Luxemburg: „Der Troubadour“

Premiere am 20.02.2016

Rivalisierende Gangs im Hinterhofmilieu

Lieber Opernfreund.Freund,

das Theater in Luxemburg präsentiert in seinem Spielplan Gastspiele von oder Koproduktionen mit Opernhäusern aus den Nachbarländern Deutschland, Frankreich und den Niederlanden und lebt so den europäischen Gedanken im Kulturbereich. So war am gestrigen Samstag im Grand Théâtre de Luxembourg eine Produktion von Verdis „Trovatore“ vor ausverkauftem Haus zu erleben, die im Januar bereits im französischen Lille zu sehen war und im Juni in Caen in der Normandie erneut auf die Bühne kommt – jeweils mit den gleichen Künstlern. Der französische Regisseur Richard Brunel hat sich für eine moderne Lesart des Publikumsmagneten ohne mittelalterliches spanisches Gewand entschieden. Er verlegt die Geschichte um die rivalisierenden Brüder, die nicht um die Identität des anderen wissen, ins Hier und Jetzt und zeigt einen Bandenkrieg im Hinterhofmilieu. Die Drehbühne von Bruno de Lavenère ist eine trostlose Szenerie mit Basketballkorb und eine an sepiafarbene Fotografien erinnernde Ruine eines klassizistisch anmutenden Theaterraumes. Die düstere Geschichte wird ebenso düster von Laurent Castaignat in wenig Licht getaucht, Thibault Vancraenenbroeck steckt die Protagonisten in passende Streetwear im Gangsta-Style oder in Wrestler-Kostüme.

Archaisch geht es zu im Hinterhof. Gangboss Luna mit Halstattoo buhlt um die Gunst von Leonora, dem Mitglied einer Mädchengang. Die aber liebt Manrico, der einem anderen Clan angehört, der sich regelmäßig um Azucena schart. Als Leonora ihren Manrico tot glaubt, flüchtet sie sich in eine Sozialstation und versorgt Frauen vom Rande der Gesellschaft medizinisch und mit heißem Kaffee, verspricht sich später dem Clanchef Luna, um ihren Liebsten zu retten, der von Luna aber ermordet wird, so daß Azucena ihre Mutter als gerächt herausschreien kann. So seltsam das anmuten mag, so gut funktioniert es. Zwar wirkt die eine oder andere Idee doch recht aufgesetzt, im Stuhlkreis hüpfende Halbweltler beispielsweise wirken nicht wirklich glaubwürdig, doch ist die Szenerie so wirkungsvoll mit pyrotechnischen Effekten und showkämpfenden Akrobaten gespickt, dass alles rund wird und ein überzeugendes Gesamtbild ergibt.

Vollends überzeugend ist auch die sängerische Leistung am gestrigen Abend. Zwar schwächelt Sung Kyu Park als Manrico in der ersten Hälfte des Abends, zu sehr presst er die Höhen heraus, zu blass bleibt seine Interpretation. Doch steigert sich der Koreaner bereits im dritten Akt, wächst im vierten förmlich über sich hinaus und gibt da ein stimmlich überzeugendes und gefühlvolles Bild ab, bleibt allerdings darstellerisch eher unbeholfen. Ähnliche Schwäche erlaubt sich der Russe Igor Golovatenko nicht. Sein Luna ist ein Macho, sein imposanter Verdi-Bariton verfügt über unglaubliche Kraft und die zeigt er auch gerne. Dazu kommt eine enorme Bühnenpräsenz, die nachhaltig Eindruck macht. Fände er zumindest beim „Il balen del suo sorriso“ den Piano-Knopf, wäre er schier als Idealbesetzung zu bezeichnen. Der kommt Jennifer Rowley als Leonora noch näher. Ihr ausdrucksstarker Sopran ist mit dunklem Timbre, tollen Farben und einer wahnsinnigen Geläufigkeit ausgestattet. Dazu pflegt sie eine wunderbare Pianokultur, verfügt über endlosen Atem und präsentiert so das berührendste und überzeugendste „D’amor sull’ali rosee“, das ich in den vergangenen Jahren habe hören dürfen.

Schlichtweg fantastisch! Elena Gabouri stattet ihre Azucena mit raumnehmender Präsenz, bedrohlichem Mezzo und guttural gefärbter, schwarzer Tiefe aus. Das ist eindrucksvoll, steht der Rolle gut und auch darstellerisch weiß die Russin zu glänzen. Ryan Speedo Green als Ferrando ist eine Luxusbesetzung. Sein dunkler, imposanter Bass wertet den Handlanger Lunas auf und auch optisch ist der Amerikaner ein Ereignis. Neben dieser starken Fünferkonstellation bleiben die Inès von Evgeniya Sotnikova und der Ruiz von Pascal Marin eher blass, auch wenn sie durchaus passable Leistung zeigen. Aber das ist in der Tat Jammern auf sehr hohem Niveau. Alles in allem ist hier eine Sängerriege aus frischen, unverbrauchten Stimmen zu Gange, die sicht- und hörbar Freude an dieser Produktion hat.

Am positiven musikalischen Verlauf des Abends hat auch der Chor der Opéra de Lille unter Anleitung von Yves Parmentier großen Anteil. Die Sängerinnen und Sänger sind ebenso engagiert wie ihre Solistenkollegen bei der Sache. Aus dem Graben kommt purer Verdi, Roberto Rizzi Brignoli und das Orchestre Philharmonique du Luxembourg entzünden ein wahres Klangfeuerwerk, in der Partitur wurden erfreulicherweise kaum Striche vorgenommen, die Arien werden mit allen Wiederholungen gegeben. Allerdings schlägt der Italiener vereinzelt so forsche Tempi an, dass die Sänger beinahe hinterher hetzen und beispielsweise Koloraturen nur noch andeuten statt aussingen können. Das ist ein wenig schade, trübt aber mein begeistertes Resümee kaum.

Das Publikum applaudiert enthusiastisch, spart nicht mit Bravo-Rufen, auch wenn der Jubel beim Erscheinen des Regieteams eher verhalten wird. Unterm Strich war dieser „Trovatore“ die Reise ins benachbarte Herzogtum in jedem Fall wert, der/die eine oder andere haben in der Tat mehr als aufhorchen lassen.

Ihr

Jochen Rüth aus Köln 21.02.2015

Die Fotos stammen von Simon Gosselin.