Graupa: „Leichte Muse bei Richard Wagner“

Das Silvesterkonzert des Leipziger Gewandhausorchesters mit Ludwig van Beethovens neunter Symphonie hat über Jahrzehnte zu unserem Jahresabschluss gehört. Oft ging es noch im Konvoi in das 15 Kilometer entfernte Rötha, wo der Gewandhausorganist Matthias Eisenberg auf einer der beiden Silbermann-Orgeln entweder in der Georgenkirche oder in der Marienkirche bis weit an das Jahresende heran improvisierte.

Die Botschaft von der Brüderlichkeit aller Menschen der „Ode an die Freude“ hat sich leider zunehmend als Utopie erwiesen. Weltweite Kriege, Flüchtlingsströme, wachsende soziale Ungerechtigkeiten, Folgen der Umweltzerstörungen lassen das Pathos des Finales der Symphonie bei bewusstem Hören ziemlich hohl klingen und den Götterfunken nicht zünden. Auch wird Beethovens Meisterwerk unabhängig von der politischen, gesellschaftlichen oder kulturellen Rezeption als Allzweckwaffe genutzt, um irgendwelche Anliegen zu artikulieren oder zu vertuschen.

Auch hat sich die „Neunte“ viel gefallen lassen müssen. Wer wollte, wer konnte hat sich des Werkes bedient und das Chorfinale für seine Zwecke gedeutet. Unabhängig von der politischen, gesellschaftlichen  oder kulturellen Rezeption wird die „Ode an die Freude“ als Allzweckwaffe genutzt, um irgendwelche Anliegen zu artikulieren oder zu vertuschen. Der Missbrauch des Meisterwerks Beethovens ist ungebrochen. Auch in unserer Zeit wird die Symphonie für jede denkbare Gelegenheit regelrecht benutzt.

Deshalb waren für uns die Angebote der Gestaltung des Jahresabschlusses der „Richard-Wagner-Stätte“ in Graupa willkommen. Der sächsische Hofkapellmeister Richard Wagner hatte im Sommer des Jahres 1843 einen dreimonatigen Urlaubsaufenthalt im nahe der Residenzstadt ländlichen Graupa verbracht. Auf umfangreichen Wanderungen hatte er sich von der idyllischen Naturlandschaft zwischen der Sächsischen Schweiz und Pillnitz inspirieren lassen und in einem regelrechten Schaffensrausch die Grundzüge seiner romantischen Oper „Lohengrin“ konzipiert. Im Jahre 2013 wurde das unweit des Wagnerschen Feriendomizils befindliche Jagdschloss zur Gedenkstätte eingerichtet.

© Tom Adler

Das traditionelle Festkonzert zum Jahreswechsel des Hauses gestaltete diesmal der Wahl-Dresdner Sänger Anton Saris. Er moderierte das dem Anlass geschickt zusammengestellte Programm mit populären Werken der leichten Muse auch selbst.

Anton Saris wurde von der Konzertpianistin Natalia Posnova begleitet. Posnova ist in Dresden besonders mit ihrer „Queen Rhapsody-Show“ bekannt. Mit grandiosen Arrangements am Klavier und gemeinsam mit einem Sänger-Gitarristen verleiht sie der magischen Musik der legendären Rockband, insbesondere der Freddy Mercurys, einen völlig neuen Zauber.

Mit ihrer professionellen Liederbegleitung im Festkonzert sicherte sie die Wirkung des Gesangs des weltweit gefragten Tenors.

Mit seiner warmen, lyrischen und wandlungsfähigen Tenorstimme begann Anton Saris das Konzertprogramm mit der Ansprache Johann von Goethes aus Franz Lehárs (1870-1948) Singspiel „Friederike“ mit den Texten Ludwig Herzers (1872-1939) und Fritz Löhner-Budas (1883-1942). Mühelos füllte er den bis auf den letzten Platz besetzten Raum mit Kraft, wo es angebracht war.

Ein Erfolgsstück Lehárs, wenn auch erst im zweiten Anlauf, war seine Operette „Das Land des Lächelns“. Mit dem Auftrittslied des Prinzen Sou-Chong und der schwärmerischen Liebesbeteuerung des Prinzen gegenüber der Lisa „Dein ist mein ganzes Herz“. Aber letztlich blieb die Beziehung nicht erfüllbar, denn vier, selbst politisch verordnete, Nebenfrauen waren der Europäerin nicht zuzumuten. Anton Saris brillierte nicht nur im Melodien-Juwel mit raffinierter Steigerungsdramaturgie bei hochtreibendem Forte und bewies seine Vertrautheit  mit den Fallstricken des Genres, sondern zeigte auch die Härten, die Einsamkeit der Figur.

Dem unbeschwerten Auftakt folgte aus Lehárs Spätwerk „Der Zarewitsch“ das als Wolga-Lied bekannte „Allein, wieder allein“. Obwohl diese Operette mit ihrer tragischen Handlung und dem „Es steht ein Soldat am Wolgastrand“ das Publikum ohne Happy End nach Hause schickte, war dem Werk 1927 mit seiner melodischen Schlichtheit und Emotionalität ein großer Publikumserfolg beschieden gewesen. Einfühlsam, aber ohne Sentimentalität, brachte Anton Saris das Gefühl der Verlassenheit und das Bedürfnis nach Liebe und Verbundenheit zur Geltung.

