Frankfurt: „Così fan tutte“, Wolfgang Amadeus Mozart

Eine fragwürdige Hochzeitsparabel. Musikalisch-sängerisch eine Sternstunde

Um sechs Personen kreist die Handlung von Mozarts dritter Oper in Zusammenarbeit mit seinem kongenialen Librettisten Lorenzo Da Ponte. Innerhalb von 24 Stunden wird das Leben von zwei Paaren vollständig aus der Bahn geworfen: Guglielmo und Ferrando schließen mit dem Zyniker Don Alfonso eine Wette auf die Treue ihrer Geliebten Fiordiligi und Dorabella ab. Don Alfonso ist sicher, dass er mit Hilfe der Zofe Despina die Untreue der beiden Schwestern beweisen kann. Die beiden Männer werden als Fremde verkleidet, um jeweils die Geliebte des anderen zu verführen. In diesem Spiel gehen vorgetäuschte und echte Gefühle ineinander über. Zum Schluss feiern die „falschen“ Paare eine fingierte Doppelhochzeit, bevor die beiden Schwestern über die wahre Identität ihrer frischgebackenen Ehemänner aufgeklärt werden. Die sechs Beteiligten ziehen zwar ein scheinbar fröhliches und versöhnliches Fazit, doch das Lachen bleibt allen im Halse stecken. Finden sich die Liebenden in der ursprünglichen Konstellation wieder? Welche Gefühle waren und sind überhaupt echt?

Liviu Holender (Don Alfonso; in der Bildmitte) und Ensemble / © Barbara Aumüller

Die Inszenierung von Mariame Clément ist ernst, sehr ernst, um nicht zu sagen symbolisch tief- und hintergründig, weit entfernt von aller Comedia dell‘arte. Sie kreist einzig um das Thema Hochzeit und Ehe als gesellschaftliches Gefühls- und Treueversprechen. Alle drei Akte hindurch wird geheiratet, von der Ouvertüre bis zum zweiten Finale. Die Inszenierung ist eine einzige, aufgeblasene Hochzeitsparabel in symmetrischen Art-Deco-Räumen. Etienne Pluss (Bühnenbild) hat den optisch hochwertigen und gut gebauten, variablen Bühnenraum entworfen, er kann hin- und hergeschwenkt werden um eine Mittelachse, eine Art diskreter Bühneneingang. Alle Orts- und Szenenanweisungen da Pontes werden Lügen gestraft. Wer das Stück nicht kennt, wird es beim Ansehen dieser Aufführung in modernem Einheitsraumwohl kaum verstehen, auch nicht die hin und herfahrenden Räume voller Hochzeitsgesellschaften, Tüll, Stühlen, Torten und Champagner, Schokoladenbrunnen, Blumengebinden, Traualtären, Girlanden und gedeckten Tischen. Nichts ist zu sehen von Neapel, vom blauen Golf, nichts vom Landhaus Don Alfonsos, einem Kaffeehaus oder der Villa der Schwestern. Auch die Kostüme von Bianca Deigner zeigen Gegenwart, nicht 18. Jahrhundert.

Die Regisseurin gibt sich alle Mühe, die Achterbahn der Gefühle als extreme seelische Entwicklung zweier Paare (in kondensierter Zeit) zu verdeutlichen, jenseits von vermeintlichem Frauenhass (der im Libretto allerdings sprachlich eindeutig auszumachen ist). Aber schließlich entblößen sich die Männer als nicht weniger frivol und amoralisch als die beiden Frauen. Da hat sie recht. Das Stück müsste daher eigentlich „Cosi fan tutti“ heißen. Apropos Libretto: Ferrando und Guglielmo sollen sich gemäß der Treuewette als Albaner verkleiden, damit der Partnertausch unerkannt gelingt. Von Wegen „Walachen“ oder „Türken“, „welche Kleider! Welche Gestalten! Welche Schnurrbärte!“ (so Despina). Indem Clément auf jeden exotischen Mummenschanz verzichtet, bleibt der (angeblich unbemerkte) Partnertausch absolut unglaubwürdig.

Kelsey Lauritano (Dorabella), Magnus Dietrich (Ferrando), Teona Todua (Fiordiligi) und Jonas Müller (Guglielmo) / © Barbara Aumüller

Nicht zu vergessen: Im Verlaufe der Wette um die Treue und der damit verbundenen Verkleidungs- und Verführungskomödie zweifeln diese vier Liebenden mehr und mehr an ihren Gefühlen, sie zweifeln nicht nur, sondern verzweifeln. Aus dem Spiel wird Ernst. Auch wenn die Oper mit einem glücklichen Ende, einem lieto fine schließt: Es bleiben zwei entwurzelte, sich selbst entfremdete Paare zurück. Nichts ist mehr, wie es war. Liebe und Treue sind ein für alle Mal fragwürdig geworden. Mariame Clément lässt die Oper hingegen optimistisch, ja zuversichtlich enden. Nach einer opulenten letzten Hochzeitsfeier mit Discokugel-Beleuchtung und von der Hochzeitsgesellschaft getanzter Polonaise wird eben diese Hochzeitsgesellschaft hinausgeworfen, die beiden Paare setzen sich an einen Tisch und reden miteinander, als wäre das noch möglich, als wäre noch oder wieder alles in Ordnung. Hochzeit als Chance, Utopie und immer neues Bemühen um Harmonie?

