Für interessante Programm- und Gestaltungsakzente stehen ein neuer Chefdirigent, der Brite Sir Donald Runnicles und eine neue Erste Gastdirigentin, die seit drei Jahren dem Orchester verbundene Norwegerin Tabita Berglund. Ihr wird die Ehre der Konzertsaisoneröffnung zuteil. Berglund, geboren 1989 in Trondheim, bekommt schon früh Cellounterricht. Sie absolviert mit Erfolg ein Masterstudium bei Truls Mørk, tritt danach als Solistin u.a. mit Oslo Philharmonic und Trondheim Soloists auf, bis ein Dirigier-Crashkurs in ihr die Lust zum Dirigieren weckt. Einen Masterstudiengang an der Norwegischen Musikakademie bei Ole Kristian Ruud beendet sie 2019. Meisterkurse bei Bernard Haitink, Jaap van Zweden und Jorma Panula runden die Ausbildung ab. Schnell erwirbt sie sich den Ruf als eine der interessantesten Dirigentinnen unserer Zeit. Seit 2024/2025 für vier Jahre Erste Gastdirigentin in Detroit, mit dieser Saison in dieser Position auch in Dresden, die zunehmende Zahl von Verpflichtungen bei bedeutenden Orchestern Europas, der USA und Japans, die Zusammenarbeit mit erstrangigen Solisten sind Belege für den Beginn einer großen, internationalen Karriere.
Es ist fast selbstverständlich, dass der Abend mit dem Werk eines norwegischen Komponisten eröffnet wird.

Rolf Gupta (geb.1967): aus „Lied der Erde“ (Jordens sång): Epilog für Orchester. Zunächst als Dirigent in Helsinki an der Sibelius-Akademie ausgebildet bei Jorma Panula, Ilya Musin und Herbert Blomstedt, studiert er anschließend an der Musikakademie Oslo Komposition. Seine künstlerische Arbeit zeichnet sich durch eine einzigartige Vielfalt aus. Mühelos spannt er einen Bogen von der Barockmusik bis in die Gegenwart. Bis 2005 ist er Chefdirigent des Norwegischen Rundfunkorchesters, geht mit seiner Komposition Chiaroscuro und Oslo Philharmonic auf internationale Tournee, er dirigiert Opern und das Ensemble Intercontemporain, ist 2002 Künstlerischer Leiter des Berliner MAGMA-Festivals und unterrichtet an der Musikakademie in Oslo. Nach 25 Jahren Pause im kompositorischen Schaffen präsentiert Rolf Gupta 2019 zur Hundertjahrfeier des Kristiansand Symphony Orchestra ein musikalisches Meisterwerk, ein in sechs Teilen groß angelegtes Oratorium „Jordens sång“ (Lied der Erde) für Solisten, Chor und Orchester. Das Werk bezieht sich auf 3000 Jahre alte indische Texte, auf die Bibel und auf Texte von Friedrich Schiller und Gustav Mahler. Gupta geht es um existentielle Fragen, um die Suche nach Antworten und Lösungen, für den Erhalt der Natur, den Ursprung allen Lebens. „Das Lied der Erde ist ein Gebet für unseren Planeten“. 2020 wird die Komposition mit dem Norwegischen Kritikerpreis gewürdigt. Vielleicht ist es kein Zufall, dass Jean Sibelius einhundert Jahre zuvor ein Oratorium gleichen Titels komponierte, ist es doch immer wieder die Verbundenheit mit der Natur, die in vielfältiger Weise Anregung und klanglich wie thematisch wichtiger Bestandteil der nordischen Musik ist.
Der Epilog, ruhig fließend, alle klanglichen und geräuschhaften Möglichkeiten eines großen Orchesters nutzend, beginnt fast unhörbar. Über dem Ton „C“ entstehen Cluster, Glissandi der Blechbläser und Ansätze einer melodischen Entwicklung in den Streichern. Ein klanglicher Höhepunkt, ein C-Dur, von Dissonanzen durchzogen, in dunklen Farben changierend, verliert sich schließlich wieder in der Stille des Anfangs und lässt ein tief berührtes und benommenes Publikum zurück – hat man doch soeben einen Blick in die unendliche Weite des Universums getan. Die Musik hat eine großartige visuelle Kraft – inspiriert und inspirierend.
