20. Februar 2020
Zuletzt war die Oper Die Frau ohne Schatten – Dichtung von Hugo von Hofmannsthal – Musik von Richard Strauss – in Dortmund in der Spielzeit 1975/76 zu erleben. (Premiere 27.09.75) In Erinnerung blieben bis heute die musikalische Leitung des damaligen GMD Marek Janowski und die farbigen, märchenhaften, dem Jugendstil nachempfundenen Bühnenbilder und Zwischenvorhänge von Hans Schavernoch.
Wenn für vergangenen Donnerstag diese Oper im Konzerthaus konzertant angekündigt war, ergab sich vorweg doch die Frage, ob diese in einem sagenhaften fernöstlichen Inselreich spielende Handlung vom Schatten als Symbol weiblicher Fruchtbarkeit mit den vielen Zauberspukereien und häufigen Ortswechseln (allein fünf im zweiten Aufzug) ohne Bühne und Theaterspiel nachvollziehbar werden könnte.
Angestachelt durch ihre tückische Amme will die Kaiserin zur Rettung des Kaisers vor der Versteinerung , beide ein märchenhaft-übermenschliches Paar, einen Schatten kaufen von der Frau zum Schaden ihres Mannes, des Färbers Barak, ein menschliches Paar. Nach bestandener Läuterung beider Paare durch Selbstüberwindung gibt es insofern ein happy end, daß beide einen Schatten werfen und die irgendwo schon wartenden Ungeborenen nun durch den Liebesakt der Paare ins körperliche Leben gelangen können, weshalb dieser nicht nur Vergnügen sein darf. Diese strenge Sexualmoral fordert von seiner Tochter, der Kaiserin, und ihrem Kaiser der mächtige Geisterfürst Keikobad.
Dieser betritt aber gar nicht die Bühne, sondern wird vor Beginn der Handlung und immer wieder durch ein seinem Namen nachempfundenen düsteres Motiv der Tuben und dunklen Akkorden der Bläser angekündigt, ähnlich wie Agamemnon in der Elektra.
Die Bühne betraten und verliessen entsprechend der Handlung vor dem riesig besetzten Rotterdam Philharmonic Orchestra unter Leitung von Yannick Nézet-Séguin dafür Sängerinnen und Sänger, wie sie etwa für die fünf Hauptpartien passender kaum zu finden sind.
Da ist zunächst zu nennen Michaela Schuster in der Rolle der Amme. Nicht nur meisterte sie die gesanglichen Herausforderungen der stimmlich irrlichternden Partie technisch perfekt, sogar bis hin zum tiefen zu Stein, sondern sie machte auch stimmlich ihr tückisches Wesen deutlich zwischen Ankündigungen kommenden Unheils gegenüber der Kaiserin, Schmeicheleien gegenüber der Färberin und schließlich Verzweiflung über ihre endgültige Verbannung zu den Menschen – eine alte schwarz und weiß gefleckte Schlange, wie die Kaiserin ihre Amme zu Recht nennt. Dabei war sie soweit möglich textverständlich und machte durch Gestik und Körpersprache mehr als alle anderen Mitwirkenden auch szenische Andeutungen, selbst dann, wenn sie selbst nicht sang.
Die für die Handlung entscheidende Partie der Frau, also als Menschenfrau des Färbers Barak, also der Färberin, gestaltete mit hochdramatischem Sopran Lise Lindstrom. Dabei gab sie stimmlichen Ausdruck sowohl der frustrierten Ehefrau in dem wie sie glaubt engen Lebensraum im Färberhaus, der hysterischen Reaktion auf die angeblichen Stimmen der ungeborenen Kinder wie auch die mit triumphierenden Spitzentönen dargestellte Phantasie, Barak betrogen zu haben, den sie doch immer noch liebt. Dies erkennt sie erst, als er sie als Reaktion bestrafen will und so gab sie auch diesem Sinneswandel mit langen Spitzentönen Ausdruck. Da fragte man sich, wo sie die Kraft zu solch dramatischem Gesang hernahm, traf doch fast auf sie zu der Ausspruch der Amme von der Schlankheit des ganz jungen Palmbaums.
Die Partie der Kaiserin ist stimmlich lyrischer angelegt, aber ihr Stimmungswandel ebenso dramatisch. Dies wußte Elza van den Heever mit vielen passenden stimmlichen Nuancen zwischen Koloraturen, Legatopassagen und zurückgenommenem p, etwa bei ihrem Monolog im ersten Aufzug, auszudrücken. Höhepunkt war im zweiten Akt, wo sie erkennt, daß sie durch ihr Verhalten Schuld auf sich geladen hat sowohl gegenüber dem liebenswerten Barak, dem sie seine Frau zwecks Erlangung ihres Schattens entfremdete, als auch dem Kaiser gegenüber, den sie durch die Kinderlosigkeit versteinern ließ. Da traf sie die hohen Spitzentöne, auch ohne Orchesterbegleitung, da gelang im dritten Akt der stimmliche Sprung über zwei Oktaven bei Schwelle des Todes, Sprechgesang beim Anblick des versteinerten Kaisers und schließlich auch ohne Orchester ihr gewaltiger stimmlicher Schrei Ich will nicht, mit dem sie den Kaiser rettet.
