„Kann eine Frau nicht sein wie ein Mann?“ mäkelt Professor Higgins in der deutschen Übersetzung der „My Fair Lady“ herum, und damit spricht er dem weiblichen Geschlecht, als es noch unzweifelhaft ein solches gab, (weil sie eben nicht wie ein Mann ist) alle guten und souveränen Eigenschaften ab.
Mittlerweile hat sich das Rad der Geschichte (oder sagen wir: der Entwicklung, denn wann beginnt „Geschichte“?) enorm weiter gedreht. Und Frauen haben erkannt, dass sie in Spitzenpositionen, wenn sie diese erringen und halten wollen, nicht nur „wie ein Mann sein“ müssen, sondern eher noch besser bzw. schlechter, wie immer man es betrachtet. Mrs. Thatcher hat es etwa vorgemacht – vor der duckten sich auch hochmütige Briten. Briten-Männer.
Der Film „Tár“ des Amerikaners Todd Field behandelt nun genau dieses Thema. Ob es deshalb ein feministischer Film ist, sei dahingestellt. Dass Tár eine Frau ist, spielt allerdings eine Rolle. Eine große Rolle sogar. Denn sie verhält sich wie ein Mann.
Man muss „Tár“ auf zwei Ebenen sehen. Die filmkünstlerische sei hier ausgeklammert, denn sie ist nur bedingt gelungen. Zu diffus, manchmal auch konfus wird das Thema behandelt, zeitliche Sprünge, inhaltliche Löcher zeigen die neue Tendenz von Regisseuren, auf „Dramaturgie“ zu pfeifen (was sich das Kino an sich so wenig leisten kann wie das Theater). Man könnte die ganze Geschichte viel stringenter erzählen.
Aber lassen wir das beiseite. Sehen wir uns die Thematik an. Es geht um die Frau im Kulturbetrieb – und nicht als Kaffee holende Regieassistentin oder Kostümbildnerin (weil Schneiderei, wenn nicht Haute Couture, Frauensache ist, oder?), sondern ganz oben, höher geht es nicht: Madame Tár. deren Vorname nie erwähnt wird (wie „Karajan“ oder „Thielemann“, was braucht es da mehr), ist Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker (lassen wir das einmal so da stehen), sie hat ein Buch über sich geschrieben, betont, wie sehr Leonard Bernstein sie gefördert hat. Sie spielt mit ihrem Orchester die Symphonien von Mahler ein, aktuell die Fünfte („Denken Sie nicht an Visconti“, schnauzt sie das Orchester an, offenbar winden sich seriöse Musiker dabei, wie dieser das Adagietto der Fünften in seinem Film „Tod in Venedig“ zu kitschiger Filmmusik gemacht hat). Sie bestimmt Programme (nach ihrem Gutdünken und in Hinblick auf ihre Favoritinnen), entscheidet über Mitarbeiter, unterhält sich huldvoll von oben herab mit ihren finanziellen Gönnern. Sie unterrichtet auch. Mehr kann man nicht erreichen.
Zu Beginn, bei einem US-Fernsehinterview, sitzt sie da – wie ein Mann. Im dunklen Anzug, will „Maestro“ genannt werden, platzt vor Selbstbewusstsein und, wer sie nicht mag, könnte sagen: Angeberei. Allerdings weiß sie, wovon sie redet, wenn es um Musik geht – Filmfreunde, die auch Musikfreunde sind, werden das bestätigen.
Aber all das ist nicht genug für Társ „männliches“ Auftreten. Sie lebt in einer doppelt offenen lesbischen Beziehung – offen, weil jeder die Gattin kennt (sie sitzt im Orchester), die wiederum vor der Welt blamiert wird, weil Tár ganz offen zeigt, wenn sie junge Musikerinnen bevorzugt, kurze Verhältnisse eingeht, die Betroffenen dann wieder fallen lässt. Wie es – Männer eben tun, immer getan haben, was (vor unseren plötzlich so moralisch korrekten Zeiten) die Regel war, und im Grunde fand niemand etwas dabei. So war es eben. Macht zieht Machtmissbrauch nach sich…
Tár, die / der König des Orchesters. Die / der Mann in der Beziehung mit der Partnerin. Eine exotische Adoptivtochter haben sie auch. Als diese in der Schule gemobbt wird, nimmt sich Tár die „Sünderin“ her, und obwohl diese ein kleines Mädchen ist, bedroht sie sie geradezu gewalttätig. Eine Szene, die zeigt, wie brutal sie mit ihren Gegnern umgeht.
