Dresden, Konzert: „Sinopoli-Akademie“

Am Vormittag des 19. Februar 2023 hatte die Sinopoli-Akademie der Sächsischen Staatskapelle gemeinsam mit der Gesellschaft der Freunde der Sächsischen Staatskapelle in das mittlere der drei Elbschlösser, die Villa Stockhausen (umgangssprachlich: das Lingnerschloss) nach Dresden-Loschwitz zu einem Kammerkonzert eingeladen.

Das Gebäude war 1850 bis 1853 als Wohnsitz des Kammerherrn des Prinzen Albrecht von Preußen (1809-1872), dem Baron Albert von Stockhausen )erbaut worden. Als Albrecht im Jahre 1853 sein seit 1845 bestehendes Verhältnis mit der Kammerfrau seiner ersten Gattin Rosalie von Rauch (1820-1879) mit einer „morganatischen Eheschließung“ legalisierte, musste das Paar Preußen verlassen und wohnte zunächst, während nebenan das „Schloss Albrechtsberg“ erbaut wurde, bis 1854, quasi als Untermieter bei der Familie Stockhausen. Nachdem die Villa ab dem Jahre 1891 dem Dresdner Nähmaschinenfabrikanten Bruno Naumann gehört hatte, erwarb  1906 der Unternehmer, Erfinder und Mäzen Karl August Lingner (1861-1916) das Anwesen. Der Junggeselle Lingner  war vor allem mit der Vermarktung der Rezeptur eines Antiseptikums seines Freundes, des Chemikers Richard Seifert (1861-1919), dem Mundwasser „ODOL“, wohlhabend geworden, weil er Idee des Markenartikels des gekröpften Fläschchens mit dem Bedürfnis breiter Teile der Bevölkerung auf Schutz vor Infektionen in Übereinstimmung brachte. Mit Lingner verbindet sich auch die von über fünf Millionen Menschen besuchte „Erste internationale Hygiene-Ausstellung Dresden“ von 1911, die Stiftung des „Deutschen Hygiene-Museums“ im Jahre 1912 und die Gründung eines „politisch-wissenschaftlichen Archivs“ in Berlin.

© Matthias Creutziger

Testamentarisch übertrug Lingner sein Anwesen der Stadt Dresden und verfügte die Gestaltung als eine öffentlich zugängige, gemeinnützige Begegnungsstätte. Leider gab die Zeitgeschichte diesem Stiftungsgedanken nur wenige Möglichkeiten, so dass nur der Begriff des „Lingner-Schlosses“ das Anliegen des Stifters überlebte. Wohnungen für Offiziersfamilien, Kinderheim, Hilfskrankenhaus für Kriegsverletzte, Büros für die sowjetische Militäradministration, Studentenwohnheim der Hochschule für Musik und Begegnungsstätte renommierter Dresdner Wissenschaftler, Ingenieure und Kulturschaffender waren die Nutzungen der Villa bis zum Anfang der 1990-er Jahre. Nach über zehn Jahren Leerstand übernahm der neugegründete gemeinnützige  „Förderverein Lingnerschloss e.V.“ die Verantwortung, sorgte mit Spenden und Sponsoring für die Sanierung, Erhaltung der Gebäudesubstanz sowie die Gestaltung von Veranstaltungsräumen einschließlich einer funktionierenden Gastronomie.

Im größtem, noch vor der Vollendung stehendem Veranstaltungsraum des „Lingner Schlosses“, hatten sich Betreuer der Akademisten, Mitglieder der Gesellschaft der Freunde der Staatskapelle und zahlreiche Musikinteressierte zu einer Kammermusik-Matinee unter dem Motto „Auf ein Neues“,  zu einer Art Leistungsschau der Akademisten getroffen.

Mit der 1923 von Fritz Busch gegründeten „Orchesterschule der Sächsischen Staatskapelle“, die 2011 in „Sinopoli-Akademie“ umbenannt wurde, werden junge Nachwuchsmusiker aus aller Welt in einer zweijährigen Weiterbildung von erfahrenen Kapellmusikern auf eine erfolgreiche Orchestermusiker-Tätigkeit durch Mitwirkung bei Proben und Aufführungen in Oper, Konzert sowie Ballett, so auch durch Einzelunterricht vorbereitet.