Dieser wurde gesungen von Stephan Gould mit gegenüber dem grossen Orchester gewohnt mächtigem Heldentenor, grossen Legatobögen und wo nötig zurückgenommenem p. Seine beiden grösseren Monologe sang er ohne Noten. Zu seinem Hit wurde Falke du wiedergefundener, wo er die Untreue der Kaiserin – ihren Weg zu Menschen – bemerkt und es nicht über sich bringt, sie zu töten.
Dem sympathischsten Charakter der Oper und dem einzigen, der als Barak namentlich genannt wird, verlieh Michael Volle seinen edlen Bariton. Glück strahlte er stimmlich aus, wenn er arbeiten und für andere sorgen konnte – eben auch für seine künftigen Kinder und deren Mutter, und so wurde sein Hit Mir anvertraut, daß ich sie hege, zu einem Höhepunkt. Daß er zu Beginn des dritten Aktes zwar mit der Färberin im Duett sang, die beiden aber nicht voneinander wissen durften und sich nicht hören sollten, war natürlich bei der konzertanten Aufführung nicht darzustellen.
Alle weiteren kleinen Gesangspartien waren passend besetzt, so auch die stets mehrstimmig singenden Brüder Baraks mit Andreas Conrad, Michael Wilmering und Nathan Berg.
Die hymnischen Sentenzen der Wächter zum Ende des ersten Aufzugs übernahmen die Herren, die Stimmen der Dienerinnen die Damen und die der Menschen der gesamte Rotterdam Symphony Chorus, der auf der Tribüne hinter dem Orchester platziert war. In gleicher Höhe rechts neben dem Orchester erfreute der WDR Kinderchor Dortmund mit den Stimmen der Ungeborenen, dies besonders zum versöhnlichen Schluß im Zusammenklang mit allen Gesangssolisten.
Diese mußten manchmal alle ihre Stimmkraft vielleicht mehr als gewohnt nutzen, da das grosse Orchester nicht unter ihnen im Graben, sondern hinter ihnen platziert war. Für den Zuhörer ergab sich daraus die Gelegenheit, besser als sonst das Geflecht der mehr als dreissig Motive und die raffinierte und einprägsame Instrumentierung von Richard Strauss, sogar etwa auch unter Einsatz des chinesischen Gongs, zu bewundern. Dies galt vor allem für die Zwischenspiele, etwa im ersten Aufzug zum Wechsel vom Geisterreich zum Färberhaus oder bei den vielen Ortswechseln im zweiten Aufzug. Besonders eingängig zu hören waren etwa die Motive von Er wird zu Stein oder die hohen Töne mit Vorhalt der Flöten als Rufe des Falken, der auch einige Male von links oben mit menschlicher Stimme sang (Katrien Baerts) Als Zeichen der gewaltigen Macht Keikobads waren zusätzlich sechs Posaunen auf der Empore neben dem Chor eingesetzt, wenn er etwa als Richter fungierte. Diesen gewaltigen Apparat von Mitwirkenden leitete Yannick Nézet-Séguin überlegen mit sorgfältig sich bis zu grossen Tempo steigernder Dynamik und exakten Bewegungen, wie man sie ja im Orchestergraben nicht so hätte verfolgen können. Auch viele instrumentale Soli waren besser zu hören, etwa das Solofagott zu Beginn des dritten Aufzugs oder der wunderbare Gesang des Solocellos beim wiedergefundenen Falken des Kaisers. Für die Soli der ersten Violine, besonders im dritten Aufzug vor dem Monolog der Kaiserin, war die erste Konzertmeisterin, Marieke Blankestijn, besonders zu bewundern.
Nach dem p-Schluß der Oper brauchte es nur ganz kurze Zeit, bis im praktisch ausverkauften Haus, wie auch schon nach den ersten beiden Aufzügen, begeisterter Jubel, Bravi, Beifall des Publikums erschollen, so ungefähr nach dem Motto Baraks Nun will ich jubeln wie keiner gejubelt.
Sigi Brockmann 22. Februar 2020
Fotos Petra Coddington
PS Am nächsten Sonntag kann das ganze nachmittags in Rotterdam im Konzertsaal de Doelen nochmals gehört werden