Besuchte Vorstellung: 12.8. 2017
Kálmán Imre, bei uns besser bekannt unter seinen eingedeutschten Namen „Emmerich Kálmán“, war, wie nicht nur der ungarische Musikwissenschaftler Ferenc Bonis meinte, ein Genie. „Die Csardásfürstin“ gilt bei Kennern nicht nur deshalb als herausragendes Stück, weil sie „so viele schöne Melodien hat“, sondern weil sie, wie kaum ein anderes Werk dieser wunderbaren Gattung, die Zeit wie in einem Brennspiegel eingefangen hat. Kein Wunder, dass Peter Konwitschny dieses Werk bei seiner Dresdner Aufführung unvergesslichen Angedenkens als tieftraurigen, aber auch grotesken Abgesang auf das Vorkriegseuropa inszenieren konnte.
Wer sich eine Inszenierung der Operettenbühne Wien, die nun schon seit 1999 auf der Luisenburg gastiert, im Wald anschaut, erwartet natürlich keine dezidierte Deutung, sondern einfach nur gute Unterhaltung. Man solle, so Heinz Hellberg bei seiner üblichen kleinen Ansprache, „die Alltagssorgen vergessen“. Auf Wikipedia kann man es ja nachlesen: „Die Inszenierungen der Operettenbühne Wien gelten als konventionell und ‚werktreu‘. Sie orientieren sich dabei an der Erwartungshaltung und den Sehgewohnheiten eines im Allgemeinen älteren Abonnement-Publikums. Die Grundstruktur der Urfassung der jeweiligen Operette bleibt stets erhalten. Die Dialoge werden von Hellberg jedoch teilweise modernisiert, umgeschrieben und den Bedürfnissen einer Tourneeproduktion angepasst.
Die Operetten werden teilweise auch musikalisch leicht bearbeitet und mit modernen Arrangements versehen.“ Damit ist so ziemlich alles über die Art und Weise der Inszenierungen des Intendanten Heinz Hellberg gesagt, der sein Luisenburger Publikum seit bald 20 Jahren erfreut. „Die Csárdasfürstin“ wird hier nicht auf ihren melancholischen Urgrund hin untersucht, sondern auf ihren melodischen und – mit Ausnahmen – eher oberflächlich zelebrierten Charme einer locker angehauchten Tragik reduziert – aber das Stück hält es aus. Die Natur spielt immer mit – selbst dann, wenn es, wie auch an diesem Abend, im kühlen Grün unaufhörlich regnet; man muss alle Sänger einschliesslich des Chors und die Tänzerinnen bewundern, die unter diesen Umständen – und vermutlich für eine sehr kleine Gage – Derartiges leisten, indem sie sich ihre hübschen Rückseiten abfrieren: auch zweimal täglich. Trotzdem bleiben die Bilder, die in dieser traumhaft schönen und herrlich ausgeleuchteten Kulisse geschaffen werden, ein Plus aller Aufführungen. Toll sind ja schon die Auftritte, die hoch oben von Statten gehen. Wenn Csaba Fazekas alias Feri Básci auf dem Felsen steht und als überaus überzeugender Grandseigneur der Vorkriegswelt – früher nannte man das: eine Erscheinung – den zweiten Akt einleitet, wenn die fürstlichen Blumenkübel und die halbnackte Gartenskulptur einer (frierenden?) Steinfrau unmerklich in die Natur übergeht, triumphiert das Bühnenbild (Adrian Boboc) und das Licht über die Unwirtlichkeit der klimatischen Verhältnisse, wie sie Mitte August im tiefen Fichtelgebirge herrschen können. Und ein rotes Sofa macht sich, neben den geschmackvollen weißen Damenkleidern des Mittelakts (Lucya Kerschbaumer), einfach nur gut aus. Im Grunde also lautet die Frage in der Luisenburg immer nur: Wie wurde gesungen?
