Von Anfang bis Ende gebannt
Bei den Kölner Chorkonzerten stehen die aufgeführten Werke häufig alleine für sich, d.h. ohne eine überhöhende dramaturgische Sinnprägung. Bei Bachs „Weihnachtsoratorium“ bedeutet die Nähe zum Fest der Geburt Christi natürlich stets einen triftigen Anlaß. Auch der Bach-Verein greift Anfang Dezember auf dieses populäre Werk zurück, mit der häufigen Beschränkung auf die Kantaten 1-3. Immerhin hat man sich der Mitwirkung von Concerto Köln versichert, und bei Händels „L’Allegro, il Penseroso ed il Moderato“ kooperiert man im kommenden März mit dem Kölner Kammerorchester.
Für Claudio Monteverdis „Marienvesper“ („Vespro della Beata Vergine“) wurde Concerto con anima engagiert, ein Ensemble, welches sich auf eine historische Musizierpraxis konzentriert. Diesem anderthalbstündigen Werk galten drei Aufführungen, zunächst im Altenburger Dom, dann in der Bonner Kirche St. Marien und nun in Kölns St. Maria im Kapitol. Über die Akustik der erstgenannten Aufführungsorte kann aus Unkenntnis nichts gesagt werden. Jene in St. Maria im Kapitol erwies sich indes als ideal. Die Halligkeit der Kirche wirkt ausgesprochen stimmig, was nicht zuletzt beim Ausklingen einzelner Nummern der „Marienvesper“ festzustellen war.
Daß Hall einen Chor besonders großvolumig erscheinen läßt, ist eine alte Erfahrung. Doch das hindert nicht an der gerechten Beurteilung einer musikalischen Leitung. Und da kann man den Sängern des Bach-Vereins nur ein Riesenkompliment machen, was sensible Artikulation, harmonischer Zusammenklang und das sichere Bewältigen selbst intonatorisch heikler Phrasen betrifft (etwa die Spitzentöne der Soprane in „Laudate Jerusalem“). Mustergültig in die Aufführung integriert war auch Giovani del Coro, der Jugendprojektchor der Bonner Lukaskirche.
Der Aufführung der „Marienvesper“ aus Anlaß des 375. Todesjahres von Monteverdi gingen zwei Veranstaltungen voraus: ein Komponistenporträt im Gemeindeforum Auerberg Bonn sowie ein Gesprächskonzert in der Kölner Trinitatis-Kirche unter dem Titel „Monteverdis sanfte Revolution“ 1610“, welche eine Vermittlung zwischen dem historischen Stil („prima pratica“) und einer fortschrittlichen Kompositionsweise („seconda pratica“) darstellt. Selbst wenn jemand mit den Ohren des 21. Jahrhunderts eine gewisse Gleichförmigkeit im Ausdruck von Monteverdis Musik empfindet, wird bewundernd eingestehen müssen, daß die „Marienvesper“ mit einer unglaublich fantasievollen Klangfantasie aufwartet. Die Einbeziehung eines Kinderchores, der abwechslungsreiche Einsatz der Solostimmen und die äußerst farbvariable Nutzung des Instrumentariums (u.a. mit den festlich klingenden Zinken und Posaunen) schaffen ein großartiges Ausdruckspanorama, welches den Zuhörer neunzig Minuten lang unnachgiebig in Spannung hält. Hinreißend auch die Lontano-Stellen, welche in einer Kirche stets besondere Wirkung machen.
Es gibt eine Fülle von Einspielungen der Monteverdi-Vesper, unter Nikolaus Harnoncourt, John Eliot Gardiner und anderen. Die Aufführung des Bach-Vereins unter dem (wieder einmal) hochkompetenten Thomas Neuhoff (Bild oben) dürfte sich – so die ungeschützte Behauptung – neben diesen glänzend behaupten.
Das chorische Elysium wurde ergänzt durch ein superbes Solistenensemble. Der vokal wie rhetorisch ausdrucksstarke James Gilchtrist, welcher in der vorigen Saison schon bei Brittens „War Requiem“ beeindruckte, setzte sich dabei emphatisch an die Spitze. Seine Fachkollegen Robin Tritschler und Stefan Sbonnik boten gleichfalls Optimales. Tobias Knaus mit seinem leuchtenden Altus war sogar eine veritable Entdeckung. Einen noblen Bariton bot Jakob Kreß. Last not least die Sopranistinnen Hannah Morrison und Barbora Kabátková, deren Timbres wunderbar miteinander harmonierten.
Ein wahrhaft grandioser Abend, welcher noch lange nachwirkte
Christoph Zimmermann (4.11.2018)
Fotos (c) Wiki / Bachverein.de