Antonin Dvořák (1841-1904): Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll op. 104
Dvořák,im böhmischen Dorf Nelahozeves geboren, äußert schon früh den Wunsch, Musiker und Komponist zu werden. Erst 1857 gibt der Vater seine Bedenken auf, und Dvořák beginnt eine Ausbildung an der Orgelschule in Prag. Als Organist und Orchesterbratscher lebt er in ärmlichen Verhältnissen und ist bis in die 70er Jahre als Komponist völlig unbekannt. Erst die Förderung durch Johannes Brahms und Eduard Hanslick ermöglicht ihm, sich mehr dem Komponieren zu widmen, sich von Vorbildern zu lösen und einen eigenen Weg zu finden. Es entstehen in kürzester Zeit viele Kammermusiken, das Stabat Mater, die Slawischen Tänze op.46, das Klavierkonzert op. 33 und das Violinkonzert op. 53, Musik, die von Publikum und Kritikern begeistert aufgenommen wird. Endlich ist er in der Lage, ein finanziell unabhängiges Leben zu führen. Nach der gefeierten Uraufführung vom Requiem op. 89 1891 in Birmingham und weiteren erfolgreichen Konzerten in Europa, wählt Dvořák dieses Werk für Boston 1892 aus. Darauf folgt das verführerische Angebot des Conservatory of Music New York einer Berufung zum Künstlerischen Leiter und Lehrer für Komposition. Dieser Verlockung kann er nicht widerstehen, bedeutet es doch das annähernd Dreißigfache seines Prager Professorengehalts. Aber schon 1895 kehrt er mit der Familie nach Prag zurück. Anerkannt, geehrt und auf dem Höhepunkt seines Schaffens stirbt Antonin Dvořák 1904 in Prag.
Das Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll op. 104, noch in Amerika komponiert, wird am 19. März 1896 unter Dvořáks Leitung in London mit dem jungen Solisten Leo Stern uraufgeführt. Von den Hörern begeistert gefeiert, erweist es sich als eines der schönsten und bis heute beliebteste Cellokonzerte überhaupt. Es gelingt dem Komponisten, die klanglichen und spieltechnischen Möglichkeiten des Instruments eindrucksvoll zur Geltung zu bringen. Durch die gleichberechtigte Partnerschaft zwischen Solo und Orchester und eine subtile Instrumentierung bekommt das Konzert einen sinfonischen Charakter. Es stellt höchste Anforderungen an den Solisten, technisch und musikalisch. Da sind auf der einen Seite die Passagen mit rasanten Läufen, heikle Sprünge, Doppelgriffe, dramatische Steigerungen und auf der anderen Seite Dvořáks melodische Sprache, oft von böhmischer Folklore inspiriert, reich an Harmonik und ausdrucksstark – eine beispielhafte Balance zwischen Virtuosität und inhaltlichem Anspruch. Das Konzert ist dem Cellisten Hanuš Wihan gewidmet. Dieser unterstützte den Komponisten bei der Ausarbeitung des Soloparts und sollte eigentlich auch die Uraufführung spielen. Seiner Forderung nach einer groß angelegten Solokadenz im letzten Satz erteilt Dvořák jedoch eine klare Absage, und es kommt zum Zerwürfnis.

