Aarhus: „Evita“, Andrew Lloyd Webber & Tim Rice

Die Begeisterung, welche das Musical Evita des Erfolgsduos Andrew Lloyd Webber/Tim Rice auch knapp 50 Jahre nach der Uraufführung immer noch auszulösen vermag, spricht für die exzeptionelle Qualität des Stücks, das eine perfekte, dramaturgisch exzellent gearbeitete Balance zwischen Rührstück, historisch fundiertem Lehrstück und ironischer Distanz findet, gespickt mit unverwüstlichen und hervorragend komponierten Ohrwürmern. Die Begeisterungsstürme brandeten auch am Ende dieser Voraufführung im Aarhus Teater auf (Premiere am 3. Mai), steigerten sich zu verdienten anhaltenden Beifall.

(c) Emilia Therese

Die hatten sich die Ausführenden auf, über die Musikern und hinter der Bühne auch verdient. Natürlich verfügt ein kleineres Theater, wie dieses Jugendstil Schmuckstück in Aarhus, weder über die aufwändigen technischen noch über die finanziellen Möglichkeiten einer Bühne am Broadway oder im Londoner West End, wo die Produktionen teils jahrelang ununterbrochen laufen können. Aber das Aarhus Teater muss sich mit dieser Inszenierung keineswegs verstecken, ja es weiß die Intimität und die technischen Limiten gar zu seinem Vorteil zu nutzen. Die Besucher fühlen sich sofort mittendrin und in die Story um Eva Duarte, der späteren Präsidentengattin von Juan Perón, hineingezogen.

Die Inszenierung von Sara Cronberg im Bühnenbild und den Kostümen von Franciska Zahle und mit der stupenden Choreografie von Melker Sörensen hat Tempo, Präzision, Poesie und auch etwas Schalk. Denn die Figur des Che ist nicht etwa an Che Guevara angelehnt, wie in der Produktion, welche ich 1979 in San Francisco sah, sondern ist hier ein echter Che, also ein Junge, ein Kumpel von nebenan, ein eigentlicher Jedermann, der mit seinem Mal zynischen, mal ironischen Blick des Betrachters eine gekonnte und von den Autoren intendierte Distanz zum Geschehen schafft. Emil Prenter verkörpert ihn mit heller, leicht und präzise ansprechender Stimme und lebhaft variierten Auftritten. Gerade dadurch, dass das Werk inklusive der Songtexte in einer dänischen Übersetzung durch Kenneth Thordal gespielt wird, entsteht eine unmittelbare Nähe zum Publikum.

(c) Emilia Therese

In der Titelrolle zeigt Sara Viktoria Bjerregaard die vielschichtige Persönlichkeit Eva Peróns, vom Volk liebevoll Evita genannt. Sara Viktoria Bjerregaard ist der ambitionierte Teenager aus der Pampa, der sein Glück in der Großstadt machen will, ist die voll auf ihre verführerischen Reize setzende der jungen Frau, die dem Luxus nicht abholde Präsidentengattin, die wohltätige, großherzige Politikerin und am Schluss die durch ihr Gehirnkarzinom viel zu früh ihr warmes Licht verlöschender Mensch. Wie Sara Viktoria Bjerregaard dies alles über die Rampe bringt und dazu noch so rein und ergreifend singen kann, lohnt allein schon den Besuch einer Vorstellung in Aarhus. Morten Hemmingsen ist ein gekonnt ehrgeiziger, sich im politischen Dreckstümpel behauptender Perón, der seine Gefühle oftmals unter der harten Schale versteckt. Lars Mølsted zeichnet als Augustín Magaldi ein differenziertes Porträt eines Musikers aus der Provinz, den es auch in die Großstadt verschlägt, und Mitleid bekommt man mit der von Amanda Friis Jürgensen einfühlsam verkörperten jungen Geliebten Peróns, die von Evita so gnadenlos vor die Tür gesetzt wird, als Evita deren Platz an der Seite Peróns einzunehmen gedenkt. Das hervorragend tanzende und singende Ensemble bereichert auf der Bühne das Geschehen, die Musiker sind im hinteren Bühnenbereich auf einer Empore platziert und liefern einen fantastischen Sound, der nie übersteuert ist.

Fazit: Sehr sehenswert!

Kaspar Sannemann, 3. Mai 2023


Aarhus Teater

Inszenierung von Sara Cronberg

Choreografie von Melker Sörensen

Voraufführung am 1. Mai 2023

Premiere am 3. Mai 2023


PS

Es gibt für alle Fans des Musicals übrigens immer noch die tolle Verfilmung mit Madonna und Banderas, in der Regie des großen Sir Alan Parker, die ich als Filmkritiker allen ans Herz legen möchte. Großes Kino! Madonna bekam für ihre Darstellung sogar einen Golden Globe. Grandios auf allen Ebenen, allein der monumentale Beginn zieht sofort in den Bann. Ich halte ihre Version von „Don´t cry for me Argentinia“ für eine der Besten überhaupt. Kurios auch, daß Banderas selber singt – gar nicht so schlecht.

Peter Bilsing (in Ergänzung) 3. Mai 2023