Film statt Liveinszenierung – „Vortäuschung falscher Tatsachen!“
„Man ist ja in der Oper spätestens seit Castorf ausreichend von vielen und wackeligen Live-Videos belästigt worden, aber dass eine angekündigte „Live-Film-Oper“ wirklich vollinhaltlich als solche gemeint ist – nämlich, dass man das Geschehen von der ersten bis zur letzten Minute nur auf der Leinwand sieht, das hat bisher doch noch niemand geboten“ schreibt unsere Fachfrau Dr. Renate Wagner aus Wien.
„Regisseur David Marton setzt auf die Wirksamkeit des Bildes, vor allem wenn es unscharf und verwackelt präsentiert wird. Schwindelgefühle beim Zusehen sollten nicht fixer Bestandteil einer Opernaufführung sein. Warum man die Dialoge in verschiedenen Sprachen brachte, konnte niemand verstehen. Zum Schluss sah man neben unscharfen und verzweifelten Sängern in Nahaufnahme auch Szenen aus dem Alltag (U-Bahn-Zugänge, Straßenbahn Linie 62, Staatsoper und Würstelstand, Südosttangente bei mäßigem Berufsverkehr) – da blieb nur „Augen zu und durch“. Schrieb der Kritiker Johannes Marksteiner bei unseren Freunden vom Merker.
Sänger über Lautsprecher (wahrscheinlich kaum in Dolby Athmos, wie in heutigen Kinos üblich) immerhin zu Livemusik! Ich frage mich ernsthaft: Warum soll man als Opernfreund dann überhaupt noch in die Oper gehen. Geht doch alles auch zuhause viel bequemer und ansteckungsfrei. Zahlt der österreichische Steuerzahler so viel Subventionen, damit Kino im teuren Opernhaus stattfindet? Dann aber bitte auch zum Preis einer Kinokarte und verbunden mit dem Hinweis auf dem Plakat! Ich gehe doch nicht in die Oper, um einen Film zu sehen – Freunde, da sitz ich doch in meinem Luxuspantoffelkino viel gemütlicher und krieg sogar Getränke serviert!
Und was ist mit „Vortäuschung falscher Tatsachen“ (Paragraph 263, Absatz 1, StGB)? Also, ich denke, in Deutschland könnte man das Geld für die Karte sogar einklagen. Aber was ist mit seelischer Grausamkeit, Diebstahl kostbarer Lebenszeit oder Schädigung meines Seelenheils? (Wir hatten früher mal über eine Kritik geschrieben „Achtung Wagnerianer, der Besuch dieser Vorstellung könnte ihrem Seelenheil als Wagnerianer schaden“ – wurde sogar im WDR zitiert 😉 Und wenn eine Vorführung „Schwindelgefühle“ evoziert, dann ist das schon irgendwie eine Gesundheitsschädigung.
Der Düsseldorfer Opernintendant Meyer hatte vor Jahren ja sogar eine Opernproduktion direkt nach der Premiere gecancelt, weil einigen sensiblen Besuchern schlecht geworden war.
Fazit: Es gibt heutzutage auf der Opernbühne wirklich nichts, was es nicht gibt, aber das sollte Ihnen, liebe Opernfreund-Leser, schnuppe sein. Wenn Sie gerade in Wien weilen, gehen Sie lieber für das Geld toll essen. Gönnen Sie sich kulinarischen Lustgewinn statt Opera. Selten hat eine Produktion unseren berühmten Negativpreis ernsthafter verdient. Das Geld kann man besser anlegen, findet Ihr Herausgeber.
Peter Bilsing 23. März 2023
Besonderer Dank mal wieder an Peter Klier (c), unseren Hauskarikaturisten