21.7. (Premiere am 8.7.2017)
Fulminantes Sommerspektakel
Eugène Scribe (1791-1861) und Charles-Gaspard Delestre-Poirson (1790-1859) verfassten gemeinsam das Libretto zu Rossinis vorletzter (vollendeter) Oper nach ihrem eigenen Vaudeville, dem wiederum die Romance „Le Comte Orry et les nonnes de Farmoutier“ aus der Sammlung „Pièces intéressantes et peu connues pour servir à l’histoire et à la littérature“ (1785) von Pierre-Antoine de La Place (1707-93), zu Grunde lag. Am 20. August 1828 erfolgte dann die Uraufführung an der Opéra de Paris und nicht an der Opéra comique, weil Rossinis Oper kein Ballett beinhaltete und von daher die Möglichkeit zu einer Kombination mit einem eigenständigen Ballett eröffnete. Rossini hat sich in musikalisch-thematischer Hinsicht großzügig aus seiner eigenen Krönungsoper „Il viaggo a Reims“ (1825) für König Charles X. bedient, daneben aber noch französische Volkslieder, sowie Arien von François-Adrien Boieldieu (1775-1834) und Étienne-Nicolas Méhul (1763-1817) in die Partitur einfließen lassen.
Im Mittelpunkt der äußerst schlüpfrigen Handlung steht der Libertin Graf Ory, der sich mit seinen 13 Saufkumpanen als Pilgerinnen verkleidet, Zutritt zum Schloss Formoutier in der Touraine verschafft, um die adelige Witwe Gräfin Adèle, die ihren Bruder vermisst, zu verführen. Diese wird aber auch von Orys Pagen Isolier heiß begehrt. Eine Ménage à trois scheint vorprogrammiert…
Michael Garschall der langjährige verdiente Intendant der Oper Klosterneuburg lässt nun alljährlich im geschichtsträchtigen Kaiserhof von Klosterneuburg Klassiker des Opernrepertoires aufführen, heuer jedoch eine eher selten gespielte Rossini Oper. Wie denn auch die Bregenzer Festspiele in diesem Jahr Rossinis „Moisè in Egitto“ aus der Versenkung gehoben und zu einer beachtlichen Wiederbelebung verholfen haben. Für die Oper Klosterneuburg ist es ein großes Jubiläum, denn bereits seit 20 Jahre wird jeden Sommer seit 1998 eine Oper im Kaiserhof gespielt. Regisseur François de Carpentries sorgte für eine Gag geladene, Slapstick artige Inszenierung ohne Leerläufe.
Alle Mitwirkenden waren auch dann auf der Bühne mit stummem Spiel beschäftigt, wenn sie gerade nichts zu singen hatten. Für große Heiterkeit sorgte schon zu Beginn Mathurin der Esel (Michael Mayer und Anna-Katharina Slavicek) mit seinem fröhlichen „IA“ und später dann ein Stier, der dem ägyptischen Gott Apis glich (Michael Mayer), sowie ein schneeweißes Einhorn (Anna-Katharina Slavicek). Die abgeschrägte trapezförmige Bühne von Hans Kudlich wurde zu beiden Seiten von Wänden mit Schriftzügen in Bezug auf Rossini und die Oper begrenzt. Auch der Bühnenboden wies solche Schriftzüge auf.
Im linken Hintergrund war ein überdimensionales Schlosstor mit angedeuteter Zugbrücke zu sehen. Und rechts im Vordergrund ein abgestorbener Baum, dessen Öffnung ebenfalls für Auftritte genutzt wurde, wobei diese „Öffnung“ in Form einer Vagina natürlich als pars pro toto eine Anspielung auf die Handlung darstellte. Die Kostüme von Karine van Hercke verorten die Handlung, die ja zur Zeit der Kreuzzüge im Mittelalter spielen sollte, eher ins frühe 17. Jhd. Die schlüpfrigste Szene der Oper als nämlich Graf Ory glaubt Gräfin Adèle zu umarmen, stattdessen aber seinen Pagen Isolier umschlungen hält, findet unter dem berühmten sechsten Wandteppich „À mon seul désir“ (Mein einziges Verlangen) aus der Serie „Die Dame mit dem Einhorn“ aus dem 15. Jhd., dessen Original sich im Musée de Cluny in Paris befindet, statt. Die als fromme Pilgerinnen verkleideten Saufkumpane des Grafen Ory treten dann auch Fahrrad fahrend auf. Eine nicht so ganz neue Idee, denn sogar die Walküren in Erl demonstrieren ihre sportlichen Künste auf Drahteseln… Aber als „cycling“ Gag hat das allemal seine Berechtigung. Die witzige Choreographie steuerte die in Rumändien geborene Monica Ivona Rusu-Radman bei und das Einleuchten der einzelnen Szenen besorgte noch besonders feinfühlig Lukas Siman.
Als la Comtesse Adèle perlten die Koloraturen von Daniela Fally mit scheinbarer Leichtigkeit nur so dahin, dass die Zuhörer und Zuhörerinnen mucksmäuschenstill, was bei einer Open-Air Aufführung geradezu an ein Wunder grenzt, gebannt ihrem Vortrag lauschten. Der moldawische Tenor Iurie Ciobanu, Mitglied des Landestheaters Linz, ergänzte als Comte Ory optisch wie stimmlich ideal. Sowohl zu Beginn als ehrwürdiger Eremit, den jedoch sein Page Isolier entlarvt, als dann später als Anführerin der Pilgerinnen konnte er sein großes schauspielerisches Talent als Möchtegerncasanova ausleben. Als Page Isolier, der die Intrigen seines Herrn aufdeckt und durchkreuzt, glänzte die russische Mezzosopranistin Margarita Gritskova mit ihrer satten Tiefe und bruchlosen Höhe.
Die britische Mezzosopranistin Carole Wilson gefiel als Dame Ragonde, die etwas matronenhafte Gesellschafterin der Comtesse. Dem slowenischen Bass Peter Kellner fehlten als Gouverneur und Erzieher des Grafen lediglich die ganz tiefen Töne in seiner großen Arie in der vierten Szene des ersten Aktes „Veiller sans cesse, – Craindre toujours Pour Son Altesse – Ou pour mes jours…“ Martin Achrainer konnte wieder einmal sein großes komödiantisches Talent in der Rolle des Rimbaud, Gefährten des Grafen Ory bei dessen Streichen, eine Art Rossinischer Leporello, unter Beweis stellen. Leider hat er nur eine einzige wirklich große Arie in der 5. Szene im zweiten Akt zu singen. „Dans ce lieu solitaire“ hat ihr Pendent in der Arie des Don Profondo „Medaglie incomparabili“ aus „Il viaggio a Reims“. Als junge Bäuerin Alice ergänzte noch Florina Ilie das Ensemble rollengerecht. Christoph Campestrini entfachte am Pult der Beethoven Philharmonie ein wahres Rossini-Feuerwerk und ebenso funkelnd erstrahlte stimmlich der Chor operklosterneuburg unter Michael Schneider.
Langanhaltenden Applaus gab es zum Schluss, wofür das Publikum seinerseits noch mit dem Finale aus dem ersten Akt „Ciel! Ô terreur, ô peine extrême!“, das dem „Gran pezzo concertato a 14 voci“ aus „Il viaggio a Reims“ entspricht, belohnt wurde. Am Ende der Vorstellung verriet mir noch der ob des großen Erfolges dieser Produktion sichtlich gut gelaunte Hausherr Michael Garschall, das diese Idee von ihm stammte! Bravissimo!
Harald Lacina, 22.7.