Klangvokal Musikfestival – Konzerthaus 31. Mai 2019
Bei Ihrer Oper Die Perlenfischer (les pêcheurs de perles) hatten Georges Bizet und seine Textdichter Michel Carré und Eugène Cormon wohl kaum an ein sozialkritisches Drama gedacht, in dem Ausbeutung von Bewohnern der Welt angeklagt wird. (Nur einmal, im langsamen Teil des Eingangschors, singen die Männer vom Kampf gegen den Tod (braver la mort) Auch waren nicht beabsichtigt Erinnerungen von Senioren im Heim, vielleicht passt noch eher eine TV.-Serien nachempfundene Aufbereitung.
Dies alles haben uns kreative Regisseure in letzter Zeit mit Hilfe dieser Oper darstellen wollen.
Im Gegensatz zum Titel, der ja eigentlich heissen müßte Perlentaucher, wird nämlich kaum das Schicksal einer Berufsgruppe dargestellt, sondern doch eher eine konventionelle (Opern-)Handlung – die Oper sollte auch erst Léïla heissen. Quasi als Dekoration spielt sie wegen der Begeisterung des damaligen Publikums für den Exotismus auf Ceylon in einem pseudo-hinduistischen Ambiente. Obwohl befreundet lieben nämlich Tenor (Nadir – Jäger) und Bariton (Zurga – Perlenfischer) dieselbe Sopranistin (Léïla – jungfräuliche Tempelpriesterin) Darunter soll die Männerfreundschaft trotzdem nicht leiden, was natürlich mißlingt. Großmütig verzichtet der Bariton und ermöglicht unter Opferung des eigenen Lebens das Liebesglück von Sopran und Tenor.
Daß Bizet dafür bereits zwölf Jahre vor Carmen publikumswirksame Arien und Ensembles angelehnt an italienische Vorbilder sowie mächtige Chorszenen zu teils schon individuellen Harmonien komponieren konnte, zeigte jetzt eine konzertante Aufführung der Oper als einer der Höhepunkte des Klangvokal Musikfestivals in Dortmund. Friedrich Haider leitete die Aufführung mit dem WDR Funkhausorchester und dem WDR Rundfunkchor einstudiert von Robert Blank.
Unter den Gesangssolisten hinterliess den nachhaltigsten Eindruck Ekaterina Bakanova mit ihrem für französische Oper passenden helltimbriertem Koloratursopran als Léïla. Schon beim Auftrittslied mit Chor (dieser fast im Walzertakt singend) bewunderte man Koloraturen und Triller. Dies galt noch mehr in Rezitativ und Kavatine im zweiten Akt wo sie alleingelassen schon die Nähe des geliebten Nadir ahnt (Me voila seule dans la nuit –allein in der Nacht) mit langen Legato-bögen im p, genau getroffenen Spitzentönen sowie Koloratur und Triller zum Schluß – einem der Hits der Oper. Insgesamt merkte man ihr an, daß sie die Rolle gerade szenisch in Barcelona dargestellt hat.
Die Rolle ihres geliebten Nadir hatte wegen Erkrankung des ursprünglich vorgesehenen Tenors kurzfristig Sergey Romanovsky übernommen, der die Partie szenisch kürzlich in Zürich gesungen hat. Schon in seiner ersten Romance in der er sich an die Stimme der geliebten Léïla erinnert, (jc crois entendre encore (ich glaube noch zu hören) – auch ein Hit der Oper – hörte man in italienischem Gesangsstil artikulierte Legato-Bögen, und er schaffte es, zum Schluß die hohen Spitzentöne wie vorgeschrieben pp – smorzando zu singen. Das galt auch für den leisen (aus der Ferne) Solo-Beginn des Duetts des Wiedersehens mit seiner Geliebten, in dessen Verlauf beiden gleichzeitig aufeinander abgestimmte Spitzentöne gelangen, um dann gemeinsam sehr leise zu schliessen mit doux moment (süsser Augenblick).
Auch für die Partie des Zurga mußte kurzfristig ein Ersatz gefunden werden – diese Aufgabe übernahm mit mächtigem Bariton und mehr textverständlich als die anderen Sänger David Bisic.
Im grossen Duett mit Nadir über die Erneuerung ihres Freundschaftsschwurs (Jurons de rester amis) – fast der bekannteste Hit der Oper – paßte er sich stimmlich seinem Partner an. Bei der folgenden Ankündigung des Erscheinen Léïlas hatte er etwas Schwierigkeiten mit den hier geforderten tiefen Tönen. Auch hätte man sich die Stimme flexibler vorstellen können, etwa mit unterschiedlichem Timbre zwischen Freundschaftsschwur und Rachegelüsten.
Wie in vielen Opern des 19. Jahrhunderts stiftet ein Priester Unheil. Hier ist es Nourabad, Großpriester des Brahma, gesungen von Luc Bertin-Hugault. Seinen tiefen Bass hätte er allerdings manchmal mit mehr mächtig-drohendem Ausdruck versehen können, wenn er etwa das Liebespaar überrascht oder den Chor gegen dieses aufhetzt.
Der WDR Rundfunkchor, war in grosser Besetzung hinter dem Orchester platziert. Wenn es nur um die Perlenfischer ging, war natürlich der Herrenchor gefordert, etwa wenn sie Zurga zu ihrem Anführer wählen. Diese Wahl ist eingebettet in einen getanzten Damen- und Herrenchor (Choeur dansé), sogar begleitet von Kastagnetten, wo er mit dem rasanten Tempo des Dirigenten kaum Schritt hielt. Ansonsten klang er mal mächtig zum Lobe Brahmas – da wurde die Saalbeleuchtung heller. Zeigen konnte er sein Können besonders beim Racheschwur gegen das verräterische Liebespaar (Allegro feroce – auch eigentlich ein getanzter Chor) und mehrstimmig bei Aufzug des Gewitters als Reaktion des Gottes auf die verbotene Liebe (Ô nuit d´épouvante – – O Nacht des Grauens)
Das WDR Funkhausorchester und alle beteiligten Sänger trieb Dirigent Friedrich Haider zu teils rasanten Tempi an, was manchmal zu kleinen Ungenauigkeiten führte. Auch Ruhepunkte wie gleich die einleitende Introduction kamen zu ihrem Recht. Bei den grossen Ensembles waren Orchester und Chor manchmal zu laut, sodaß die Solisten kaum zu hören waren – vielleicht mit Ausnahme dess Soprans.
Die Qualität des Orchesters zeigte sich an den zahlreichen Soli einzelner Instrumente. etwa des Horns bei Begleitung von Léïla´s Kavatine, einem Solo-Streichquartett beim Auftritt der eigentlich verschleiert sein sollenden Léïla. Soli von Cello und einzelnen Holzbläsern seien ebenfalls erwähnt.
Nach dem grandiosen Schlußterzett(Zurga legt Feuer, ermöglicht dadurch die Flucht der Liebenden) und dem aus der Ferne ertönenden Schlußduett der Liebenden applaudierte das Publikum im fast ausverkauften Konzerthaus den Solisten, dem Chor mit seinem Leiter, Orchester und Dirigenten lang anhaltend mit Bravos und, wie heute üblich, auch stehend.
Sigi Brockmann 1. Juni 2019