Salzburg: „Der Kaiser von Atlantis / L’Hirondelle inattendue“, Viktor Ullmann / Simon Laks

© Sven-Kristian Wolf

Mit zwei außergewöhnlichen Produktionen, die im Max-Schlereth-Saal der Universität Mozarteum Salzburg als Doppelaufführung präsentiert werden, warten die Departements für Oper & Musiktheater sowie für Gesang & Szenographie der Universität Mozarteum Salzburg auf. In Zusammenarbeit mit der musikwissenschaftlich-künstlerischen Reihe „LAUT:SPRECHER – Viktor Ullmann und Simon Laks in dunklen Zeiten“ (gestaltet von der Musikwissenschaftlerin Yvonne Wasserloos) werden Parallelen und Gemeinsamkeiten von Viktor Ullmanns Oper „Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung“ (1944) und Simon (Szymon) Laks’ Oper „L’Hirondelle inattendue“ (Die unerwartete Schwalbe; 1965) herausgearbeitet und ausgelotet.

Die Zusammenstellung dieser beiden Werke ist für sich genommen bereits Dramatik pur. Ullmann schrieb seine Oper 1943/44 im Ghetto Theresienstadt. Die Uraufführung im Rahmen der KZ-Freizeitgestaltung erfolgte nie, da Ullmann mit Musikern des Lagerorchesters nach Auschwitz abtransportiert und im Oktober 1944 in den Gaskammern ermordet wurde. Ehe dies geschah, konnte Ullmann sein Manuskript dem Theresienstädter Lagerbibliothekar überantworten. Seine Oper, die ein beklemmendes Zeitzeugnis ist, wurde erst 1975 in Amsterdam uraufgeführt.

Der ursprünglich aus Warschau stammende und in Paris musikalisch sozialisierte Geiger und Komponist Simon (Szymon) Laks hingegen überlebte als einer von wenigen Juden die KZ-Haft in Auschwitz-Birkenau, weil seine Violine – so heißt es im Untertitel der 2014 überarbeiteten Fassung seines autobiographischen Buchs „Musik in Auschwitz“ – zu seinem „Schutzschild“ geworden war und er als Musiker in vielen Funktionen gebraucht wurde. Seine Oper „L’Hirondelle inattendue“ nach einem Libretto von Henri Lemarchand wurde 1965 uraufgeführt. Sie weist vordergründig keinen Bezug zu seinen traumatisierenden Lebenserfahrungen auf, doch schwingt die finstere Zeit in den Grundfesten des einaktigen Werks mit, das als „opéra-bouffe“ im humoristischen Gewand, mit impressionistischem Orchesterzauber und Walzerseligkeit, erscheint.

Der Librettist von Ullmanns Oper „Der Kaiser von Atlantis“, Peter (František Petr) Kien aus Warnsdorf in Tschechien, war Ullmanns Mit-Häftling und entkam der Vergasung in Auschwitz, weil er zwei Tage vor Ullmanns Ermordung einer Infektion erlag. Sein Libretto liest sich wie eine groteske Parodie auf Hitlers Reich, aus der weniger Anklage als vielmehr erstaunte Fassungslosigkeit hervortritt. Der Kaiser Overall der sagenumwobenen Insel Atlantis, nach der übrigens Heinrich Himmlers SS-Forschungs- und Lehrgemeinschaft „Das Ahnenerbe“ als vermeintliche „Heimat der Arier“ ernsthaft forschte, befiehlt im ersten der vier Bilder den Krieg aller gegen alle. Doch der Tod, der sich, ebenfalls im ersten Bild, im Dialog mit dem Harlekin vorstellt, verweigert sich. Er empfindet den kaiserlichen Befehl als Missachtung seines Wirkens und lässt die gegeneinander kämpfende Menschheit einfach nicht sterben. Ein Soldat und eine Soldatin stellen im dritten Bild erschöpft ihren Kampf ein und träumen von ewigem Frieden. Der Kaiser, der im zweiten Bild die Tod-Verweigerung noch als populistischen Erfolg verkaufen möchte, weil nun alle unsterblich geworden seien, verfällt dem Wahnsinn, da er ohne den Tod keine bedrohliche Macht mehr ausüben kann. Ihm selbst ist, wie allen anderen Menschen, die Erlösung nur dann möglich, wenn er der Aufforderung des Todes folgt und als erster stirbt. Mit ihm endet der Krieg.