Nach einem missglückten ersten Anlauf, einem Cellokonzert in A-Dur von 1865, das nicht veröffentlicht und orchestriert ist, lehnte Dvořák das Cello als Soloinstrument zunächst grundsätzlich ab. „Ein Stück Holz, das oben kreischt und unten brummt“ soll er einmal geäußert haben. Erst das Cellokonzert Nr. 2 seines New Yorker Kollegen Victor Herbert begeistert ihn so, dass er alle Bedenken vergisst und sofort mit der Komposition eines eigenen Konzerts beginnt. Er schreibt ein Werk, das zu einem Meilenstein der Celloliteratur wird und über das Johannes Brahms später sagt: „Warum habe ich nicht gewusst, dass man ein Cellokonzert wie dieses schreiben kann? Hätte ich es gewusst, hätte ich schon vor langer Zeit eins geschrieben!“
Der erste Satz Allegro, in der Sonatenhauptsatzform komponiert, beginnt mit einer ausführlichen, einprägsamen Orchesterexposition mit Haupt- und Seitenthema bevor das Soloinstrument das thematische Material übernimmt, imweiteren Verlauf des Satzes oft im Dialog mit den Soloholzbläsern. Der zweite Satz Adagio, ma non troppo ist ein großer inniger Gesang. Das von der Soloklarinette angestimmte Thema wird vom Cello weitergesponnen. Nur im Mittelteil unterbricht ein kurzer dramatischer Abschnitt die lyrische Stimmung. In dem Satz zitiert Dvořák sein Lied „Lasst mich allein“ op. 82, Dieses ist das Lieblingslied seiner Schwägerin Josefina Čermáková. Noch in New York, erfährt er von ihrer schweren Erkrankung – dreißig Jahre zuvor ist sie seine Schülerin, die ihn aber als Ehemann zurückweist, woraufhin Dvořák die jüngere Schwester Anna heiratet. Der dritte Satz Finale: Allegro moderato, komponiert in Rondoform, beginnt marschartig und steigert sich mit dem Einsatz des Solisten, der das rhythmisch prägnante Hauptthema vollständig vorführt. Unmittelbar nach Dvořáks Rückkehr nach Prag im April 1895 stirbt Josefina. Er ändert den Schluss des Konzerts, fügt sechzig Takte hinzu, in denen er noch einmal das Lied als Erinnerung zitiert. Ein wunderschöner Dialog von Cello und Solovioline, noch einmal das Aufklingen des Hauptthemas aus dem ersten Satz und des zweiten Themas aus dem Adagio und schließlich eine Stretta führen in einen glanzvollen Abschluss des Konzerts.
Wunschpartner von Tabita Berglund für dieses Konzert ist Truls Mørk. Der Cellist, 1961 im norwegischen Bergen geboren, zählt als Solist und Kammermusikpartner heute weltweit zu den Großen seines Fachs. Eine Rarität ist sein herrliches Violoncello, von Domenico Montagnana 1723 in Venedig gebaut, Leihgabe einer norwegischen Bank. Es gelingt an diesem Abend eine intensiv beseelte Aufführung, technisch brillant, scheinbar mühelos, mit wunderbaren agogischen und dynamischen Differenzierungen. Die Zugabe von Pablo Casals´ „Song of the Birds“ zeigt noch einmal die wunderbare Kunst des Truls Mørk.
Béla Bartók (1881-1945): Konzert für Orchester Sz116, BB123
Bartók, im Dorf Nagyszentmiklós (damals Österreich-Ungarn)) geboren, bekommt sehr früh Klavierunterricht und komponiert bereits im Alter von neun Jahren kleine Tanzstücke. Die Musik von Richard Strauss weckt in ihm die Leidenschaft, sich ernsthaft mit der Komposition zu beschäftigen. Nach Abschluss eines Studiums beginnt er mit Zoltán Kodály, die heimatliche Folklore zu erforschen, sie mit einem Phonographen aufzuzeichnen, um sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Bartóks Kompositionen sind von ihren melodischen, rhythmischen und strukturellen Elementen beeinflusst. In den Werken dieser Zeit löst er sich von seinen Vorbildern Strauss und Debussy, aber auch von Strawinsky und Schönberg, und findet seine eigene Sprache, einen abwechslungsreichen, rhythmisch belebten aber auch melodischen Stil, in dem Dur und Moll, Diatonik und Chromatik nebeneinanderstehen. Die kompositorisch schöpferischsten Jahre sind für ihn die zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Es entsteht eine große Zahl bedeutender Werke, u.a. zwei Klavierkonzerte, die „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“, wichtige Kammermusiken. Gleichzeitig reist Bartók als Konzertpianist von anerkannt höchstem Rang durch Westeuropa, die Sowjetunion und die USA. Viele seiner Kompositionen haben Schwierigkeiten, außerhalb Ungarns aufgeführt zu werden. So verbietet 1920 der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer die Aufführung des Balletts „Der wunderbare Mandarin“ wegen angeblicher Unmoral und „experimenteller“ Natur. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs sympathisieren viele Ungarn mit Nazideutschland. Bartók, erklärter Gegner des Hitler-Regimes, emigriert 1940 mit seiner Frau in die USA. Dort hat niemand auf den in Europa renommierten Musiker gewartet, sorgenvolle Jahre folgen. Doch dann erteilt ihm 1943 Sergej Kussewitzki, Chefdirigent des Boston Symphony Orchestra, einen Kompositionsauftrag für ein Orchesterwerk. In nicht einmal zwei rauschhaften Monaten, im Kampf gegen eine Leukämieerkrankung, schreibt Bartók in den Bergen im Nordosten des Staates New York sein wohl bekanntestes und populärstes Werk, sein Konzert für Orchester, ein quasi sinfonisches Werk in fünf Sätzen, klar in der Form und seinen Proportionen, einer durchgehenden Dramaturgie folgend, folkloristisch inspiriert, voller Schmerz, Sehnsucht und Hoffnung. „Abgesehen von dem scherzhaften zweiten Satz verwirklicht das Werk den stufenweisen Übergang von der Finsternis des traurigen Klagegesangs des ersten und dritten Satzes zur Lebensbejahung des letzten“ (Béla Bartók).
