunderte Frage antwortete Rossini, dass er sie sonst nicht verstünde… Wahr ist viel mehr, dass Wagner in Paris immer wieder als Gast bei Rossini war, wohl nicht zuletzt auch weil dieser ein wahrer Sternekoch war (wer kennt nicht Tournedos Rossini?!) und Wagner, ein Feinschmecker, aber ständig knapp bei Kasse, Einladungen zum Essen immer gern annahm…
Angesichts dieser intensiven Erfahrung mit dem Werk war ich sehr interessiert, wie es vom Ensemble Vocal du Luxembourg im Kammermusik-Saal der architektonisch und optisch beeindruckenden Philharmonie der Hauptstadt Luxemburg dargeboten werden würde. Im Großen Saal lief gerade Michel Camillo mit dem Luxemburg Jazz Orchestra. Überhaupt ist die Programmierung in der Philharmonie beachtlich, sehr vielfältig mit großen Namen und großen Orchestern die ganze Saison über, zusätzlich zum residierenden, international herausragenden Orchestre Philharmonique du Luxembourg. In der Salle de Musique de Chambre wurde zunächst unter der musikalischen Leitung von Rosch Mirkes ein relativ kurzes, nicht herausragendes aber doch gefälliges Stück von Luc Grethen (1964) „I will lift up mine eyes“ für Chor und Klavier, gespielt, eine UA. Grethen war persönlich da und erhielt ausgiebigen Applaus.
Dann kam gleich darauf die „Petite Messe Solennelle“. Entgegen meiner Erwartung blieb die Aufstellung des Chores gleich: der Chor gleich groß, 27 Personen. Rossini hat aber ausdrücklich 16 Choristen verlangt, und die Solisten sollten mitsingen. Überdies kamen die Solisten vor dem Chor, sangen also zu keinem Zeitpunkt im Chor mit. Dazu kamen der Organist am Harmonium und der Pianist. Eigentlich sollte das Stück laut Rossini mit zwei Pianisten gespielt werden, wobei der zweite besondere Akzente setzt. In Riberão Preto hatte der dänische Komponist, Pianist und Organist Bo Lundby-Jaeger als 2. Pianist dabei Großartiges geleistet (siehe auch Bericht unter „Themen zur Kultur“). Was die Solisten angeht, wunderte ich mich, als ich neben der aus Ruanda stammenden luxemburgischen Sopranistin Marie-Christiane Nishimwe die Moldawierin Ana Dimitriu als Alt-Stimme aufgeführt sah. Im Programmheft war sie mit den Rollen der Iolanta, Vitellia, „Figaro“-Gräfin, „Rigoletto“-Giovanna, Desdemona, Mimi, und Liu sowie Nedda und Georgetta aufgeführt – alles Sopranrollen. Auch beim Internationalen Gesangswettbewerb „Competizione dell’Opera“ in Tashkent/Usbekistan im Jahre 2014, bei dem ich in der Jury mitwirken durfte, erlebte ich sie nur in Sopranrollen. Das erklärte die unpassende Ähnlichkeit zwischen der nicht immer klar intonierenden und wortdeutlich singenden, und vor allem hörbar mit stimm- und atemtechnischen Problemen kämpfenden Sopranistin Nishimwe und der im Prinzip ständig zu hoch intonierenden Dimitriu. Sie hatte für die hier vorgesehene Alt-Tessitura nicht die erforderliche Tiefe und das nötige Volumen und blieb somit stimmlich unausgewogen. Im Prinzip erscheint es auch relativ unprofessionell, mindestens aber unverständlich, dass ein Sopran auf eine Alt-Rolle besetzt wird. Dadurch fehlte der von Rossini gewünschte Kontrast der beiden Frauenstimmen, auch in den Duetten und Quartetten, wie ich ihn aus Riberão Preto noch in Erinnerung hatte.
Dazu trug auch Vincent Lièvre-Picard bei, der den Tenor-Part nicht immer ganz auf Linie mit einem auch nicht allzu klangschönen Timbre sang, welches bisweilen auch zu einer gewissen Nasalität neigte. Einzig der noch sehr junge luxemburgische Bassist Emmanuel Junk konnte die stimmlichen Erwartungen weitestgehend erfüllen. Junk hat gerade erst seinen Master in Gesang abgelegt und singt bereits am Théatre Royal de la Monnaie in Brüssel und mit dem Kammerchor von Namur. Er verfügt über eine sehr gute Höhe, ansprechende Phrasierung sowie über ein klangvolles Timbre, welches in der Tiefe noch erweiterungsfähig ist. Aber das Potenzial ist durchaus vorhanden.
Durch die oben genannten unglücklichen Umstände sang der Chor, also das Ensemble Vocal du Luxembourg, die einzelnen Sätze meines Erachtens zu wenig prägnant in den einzelnen Gruppen, wohl auch weil es eben weit mehr Sängerinnen und Sänger waren als für die Urfassung von 1863 vorgesehen war. In Riberão Preto waren die vier Stimmlagen in Vierergruppen klar voneinander getrennt und klangen dadurch viel plastischer. Eigentlich kommt ein so großer Chor auch nur in der von Rossini erst für die Zeit nach seinem Tod zur Aufführung frei gegebene Orchesterfassung zum Einsatz. So blieb das chorale Klangbild des Öfteren zu massiv, unkonturiert und akzentlos. Eine räumliche und klangliche Tiefe war selten gegeben. Dazu mag bis zu einem gewissen Grad auch das Dirigat von Rosch Mirkes beigetragen haben, der kaum auf Phrasierung und Höhepunkte hinarbeitete. Der gesamte Vortrag verlor damit an Dynamik und Transparenz. Es fehlten die großen Spannungsbögen und dramatischen Höhepunkte, die mich in Riberão Preto so beindruckt hatten.
Claude Weber war also der einzige Pianist. Wenngleich er sich im Prinzip gut in die Dynamik des Stücks einzufinden wusste, gerieten einige Passagen etwas holprig und manchmal auch etwas unausgereift. Hier stand es weit besser um das Harmonium, welches von Paul Kayser gespielt wurde, der insbesondere mit einem nachdenklich machenden und sakral klingenden „Prélude Religieux“, das zum Offertorium gespielt wird, glänzen konnte.
Nicht unerwähnt kann hier bleiben, dass mitten im Stück vor dem Credo plötzlich eine Pause eingelegt wurde. Das von Rossini als geschlossene Messe komponierte Werk wurde so in zwei Teile aufgestückelt. Da wäre eine bessere Programmgestaltung wünschenswert gewesen. Man stelle sich nur vor, dass der 1. Aufzug der „Götterdämmerung“, der bekanntlich über zwei Stunden dauern kann, nach der Gibichungenszene in eine Pause ginge…
Insgesamt also ein bedauerlicherweise nicht so recht überzeugender Rossini an diesem Abend in der eindrucksvollen Philharmonie von Luxemburg, die sicherlich, laut ihrer Programmierung, Besseres gewohnt ist.
Klaus Billand 14.12.2018
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