Premiere am 17. 9.2015
Beachtliche Ensembleleistung!
Intendant Florian Scholz ist in Klagenfurts Dreispartentheater seit der Saison 2012/13 im Amt – seine erste Spielzeit war nicht einfach, wie er selbst einmal einräumte. Die Auslastung des Hauses war von 88% auf 76% zurückgegangen, man hatte über 100 Abonnenten verloren – also wolle man ab der zweiten Spielzeit „Schritte in Richtung Publikum setzen.“ Und das ist Florian Scholz in den beiden darauffolgenden Spielzeiten durchaus gelungen – man kann es auch in den Berichten des „Opernfreunds“ nachlesen. In der Saison 2014/15 ist die Auslastung wieder auf 83% gestiegen – nicht zuletzt wegen eines publikumsfreundlichen Spielplans z.B. mit der „Zauberflöte“, die immer für ein volles Haus sorgt. Florian Scholz und seine neue kaufmännische Direktorin Iris Dönicke scheinen auch wirtschaftlich erfolgreich zu arbeiten – wen dieser Bereich näher interessiert, der sei auf einen Rundfunkbericht verwiesen, wonach „das Stadttheater Klagenfurt hat in der vorigen Saison nicht seine gesamte Fördersumme von 16,6 Mio. Euro verbraucht hat: 1,3 Millionen wurden eingespart. Das Geld soll nun zum Teil in die Instandhaltung des Theaters investiert werden.“
Die Eröffnungspremiere der Saison 2015/16 brachte einen eindeutigen Publikumserfolg – und der war aufgrund einer überzeugenden Ensembleleistung von Szene und Musik durchaus verdient!
In der elegant ausgestatteten Szene (Regie: Marco Štorman, Bühne: Frauke Löffel, Kostüme: Sara Schwartz) ziehen von Anfang an Don Alfonso und Despina als Varieté-Direktoren die Fäden. Schon während der Ouvertüre öffnet sich der Vorhang. Adam-und Eva-Figuren stehen da, bekommen von Despina je eine Apfel-Hälfte und gehen getrennten Weges von der Bühne. Alfonso und Despina – mit markanten Zylinderhüten – entzünden Sprühkerzen – das Spiel kann beginnen. Bei diesem Beginn hat der kritische Betrachter noch Bedenken, wie sich dieses Spiel entwickeln wird – allzu zu vordergründig-platt ist für Mozarts bzw. da Pontes artifiziell-subtile „Scuola degli amanti“ wohl die Adam-Eva-Assoziation. Aber der Betrachter freut sich, dass sich dann der Abend vor allem im 2.Akt zu einer schlüssigen, ja berührenden und zeitgemäßen Interpretation rundet. Marco Štorman, den man in Klagenfurt schon mit einer ausgezeichneten Rosenkavalier-Inszenierung und mit einer weniger geglückten Produktion der Verismo-Zwillinge Cavalleria/Pagliacci erlebt hat, ist diesmal (in der Zusammenarbeit mit der Dramaturgin Laura Schmidt) sehr Erfreuliches gelungen. Gemeinsam mit einem erfrischend jungem Solistenteam und einer ebenso erfrischend-jungen musikalischen Leitung durch Klagenfurts Opernchef Alexander Soddy ist ein geschlossenes Ganzes auf beachtlichem Niveau entstanden. Die kleinen Einwände zur szenischen Umsetzung seien nicht verschwiegen: die schon erwähnte Adam-Eva-Assoziation, die am Ende nochmals auftaucht, könnte ersatzlos wegfallen – das Konzept würde dadurch nichts verlieren, ja es würde sogar an Stringenz gewinnen. Und auch die karikiert-mythologischen ältlichen zehn Statisten beiderlei Geschlechts sind durchaus entbehrlich – ihr Wegfall würde das Spiel noch mehr auf die sechs Figuren zentrieren. Gerade das Spiel der handelnden Personen und die Personenführung überzeugen. Da gibt es keine üblichen opernhaft-stereotypen Gesten – immer erlebt man vier junge Menschen, die sich ihrer Gefühle nicht sicher sind und die diese Liebes-und Lebensschule überzeugend durchleben.