Am 1. Dezember 1944 in Boston mit großem Erfolg uraufgeführt, gehört das Konzert heute zum internationalen Standardrepertoire. In ihm liegt die ganze Geschichte der europäischen Musik und Béla Bartóks, der mit seiner individuellen Sprache, die Musikwelt prägt.
Der erste Satz Introduzione. Andante, non troppo beginnt düster getragen, wechselt dann aber in ein Allegro vivace mit kurzen Fugato-Passagen. Der zweite Satz Gioco delle coppie. Allegretto scherzando ist ein konzertantes Spiel. Ein etwas stolpriger Einstieg der kleinen Trommel führt in einen skurrilen Reigen von einander wechselnden Blasinstrumentenpaaren. Diese spielen zeitgleich ein Thema, aber um verschiedene Intervalle versetzt, bis sie ein choralartiger Mittelteil kurzfristig unterbricht. Das Herzstück des Konzerts ist der dritte Satz Elegia. Andante. non troppo, ein großes, geheimnisvolles, fast gespenstisches Lamento. Mit dem humorvollen vierten Satz Intermezzo interroto. Allegretto nimmt die Komposition eine Wendung ins Optimistische. Die Musik spart nicht mit Groteske und Sarkasmus. Lehárs „Da geh´ ich ins Maxim“, karikiert Bartók mit einem höhnischen Gelächter der Holzbläser. Das Finale. Pesante-Presto setzt das Positive mit folkloristisch gefärbten Abschnitten, Fugato-Teilen und aller orchestralen Kraft durch – einer der großartigen und ekstatischen sinfonischen Sätze des zwanzigsten Jahrhunderts.

Das Konzert hat Bartók im Februar 1945 noch einmal überarbeitet. Das betrifft wesentlich den letzten Satz, für den er einen längeren Schluss schreibt. Nach dem Erfolg des Konzerts ist seine Musik für Künstler und Verlage wieder interessant. Doch Bartók ist unheilbar an Leukämie erkrankt. Er komponiert noch eine Sonate für Violine solo und das Dritte Klavierkonzert, ein Bratschenkonzert bleibt ein Fragment. Das Konzert für Orchester ist das letzte von ihm vollendete Orchesterwerk. 1945 stirbt Béla Bartók in New York. Erst dreiundvierzig Jahre später wird seine sterbliche Hülle nach Budapest übergeführt und Ungarn ehrt ihn mit einem Staatsbegräbnis.
Die Philharmoniker spielen nahezu perfekt. Tabita Berglund, charismatisch, frei von Eitelkeit, wach und auf natürliche Weise inspirierend – ihr Engagement ist ein Glücksfall für das Orchester.
Bernd Runge, 29. August 2025
Eröffnungskonzert der neuen Sajison
Rolf Gupta: aus „Lied der Erde“ (Jordens sång): Epilog
Antonin Dvořák: Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll op. 104
Béla Bartók: Konzert für Orchester
Dresden, Kulturpalast
29. / 30. August 2025
Dirigentin: Tabita Berglund
Solist: Truls Mørk
Dresdener Philharmoniker