Aufführung am 3. September 2017
featuring: Edgar Moreau (Cello)
Zu den allseits geschätzten Tugenden von Francois-Xavier Roth gehört auch seine musikalisch-emotionale Bindung an Köln, wo er seit 2015 als Gürzenich-Chef amtiert. Wie schon sein Vorgänger Markus Stenz ist er aufgeschlossen für edukative Einsätze, und gerne probiert er neue künstlerische Konzepte aus. Die jeweils neue Saison mit einem Festkonzert zu eröffnen war beispielsweise eine Idee von ihm. Bei dieser Gelegenheit wird an historische Ur- bzw. Erstaufführungen des Gürzenich-Orchsters erinnert. Nachdem in den beiden vergangenen Jahren das Doppelkonzert von Johannes Brahms, der „Till Eulenspiegel“ von Richard Strauss, Béla Bartóks „Wunderbarer Mandarin“ und sein 2. Violinkonzert sowie Gustav Mahlers 5. Sinfonie (demnächst CD-Veröffentlichung) auf dem Programm standen, wurde jetzt mit „Don Quixote“ erneut Strauss berücksichtigt, dessen gute Beziehung zur Domstadt nicht zuletzt von der Freundschaft mit Franz Wüllner herrührte, welche in München begonnen hatte.
Seine Affinität zu Strauss hat Francois-Xavier Roth bereits in seinen Jahren beim Sinfonieorchester des Südwestrundfunks (nach der Fusion mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart: SWR Symphonieorchester) unter Beweis gestellt. In der Philharmonie beeindruckten bildhafte Intensität, klare Farbzeichnung und Luzidität. Nicht immer hielt sich Roth freilich nicht zurück. So kostete er die Forteepisoden in „Don Quixote“ genüsslich aus, beim Ritt des Titelhelden mit seinem Diener Sancho Pansa durch die Luft so sehr, dass die Windmaschine akustisch lediglich zu ahnen war. Auch die dynamische Abstimmung mit dem Cellosolisten geriet nicht gänzlich ausbalanciert. Edgar Moreau wurde hin und wieder von den Klangfluten verschluckt. Vermutlich ist das ein Dauerproblem von Liveaufführungen dieses Werkes, während eine Studioaufnahme durch Mikrophonpositionierung ausgleichen kann. Leider gibt die Erinnerung nicht mehr her, wie vor sieben Jahren Markus Stenz das Werk an gleichem Ort bewältigte.
Diese Einwände sollen nun freilich nicht verkleinern, dass Francois-Xavier Roth die Tondichtung von Strauss ausgesprochen plastisch gestaltete, wobei ihm das großartig aufgelegte Gürzenich-Orchester (besonderes Lob für Horst Eppendorfs himmlischen Oboengesang) ohne Fehl und Tadel folgte. Der neue Solo-Bratscher des Orchesters, Nathan Braude, hatte die nicht sehr ausgedehnten Passagen des Sancho-Pansa-Porträts souverän inne.
„Hauptperson“ war ohnehin der gerade mal 23jährige Edgar Moreau. Sein Ton ist nicht so satt-vital wie der eines Mstislav Rostropowitsch, tendiert eher zur Noblesse eines Pierre Fournier, was ihn für die von ihm geschätzte Kammermusik besonders pröädestiniert. Bei seinen „Quixote“-Soli faszinierten nicht von ungefähr die zart gesponnenen Lyrismen sowie die makellose Intonation im Diskant. Wie auch sein Bratschen-Kollege ist Moreau häufiger Partner von Martha Argerich, was als Auszeichnung besonderer Art anzusehen ist.
Bei der „Rheinischen“ Sinfonie Robert Schumanns drehte Francois-Xavier Roth besonders auf. Nun ist das Werk des von Posaunen nur vorübergehend etwas düster gefärbten 4. Satzes (nach Schumann eine „feierliche Ceremonie“) ein musikalisches Dokument von Lebenslust und Daseinsbegeisterung, fraglos mitinspiriert von rheinischer Mentalität. Schumann war ja damals Musikdirektor in Düsseldorf und lernte auch Köln ausgiebig kennen. Doch dem anscheinend Unbeschwerten sollte bald das Tragische folgen. Das bittere Lebensende Schumanns ist bekannt. Die Widergabe der Sinfonie durch Francois-Xavier Roth ließ Gedanken daran freilich nicht aufkommen. Sie verbreitete puren Sonnenglanz.
Ein Erlebnis von besonderer Art brachte „Rêve“ von Claude Debussy, der 3. Satz seiner im Jugendalter geschriebenen „Premiere suite d’orchestre“. Zunächst gab es für das Werk viel Anerkennung, doch dann versank es in Archiven. Erst 1977 (!) tauchte es in einer New Yorker Bibliothek wieder auf. Die weiterhin verschollene Orchestrierung von „Rêve“ holte Philippe Manoury („Komponist für Köln“) nach, und Roth führte mit dem von ihm gegründeten Orchester „Les Siècles“ (es wechselt bedarfsweise von historischer zu moderner Spielpraxis) das komplette Werk 2012 in Paris auf und machte auch eine Aufnahme, wo – sicher nicht von ungefähr – auch „La mer“ zu hören ist. Der rauschhaften Atmosphäre dieses Stückes ähnelt „Rêve“ fast spektakulär. Ein retrospektiver Zug ist in der Musik zwar noch ablesbar, aber der für Debussy typische Impressionismus bricht sich bereits eindeutig Bahn: ständiges Flirren, Fluten und melodiöses Schwärmen. Das Gürzenich-Orchester überbot sich in Schönklang.
Christoph Zimmermann 4.9.2017
Fotos © Julien Mignot, Daniel Herendi