Ullmann, ein von Schönberg und Zemlinsky geprägter Komponist, vertonte diese dramatische Dichtung, deren Anspielungen auf die NS-Schreckensherrschaft, den Weltkrieg und die eigene latente Lebensbedrohung nicht zu übersehen sind, indem er ihr mehrfache doppelte Böden einzieht. „Deutsche“ Musiktraditionen werden geschickt mit aus NS-Sicht „entarteter“ Musik kombiniert, Marsch trifft auf Jazzklänge, romantische Melodieführung und funktionale Harmonik auf Freitonalität und protestantischer Choral auf Salonmusik. Trotz aller Fülle an direkten und abstrakten Zitaten und der mitunter packenden Geschwindigkeit, mit der im knapp einstündigen Werk Kontraste etabliert werden, bleibt Ullmanns individuelle musikalische Sprache klar erkennbar. Hier agiert ein Komponist, dem als letztes Mittel nur noch die satirische Verarbeitung seiner ausweglosen Situation verbleibt. Wenn der Kaiser mit all seinen Titeln und seiner Machtfülle vorgestellt wird, ertönt eine Parodie des Deutschlandliedes, untermalt von bittersüßen Streicherklängen. Die kaiserlichen Befehle werden von einem „Lautsprecher“, wie in einem Lager („Hallo, hallo! Achtung, Achtung!“), verkündet. Vielseitig und farbenfroh wirkt – im Gegensatz zur Tristesse der realen Gegebenheiten – das Instrumentarium, das zum Einsatz kommt. Neben teils solistisch geführten Blas- und Streichinstrumenten erklingen auch ein markantes Schlagwerk, Banjo bzw. Gitarre, Klavier, Cembalo sowie Harmonium.

Die Bühne der Salzburger Inszenierung, für Valentina Vorwahlner verantwortlich zeichnet, weist ein leichtes Gefälle auf, das spontane dynamische Aktionen erleichtert. Zu erkennen sind nüchterne weiße und wie zufällig angeordnete schwarze Felder an Decke und Boden, die subtil auf den Entstehungskontext von Ullmanns Oper verweisen. Die Kostüme von Caroline Ulmar und Lucas Bertin sind von formaler Prägnanz und eröffnen Fantasieräume zum Weiterdenken der Charaktere.

Obwohl sich Simon Laks’ „L’Hirondelle inattendue“ in vieler Hinsicht von Ullmanns Oper unterscheidet, werden die bei Ullmann umgesetzten Gestaltungsideen sinnvoll fortgesetzt. Während bei Ullmann noch symbolisch ein offenes Grab begossen wird, sind es bei Laks die schwarzen Bodenplatten, die, vom lebensspendenden Wasser aus der Gießkanne benetzt, zu Kunstrasenflecken mutieren. Man befindet sich nun in einem außerirdischen Paradies der Tiere, in dem ein Journalist und sein Pilot notlanden. Die Tiere sind sprichwörtliche Figuren oder Wesen der antiken Mythologie: Taube, Schildkröte, Schlange, Bär, Kapitolgänse und Procne (Tochter des attischen Königs Pandion und Schwester der Philomela, für deren Vergewaltigung sie Rache übte). Sie alle leben in Frieden und Harmonie. Ihre Identität als Tiere wird, ähnlich wie in der Inszenierung von Ullmanns Oper, durch die Kostüme bloß angedeutet. Als weiteres verbindendes Element zwischen beiden Inszenierungen wird auch hier ein „Lautsprecher“ in Form eines Telefonapparats als Requisit verwendet, während der große Schreibtisch des Kaisers nun in Form kleinerer Elemente wieder erscheint.

Das übergeschäftige Hantieren mit Zetteln deutet an, worum es in beiden Kontexten geht: um Identität und Identifikation. Denn die Tiere sind in Aufregung, nicht nur wegen des Journalisten und seines Piloten, sondern auch wegen der Anwesenheit einer unbekannten, rätselhaften, aus dem Nichts erschienenen Schwalbe ohne Flügel, die die Frage nach ihrer Identität stets mit einem Walzerlied beantwortet. Nach langem Hin und Her erklärt „Die Stimme vom Himmel“, um wen es sich hier handelt: um das „Lied“ als Symbol für die Unsterblichkeit der Musik. Durch diesen Schluss bekommt auch das Konzept der Gesamtproduktion, die verbindende Gegenüberstellung beider Opern, eine Perspektive, eine Utopie, die auch Laks dereinst half, im Konzentrationslager zu überleben: die Kunst als Hoffnungsträgerin selbst in den übelsten Niederungen menschlicher Verhaltensweisen.