Zum Beginn des Konzertes spielten der Hornist Damien Muller, der Trompeter Alberto Antonio Romero López und der Posaunist Luis Rémy die „Sonate für Horn, Trompete und Posaune FP 33a“ von Francis Poulenc (1899-1963). Der Komponist gehörte zu einer Gruppe von sechs jungen Musikern um Erik Satie (1866-1925), die eine neue einfach strukturierte französische Musik schaffen wollten, die nicht länger in der Dunstwolke des Impressionismus weilen, aber auch nicht der „triefenden“ Romantik Richard Wagners folgen sollte und sich aus Strömungen wie Jazz heraushalten könne. Die Bläser-Sonate komponierte Poulenc 1922. Wir hörten eine im Jahre 1945 revidierte Fassung, die vermutlich von seiner Verbindung zum Widerstand beeinflusst war. Unkonventionell und frisch, ohne zu provozieren und losgelöst von Konventionen spielten die drei Blechbläser das unterhaltsame Stück.

Gabriel Fauré (1845-1924) komponierte 1898 seine Fantasie op. 79 für Flöte und Klavier für einen Wettbewerb des Pariser Konservatoriums. Der damals weltbeste Flötist Paul Taffanel (1844-1908) suchte als Leiter der Flöten-Klasse anspruchsvolle Stücke mit fünf bis sechs Minuten Aufführungsdauer, die bei den Teilnehmern eine konzentrierte Beurteilung ihrer Phrasierung, ihrer Ausdrucksmöglichkeiten, die Tonkontrolle und die Virtuosität erlaubte. Aus praktischen Gründen war eine Klavierbegleitung vorgesehen. Mit einigen Änderungen der Flötenstimme durch Taffanel wurde die Fantasie im Wettbewerb achtmal aufgeführt und kam rasch außerhalb des Konservatoriums zu Popularität. Im Konzert erreichten die Flötistin Marianna Sophie Busslechner und die Harfenistin Margot Gélie mit einer Einrichtung der Fantasie für Flöte und Harfe bei den Hörern eine besondere Wirkung. Die perfekte Balance der Instrumente, der Detailreichtum und die besondere Atmosphäre bescherten den Zuhörern ein nachhaltiges Erlebnis.

Paul Taffanel war nicht nur Flötist, Musiklehrer und Dirigent der Pariser Oper. Er bemühte sich auch um eine Rehabilitation der Bläsermusik Mozarts und anderer Klassiker und gab auch der Bläsermusik seiner Zeit wesentliche Impulse. Er gründete die „Société de musique de chambre pour instruments á vents“ mit dem Anspruch, das Kammermusikrepertoire für diese Bläser zu fördern und zu verbreiten. So auch mit seinem „Quintett g-Moll für Flöte, Klarinette, Oboe, Fagott und Horn, Werkeverzeichnis Nr. 1924“.

Marianna Sophie Busslechner (Flöte), Vera Karner (Klarinette), Robert Schina (Oboe), Hannah Philipp (Fagott) und Damien Muller (Fagott) spielten das dreisätzige Werk, betonten dabei die gesanglich inspirierte Melodik und die tänzerische Grazie mit einem weichen, stimmungsvollen Bläserklang.

Im zweiten Teil des Konzertes befassten sich mit jugendlicher Frische Gayoung Shin (1. Violine), Makiko Iwakura (2. Violine), Christopher Sandberg (Viola) und Anna Herrmann (Violoncello) mit Antonin Dvořáks „12. Streichquartett F-Dur op. 96“, genannt das Amerikanische. Das in Dvořáks Komposition thematisierte Ineinanderfließen von Traditionen und Klangsprachen ermöglichte den vier Musikern, thematische, aber auch dynamische Gegensätze zu betonen. Mit ihrer fesselnden Energie und der klaren musikalischen Linie sicherten sie einen begeisternden Abschluss des Vormittags.

Nach dem Konzert konnten wir zu unserer großen Freude unsere Paten-Akademistin Vera Karner zu ihrem ersten Engagement als Solo-Klarinettistin den „Brandenburger Symphonikern“  verabschieden.

Thomas Thielemann 21. Februar 2023


Kammerkonzert der Sinopoli-Akademie

Villa Stockhausen

Lingnerschloss Dresden

19. Februar 2023

Sächsische Staatskapelle Dresden