Etwa auch mit einem Studenten, der meint, er wollte einen „alten weißen Mann“ wie Bach nicht spielen (was natürlich extreme Idiotie ist). Tár macht ihn fertig, wie es vermutlich jeder Musiker, der sein Fach versteht, täte. Jemanden über Jahrhunderte rückwirkend zu verurteilen, weil er unseren momentanen (und ach so fragwürdigen) Maßstäben nicht entspricht… welch ein Wahnsinn.
Man könnte diese Geschichte nicht anderswo so erzählen als in der Musikbranche, denn nirgendwo wird mehr solides Wissen verlangt als hier. Ein Dirigent, eine Dirigentin, die vor ein Orchester tritt, muss jede Note, die sie dirigieren will, kennen – die Musiker kann man nicht bluffen, wie man es in anderen Welten schon erfolgreich versucht hat.
Nun ist also in „Tár“ alles drin, was es – sagen wir: an menschlichem Fehlverhalten gibt. Etwas, das mittlerweile auch Männer gestürzt hat – man muss nur bedenken, welch ein „Gott“ James Levine einst an der Metropolitan Opera war, und wie gnadenlos er vernichtet wurde, als etwas, was jeder seit Jahrzehnten wusste, plötzlich in die Mühle der „Cancel Culture“ geriet.
Das passiert auch Tár – plötzlich wird alles gegen sie verwendet. Eine von ihr fallen gelassene Musikerin, die sich vermutlich ihretwegen umbrachte, der abgekanzelte Student, wobei die Szene (wie heute üblich) natürlich detailliert mitgefilmt wurde.
Wäre jeder Mann über all diese Dinge gestolpert? Man kennt Fälle, wo Mächtige völlig unbeanstandet Ähnliches und Schlimmeres überlebt haben (Operndirektoren mit Besetzungscouch sind keine Erfindung deutscher Schwänke). Andere sind – nachdem sie sich lange genug gehalten haben – endlich über ihre Geschäfte gestolpert wie Alexander Pereira, dessen finanziellen Macheloikes schon allerorten Kopfschütteln erzeugt haben (und der dennoch immer weiter gereicht wurde). Regisseure, die sich bei Proben wie sadistische Veitstänzer verhalten haben, gelten noch immer als große alte Herren – von wegen Compliance-Regeln! Quod licet…?
Aber in unserer woken neuen Welt sind Iovi und Bovi plötzlich gleich gestellt, es gibt keine Götter mehr, sondern nur Hornochsen, denen nichts mehr erlaubt ist… (Es sei denn die Ex-Götter retten sich in mächtige Seilschaften, wie die Fälle Heller und Teichtmeister in Österreich zeigen. Dann kann man auch mit Betrug und Kinderporno davon kommen.)
Nein, es gibt keine Gesetze, wer zu Fall gebracht wird oder nicht. Bei Tár funktionieren, wie der Film zeigt, auf einmal die Netzwerke nicht mehr, keiner möchte in aller Feigheit riskieren, sie zu verteidigen (wie auch all die alten reichen mächtigen Damen der New Yorker Geld Society, die vom Charme des Placido Domingo so entzückt waren, ihn nicht an der Met halten konnten – Thielemann ist in Salzburg wenigstens – angeblich – über sein unliebenswürdiges Benehmen gestolpert).
Ob Tár gestürzt wird, weil sie eine Frau ist, die es gewagt hat, sich in die Männerdomäne zu begeben – das bleibt offen. Denn im Grunde ist Tár in ihrem Verhalten ein Mann, wie man ihn nicht mag. Dennoch – ganz typischerweise zählt ihre angeblich so grandiose Leistung als Musikerin auf einmal gar nichts mehr, weil sie nicht „brav“ war…
Immerhin, Tár wird genial dargestellt von Cate Blanchett „Oscar“-reif. Sehenswert. Ein Film für Feministinnen? Eher nicht. Die müssten sich vielmehr fremdschämen.
Renate Wagner, 7. März 2023