Der Operette „Eine Nacht in Venedig“ des Johann Strauss (1825-1899) war seit ihrer Wiener-Uraufführung im Jahre 1883 nicht zuletzt wegen der verwirrenden Handlung vom Beginn an, trotz vieler Nachbesserungen, kein rechter Erfolg vergönnt gewesen. Erst mit einer Bearbeitung durch Erich Wolfgang Korngold (1897-1957), der von seinem Musikkritiker Vater zur „Berliner Speerspitze des musikalischen Konservatismus“ aufgebaut worden war, kam es ab dem Jahre 1923 zu häufigeren Aufführungen. Korngold hatte mit seiner Bearbeitung das Stück regelrecht um 180 Grad gedreht, indem er Teile entfernte und weitere Stücke aus anderen Strauss-Kompositionen in die Nacht in Venedig implantierte. Vor allem hatte er die Tenor-Rolle erweitert. Auf diese Weise ist auch das von Anton Saris im Konzert gesungene „Treu sein, das liegt mir nicht“ von einem Lied der Anina „Was mir der Zufall gab“ in veränderter Form in die Venezianische Nacht gewandert. Der Tenor bekannte sich zumindest in seiner Interpretation zu der doch etwas oberflächlichen Lebensauffassung und lockerte die Stimmung im Publikum.

Nach dem Versterben des Johann Strauss fanden die Familie im Nachlass zahlreiche Ansätze des Komponisten für weitere, nun unvollendete Projekte. Gemeinsam mit dem Librettisten Hans Adler (1880-1957) stellten die Komponisten Oskar Stalla (1879-1953) und Bernhard Grun (1901-1972) aus Entwürfen des Johann Strauss eine „postume Operette“ über „Die Tänzerin Fanny Elßler“ zusammen, die 1934 zur Uraufführung gelangte. Zu den musikalischen Höhepunkten des Stückes gehört das Walzerlied „Draußen in Sievering blüht schon der Flieder“, das die Programmfolge ergänzte und von Anton Saris als verfrühter Frühlingsgruß geboten wurde.

Von der klassischen Operette führte uns der Wienlieder-Komponist Rudolf Sieczyński (1879-1952) mit „Wien, Wien nur du allein“ und Robert Stolz (1880-1975) mit „Im Prater blühn wieder die Bäume“ sowie „Wien wird bei Nacht erst schön“ in die Seele der Bewohner dieser Stadt mit ihren Stimmungen, ihren Höhen und Tiefen. Eine auch gern aufgenommen Aufforderung zum Mitsingen, lockerte dabei im Publikum um weiteres die Stimmung.

In den Block der  Wiener Lieder eingeschoben, war aus Friedrich Schröders (1910-1972) Volltreffer „Hochzeitsnacht im Paradies“ das Lied „Ein Glück, dass man sich so verlieben kann“. Die Operette war 1941 so erfolgreich gewesen, dass sie nach der Uraufführung im Berliner Metropoltheater 525 Mal im ausverkauften Haus gespielt worden war.

Zu den erfolgreichsten Film-Komponisten der 1930-er Jahre gehörte Hans May (1886-1958), bis er wegen seiner jüdischen Herkunft nach England emigrieren musste. Die Handlungen der von ihm mit Musik versehenen Filme wurden oft regelrecht um seine Ohrwürmer herum gestaltet. So seine Schöpfungen „Ein Lied geht um die Welt“ und „Heut ist der schönste Tag in meinem Leben“. Aber auch „Nur wer die Sehnsucht kennt“ aus dem Film „Wenn du jung bist, gehört dir die Welt“ zählte zu seinen Erfolgsarbeiten.

Und wieder schwungvoller wurde die Stimmung im Raum, als noch einmal aus der von Robert Stolz im Operettenmilieu angesiedelten Operette, die Titelmelodie „Zwei Herzen im Dreivierteltakt“ angestimmt wurde.

Schwieriger wurde es, für den Konzertschluss die fröhliche Stimmung des Gebotenen aufrecht zu erhalten. Denn den Abschluss des Festkonzertes bildete Franz Schuberts (1797-1828) Ständchen D 957 mit einem Text des damals29-jährigen Ludwig Rellstab (1799-1860) „Leise flehen meine Lieder“. Anton Saris sang die zu den letzten Arbeiten Schuberts gehörende Komposition mit der ihr angemessenen Schlichtheit. Dem Sänger und der Pianistin gelang es, die Zuhörer in ihren Bann zu ziehen, wo Spannung erforderlich und zu betören, wo lyrische Klänge angebracht waren. Die guten Tempi und die hervorragende Balance zwischen Gesang und Klavier, der richtige Mittelweg zwischen Hervorheben sowie Herausarbeiten von Details sicherten die Einheitlichkeit der ernsthaften Grundstimmung des Liedes.

Eine Zugabe aus dem „Zarewitsch“ sowie der enge Kontakt zu den Besuchern ermöglichte, die Stimmung von Anton Saris begeisternden Interpretationen und Natalia Posnovas engagiertem Klavierspiel in den Silvesterabend mitzunehmen.

Thomas Thielemann, 1. Januar 2025


Werke aus klassischen Operetten, Wiener Lieder und Filmmusik sowie von Franz Schubert „Ständchen“ D 957

Festkonzert zum Jahresschluss am 31. Dezember 2024
Richard-Wagner-Stätten Graupa

Anton Saris: Tenor
Natalia Posnova: Klavier