Klagenfurt hat für die sechs Protagonisten ein homogenes und junges Solistenteam zusammengestellt, von dem man annehmen darf, dass alle ihren Weg machen werden. Eine von ihnen hat ja sogar schon den großen internationalen Durchbruch geschafft: Golda Schultz war vor zwei Jahren Klagenfurts Entdeckung als Sophie im Rosenkavalier – nach München hat sie die Sophie nun auch in diesem Sommer bei den Salzburger Festspielen gesungen und ihr Scala-Debut als Susanna steht 2016 bevor. Die Fiordiligi wird sie nach ihrem Klagenfurter Rollendebut ab November auch in München singen. Ich hatte an diesem Abend speziell im 1.Akt den Eindruck, dass diese Rolle für sie noch zu früh kommt. Natürlich verfügt Schultz über eine natürliche Bühnenausstrahlung und über eine sehr sicher sitzende und individuell gefärbte Stimme, aber im 1.Akt – speziell in der großen „Come scoglio“-Arie fehlte mir ein wenig der große Legato-Bogen, aber auch die nötige artifizielle Primadonna-Souveränität. Wunderbar gelang ihr dann allerdings im 2.Akt die Szene „Ei parte“ mit dem Rondo „Per pietà, ben mio“ – das war berührend und wirklich auf hohem interpretatorischen Niveau. Ihr Schwester Dorabella verkörperte die Italienerin Anna Pennisi. Mit ihrer warm-timbrierten Stimme war sie eine ausgezeichnete Besetzung, die auch in allen Ensembles immer markant präsent war. Und man freute sich, dass sie auch die oft gestrichene Arie „E amore un ladroncello“ singen durfte. Sie ist zweifellos ein großer Gewinn für Klagenfurt und man kann gespannt ihre weiteren Auftritte erwarten: die Hermia in Brittens Sommernachtstraum, die Suzuki in Madama Butterfly (damit war sie eben in Rom erfolgreich) und den Romeo in „I Capuleti e i Montecchi“. Aber auch die Herrenpartien waren sehr gut besetzt. Der amerikanische Tenor Matthew Newlin war ein wahrhaft ausgezeichneter Ferrando. Im 1.Akt war er mit seiner großen Arie „Un aura amorosa“ der einzige der vier jungen Liebesverwirrten, der auch die ernste Seite der Figur musikalisch und darstellerisch überzeugend erleben ließ. Sein Terminplan ist mit großen lyrischen Rollen in Berlin ausgefüllt – und so wird man ihn leider wohl nicht so bald wieder in Klagenfurt erleben können.
Der aus Griechenland stammende spielfreudige Guglielmo von Nikos Kotenidis überzeugte mit seinem warmen Bariton. Despina war die Französin Elsa Benoit – von Beginn an als Drahtzieherin des Geschehens omnipräsent. Sie erwies sich als prägnant-charmante Darstellerin mit einem sicheren, ein wenig herb klingenden Sopran. Kotenidis und Benoit werden im Laufe dieser Spielzeit in weiteren Rollen in Klagenfurt zu erleben sein. Don Alfonso war beim Italiener Marco Filippo Romano in besten Händen. Er spielte glaubhaft den „Direktor“ des ganzen Spiels und sang in bester italienischer Rossini-Tradition mit markant-plastischem Bariton.
Dass die Spannung den ganzen Abend nie nachließ, ist nicht nur einer klugen Personenführung in sparsamen und stets geschmackvollen Dekorationen mit prächtigen, teils pittoresk-skurrilen Kostümen zu danken. Einen ganz entscheidenden Anteil daran hatte der 33-jährige britische Chefdirigent des Hauses Alexander Soddy, der auch den Continuo-Part auf dem Hammerflügel kompetent selbst spielte. Er sorgte für eine höchst spannungsvolle und schwungvolle musikalische Interpretation, die auch breite lyrische Ruhepunkte nicht scheute. Die ganze Aufführung war hörbar präzise und detailreich erarbeitet. Als ein Beispiel für viele sei etwa das Duett Dorabella – Guglielmo „Il core vi dono“ im 2.Akt erwähnt: die Fermaten auf den Sechzehntelpausen waren perfekt gesetzt, ohne den Fluss des melodischen Bogens zu unterbrechen – und das immer in völliger Übereinstimmung mit den Gesangssolisten. Der große musikalische Bogen und Zusammenhang innerhalb der einzelnen Nummern, aber auch innerhalb eines ganzen Aktes ließ nie nach – man hörte stets gebannt zu (und verzieh dann gerne auch kleinere Instrumentalpannen – etwa am Ende der großen Fiordiligi-Szene im 2.Akt). Das war plastische und zeitgemäße Mozart-Interpretation auf hohem Niveau! Man versteht, dass Soddy (in diesem Sommer Studienleiter von Petrenko beim Bayreuther Ring) nicht auf Dauer in Klagenfurt zu halten ist. Er soll ab 2016 als Nachfolger von Dan Ettinger Generalmusikdirektor in Mannheim werden, aber bis 2016/17 noch Chefdirigent in Klagenfurt bleiben.
Hermann Becke, 18. 9. 2015
Szenenfotos: Stadttheater Klagenfurt, (c) Aljosa Rebolj
Hinweise:
– 11 weitere Termine im September, Oktober und November
– Ein reizvolles 5:50- Video mit Golda Schultz über ihre Salzburger Video