Graz: Festkonzert – Plácido Domingo als Nabucco

Konzentrierter italienischer Belcanto

Vor 10 Jahren hatte Intendant Dr. Michael Nemeth erstmals eine konzertante Opernaufführung auf das Podium des Grazer Stefaniensaals gebracht – Verdis Giovanna d’Arco ist auch heute noch auf youtube vollständig nachzuerleben. Es freut den Opernfreund, dass die Tradition von Operaufführungen seither weitergeführt wird und beim Publikum sehr beliebt ist.

Diesmal ist ein besonderer Coup gelungen: Plácido Domingo sang erstmals im Musikverein in Graz und wurde als Nabucco samt ausgezeichneten weiteren Solisten, der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor und der Slowenischen Philharmonie vom Publikum umjubelt. Es war diesmal eine auf die Musik konzentrierte hervorragende Aufführung – da lenkte kein Cinemascope-Bühnenarrangement wie etwa in der Arena von Verona oder im Steinbruch von St.Margarethen vom musikalischen Geschehen ab. Und das Gott sei Dank ohne elektronische Verstärkung bzw. Verfremdung – man erlebte wahrlich „Verdi pur“!

Ich habe Domingo im Laufe der Jahrzehnte in vielen Tenorrollen auf der Bühne erlebt – diesmal allerdings das erste Mal live nach seinem Wechsel ins Baritonfach. Ich kann mich nur vollinhaltlich der Würdigung in der lokalen Presse anschließen: „Mit 81 Jahren einen solch prächtig und schön klingenden Nabucco mit unverkennbar luxuriös timbrierter und strömender Mittellage auf die Bühne zu bringen, grenzt einfach an ein Wunder.“ Da verzeiht man ihm auch gerne überraschende rhythmische Unkonzentriertheiten im Oktett des 2.Akts).

Eine Besonderheit dieser Aufführung war zweifellos, dass alle anderen Partien ebenso ausgezeichnet besetzt und nicht nur „Beiwerk“ für den Star waren:

Da ist an der Spitze die aus Uruguay stammende Maria José Siri zu nennen, die die gefürchtete Partie der Abigaille souverän gestaltete. Die Abigaille hatte sie Ende des Jahres u.a. an der Wiener Staatsoper gesungen (siehe dazu ein informatives Interview, in dem sie sich ausführlich zu dieser Partie äußert). Sie wird die Abigaille auch in diesem Sommer in der Arena von Verona singen, alternierend mit Anna Netrebko. Höchst eindrucksvoll und bombensicher waren nicht nur ihre Spitzentöne und die effektgeladenen Koloraturen, sondern auch ihre Gestaltungskraft und die lyrischen Bögen, mit denen sie die Sterbeszene berührend gestaltete. Ihre Gegenspielerin Fenena sang mit gebührender Lyrik und schön timbriertem Mezzo die Französin Marie Karall . Die prachtvolle Basspartie des Zaccaria war dem erst 35-jährigen kroatischen Bass Marko Mimica übertragen. Bei dieser Partie sind die exponierten Spitzentöne wichtig – und die beherrschte er souverän. Mimica hat eine eindrucksvolle Bassbariton-Stimme, die aber auch die Basstiefen problemlos schafft. Er wird den Zaccaria in der nächsten Spielzeit an der Deutschen Oper Berlin singen – gemeinsam mit Maria José Siri! À propos Jugend:

Ganz kurzfristig musste der erst 25-jährige Italiener Gaetano Lo Coco die musikalische Leitung übernehmen – und er machte das großartig! Da wächst ein Riesentalent heran – er wird seinen Weg machen.

Die Slowenische Philharmonie begleitete sehr aufmerksam und stilgerecht. Auch die kleineren Partien waren sehr gut besetzt: Francesco Pio Galasso war ein sehr solider Ismaele, und die 28-jährige russisch-amerikanische Sopranistin Erika Baikoff fiel in der undankbaren Partie der Anna mit erstaunlicher stilistischer und stimmlicher Ausdruckskraft in den Ensembles auf. Die beiden männlichen Nebenfiguren – Hohepriester und Abdallo – waren mit zwei Mitgliedern der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor besetzt und waren ein eindrucksvoller Beleg dafür, welche Stimmqualität im Wiener Staatsopernchor versammelt ist. Nabucco hat ja nicht nur den weltbeühmten Gefangenenchor, sondern ist überhaupt eine große Choroper. Der Staatsopernchor beeindruckte wie erwartet. Er vereint ideal die gebotene Klangfülle mit Differenzierungskraft und Ausgewogenheit in selbstverständlicher Präzision (Einstudierung : Martin Schebesta). Aus Anlass 95 Jahre Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor wird der Chor am 25.9. ein eigenes Konzert in Graz bestreiten, auf das sich schon alle Opernfreunde freuen.

Es war ein großer Abend italienischer Belcanto-Kultur – man kann gespannt sein, ob Plácido Domingo seine Ankündigung, möglichst bald wieder in Graz aufzutreten, verwirklichen wird – siehe dazu den TV-Bericht, der noch 5 Tage verfügbar ist.

14.6.2022, Hermann Becke

Hinweis:

Am 27.Juni ist ein weiterer Weltstar zu Gast in Graz – Piotr Beczała wird mit Helmut Deutsch einen exquisiten Liederabend bestreiten. Und damit schließt sich ein Kreis, sind doch Plácido Domingo und Piotr Beczała eine Woche vor dem Grazer Konzert beim abschließenden Galakonzert der Salzburger Pfingstfestspiele Carmenzita & Friends miteinander aufgetreten! Siehe dazu den ORF-Bericht