Die Sylva Varescu der Kerstin Grotrian „basste scho“, wie der Franke als Extremlob sagen würde: nicht überbordendes, aber nobles Temperament, gepaart mit einer eleganten und flexiblen Stimme, die die tückischen Höhen dieser Partie glänzend machte – eine Gestaltung, die niemals fürchten lassen muss, dass die Sängerin an stimmliche Grenzen kommt. Zusammen mit dem erstaunlich tiefliegenden Tenor des Stefan Reichmann, den die Regie leider ziemlich steif im Raum herumstehen und -gehen lässt, bilden sie ein schönes Paar – das doch vokal nur selten wirklich zusammenkommt – aber ihre Duette ergreifen dann doch… Plötzlich denkt der Opernfreund tatsächlich an die berühmten bösen Walzer eines Dimitri Schostakowitsch und Aram Chatchaturian. Ganz großartig, mit einem untrüglichen Bühnensinn gesegnet, spritzig und konzentriert, charmant und stimmlich vollkommen und im besten Sinne soubrettenhaft: das ist die überragende Stasi der Elisabeth Jahrmann. Eine Soubrette muss auf der Operettenbühne auch tanzen können – zusammen mit dem Boni des David Hojsak macht sie das so, dass das Publikum gleichsam ausrastet. Laszlo Gyükér, der das gute, durch die Boxen manchmal etwas verfremdet klingende Orchester dirigiert, hat die Partitur an zwei Stellen durch eine Stepeinlage im Stil der 30er Jahre erweitert: auch das kommt, natürlich, an (und ist erlaubt, weil’s gefällt). Die Rolle des Boni aber wurde trotz oder vielleicht: wegen seiner komischen Qualitäten allzu leichtgewichtig besetzt. David Hojsak nimmt man den gestandenen Mann, der plötzlich so etwas wie weise wird, nicht ab. Er schlenkert allzu schlacksig durch die Handlung: operettenmäßig komisch (denn seine Texte sind ja einfach gut und die Schüttel-Nummern ein Klassiker), aber die Rolle nicht ernsthaft ausfüllend.
Das Defizit aber wird ausgeglichen durch Czaba Fazekas‚ Feri Básci, der in der Weltschmerz- und -untergangsnummer „Nimm Zigeuner deine Geige“ (und im Finale des ersten Akts mit seinem melancholischen Zitat der „Mädis“) begreiflich macht, dass die „Csárdasfürstin“ in Blick auf den ersten Weltkrieg – und noch auf die Gegenwart – geschrieben wurde. Dass das Publikum den Rhythmus dieses großartigen und gar nicht lustigen Stücks zum Anlass nimmt, um in einen Klatschmarsch einzustimmen, bei dem man den wichtigen Text – und Fazekas schöne, ausdrucksstarke Stimme – kaum noch hört, ist nicht ihm anzulasten, oder anders: die Arbeit der Solisten ist eben so mitreißend, dass das Publikum gar nicht anders kann als mitzuklatschen. Und wäre Fazekas nicht die Idealbesetzung eines Tassilo in der nächstjährigen „Gräfin Mariza“?
Bleiben Viktor Schilowsky, ein echtes komisches Bühnentier als Fürst von und zu und seine ehemalige „Kupfer-Hilde“. Schade, dass Judit Bellai keine Extranummer bekommen hat, wenn sie sich im letzten Akt an ihre Jugend auf dem Provinz-Brettl erinnert und noch einmal das Tanzbein schwingt: so wie die sechs gelegentlich etwas mechanisch aufschreienden „Mädis vom Chantant“, die sich (und Boni) durch den Abend wirbeln und dabei ewas weniger frieren. Ein starker Extraapplaus des Orpheum-Besuchers für die sechs Tänzerinnen; ich sage nur: die 1. von rechts…
Deswegen gehen die Operettenfreunde ja auch in die Luisenburg.
Frank Piontek, 13.8. 2017
Fotos: © Christine Kaufmann (Die Fotos zeigen NICHT die im Text erwähnten Darsteller der Sylva Varescu und der Stasi).