© Sven-Kristian Wolf

Laks’ Musik ist, wie angedeutet, konträr zu der von Ullmann, sie steht in der Tradition der musikalischen Stilistik im Paris der Zwischenkriegszeit, ohne sich jedoch einem der vorherrschenden Stile anzuschließen. Einerseits bevorzugte Laks tonale Strukturen und klare Formen, andererseits den opulenten Klang des impressionistischen Orchesters. Für ein großbesetztes Orchester wurde „L’Hirondelle inattendue“ in der Tat komponiert, doch die Salzburger Aufführung weicht davon ab und präsentiert die Uraufführung einer kammerorchestralen Fassung von Tobias Leppert, in der die Klangfülle in ihrer strahlenden Schönheit jedoch erhalten bleibt.

Unter der Leitung von Kai Röhrig präsentierte sich das aus Studierenden des Mozarteums zusammengesetzte Arcoensemble am Premierenabend in großer Form, sowohl in der prägnanten, äußerst vitalen Wiedergabe von Ullmanns Oper als auch bei Laks. Großartige solistische Leistungen und Homogenität im Zusammenspiel verdeutlichen, dass dieses Ensemble keinen Vergleich mit renommierten Kammerorchestern scheuen muss.

Auch Gesang und Dramaturgie fügen sich in ein rundum positives Bild. Florentine Klepper (szenische Leitung) sowie Heiko Voss und Jurij Kowol (Dramaturgie) setzen auf eine Darstellung und Personenführung, in der die grotesken Aspekte der Handlungen beider Werke sinnvoll und erhellend unterstrichen werden. Die jungen Sängerinnen und Sänger, die am Mozarteum studieren, doch außerhalb auch schon im Musikbetrieb zu hören sind, setzen die teils slapstickartigen Impulse nahezu perfekt um. Zudem hört man technisch großartige, ausdrucksstarke Stimmen. Dominik Schumertl interpretiert die Bass-Rolle des Todes mit vokaler Dynamik und warmer Klangfülle selbst in extrem tiefen Lagen – bei Laks hört man ihn auch als „Stimme vom Himmel“. Yonah Raupers, sowohl als Harlekin bei Ullmann als auch als Journalist bei Laks, begeistert durch seine biegsame, tenoral timbrierte Stimme mit Schmelz. Überzeugend, sowohl stimmlich als auch darstellerisch, wirkten Maksim Smirnov (Kaiser Overall), Elias Mädler (Lautsprecher), Sveva Pia Laterza (Trommler; Schildkröte) und Claire Winkelhöfer (Bubikopf, Soldatin) mit Lucas Pellbäck (Soldat) in ihrem lyrischen Duett „Schau, die Wolken sind vergangen“, in dem sie von ewigem Frieden und Liebe träumen.

In der Aufführung von Laks’ Oper begeistern neben dem schon genannten Yonah Raupers auch der Bariton Michael Dietrich als präsenter Pilot und Sophie Schneider als Taube mit klarer, klangschöner, virtuoser Sopranstimme sowie Zahra Sebnat als unbekannte Schwalbe mit ihrem Walzerlied. Julia Annina Stocker (Procne), Gabriel Rupp (Schlange), Vsevolod Chernyshev (Bär) sowie Anna FechnerSarah Stach Villegas und Quentin Pierre Péatier als Kapitolgänse komplettieren das rundum homogene Ensemble prägnant. Weitere Vorstellungen dieser faszinierenden Doppelproduktion sind für 9.12., 11.12. und 12.12. geplant.

Thomas Nußbaumer 8. Dezember 2025

Besonderer Dank an unsere Freunde und Kooperationspartner vom MERKER-online (Wien)


Der Kaiser von Atlantis
Viktor Ullmann
L’hirondelle Inattendue
Simon Laks

Salzburg/ Mozarteum
Premiere am 6. Dezember 2025

Regie: Valentina Vorwahlner 
Dirigat: Kai Röhrig
 
Arcoensemble