Nein, es geht in dieser Oper um das definitive Ende zweier Liebesbeziehungen. Das ist denn auch mein Haupteinwand gegen ihr Konzept: Es verharmlost Mozarts grausame Buffa, bei der einem das Lachen vergeht. Der zynische Don Alfonso, der die Wette um die Treue der Frauen und der Männer, der das zerstörerische Experiment an vier lebenden Herzen anrührte, gibt (als Sprachrohr Mozarts) den Blick in die Abgründe des Eros frei und zerstört ein für alle Mal das bürgerliche Liebesideal. Da gibt es kein Zurück. Diese Oper, die mit den Moralvorstellungen der späten Mozartzeit abrechnet, und eben deshalb vom ganzen 19. Jahrhundert abgelehnt wurde, ist nichts weniger als eine bit­terböse, gnadenlose Verkleidungs- und Partnertausch-Komödie voller schwarzem Humor, die „eine Revolution in der Liebe“ propagiert. Das aber veranschaulicht Cléments Inszenierung nicht. Es ist daher eine enttäuschende Inszenierung.

Bianca Tognocchi (Despina) / © Barbara Aumüller

Sängerisch ist die Aufführung dagegen alles andere als enttäuschend. Es ist ein vorzügliches Mozartensemble, das man in Frankfurt aufgeboten hat. Allen voran brilliert die italienische Sopranistin Bianca Tognocchi als verschlagene Kammerzofe mit Mutterwitz in der Partie der Despina, die neben ihrer fulminant höhensicheren und koloraturenfreudigen Stimme auch schauspielerisch begeistert, ob als Dottore oder als Notario mit dicker Brille und Perücke (hier lässt dann doch die Comedia dell‘arte grüßen!). Auch die Frankfurt- und Rollendebüts der georgischen Sopranistin Teona Todua als am längsten standhafter (stimmlich exorbitanter und risikofreudiger) Fiordiligi und dem neuen Opernstudio-Mitglied Jonas Müller, ein feiner, exzellenter Bariton, in der anspruchsvollen Rolle Guglielmos sind schlicht sensationell. Erstklassig singt und spielt auch das zweite Liebespaar, bestehend aus der japanisch-amerikanischen Ausnahme-Mezzosopranistin Kelsey Lauritano (sie singt eine elegante, sehr kultivierte Dorabella) und dem Rollendebütanten, dem kraftvoll-leidenschaftlichen Tenor Magnus Dietrich (seit letzter Saison Mitglied der Frankfurter Oper) als sensiblem Ferrando. Lediglich der zugegeben vielseitige Bariton Liviu Holender (seit 2019/20 Ensemblemitglied der Oper Frankfurt) bleibt dem strippenziehenden Zyniker Don Alfonso einiges schuldig. Er ist vor allem zu jung für die Partie. Man wünschte sich doch eher einen ausgebufften Alten, einen mit allen Wassern gewaschenen Theater-Fuchs mit markanterer und auch größerer Stimme. Doch alles in allem ist hier ein Mozart-Ensemble von Seltenheitswert zu erleben.

Kelsey Lauritano (Dorabella), Teona Todua (Fiordiligi), Jonas Müller (Guglielmo; kniend), Magnus Dietrich (Ferrando), Liviu Holender (Don Alfonso) und Bianca Tognocchi (Despina)
© Barbara Aumüller

Auch dirigentisch ist der Abend eine Sternstunde. Es handelt es sich schließlich um eine der am schwierigsten zu realisierenden Partituren Mozarts. Der Dirigent muss nichts weniger als den Spagat zwischen Opera buffa und fast schon romantischer Ironie, ständigen Tempo- und Stimmungswechseln zwischen Psychologie und Typenkomödie bewältigen. Das ist kein leichtes Spiel. Thomas Guggeis, dem 32-jährige GMD der Oper Frankfurt, gelingt es fabelhaft. Energiegeladen, präzise und feurig präsentiert er einen Mozart ohne Zopf, Allonge-Perücke und ohne alle Verzärtelung. Mit rasantem, vorwärtsdrängendem Tempo, hörbar an historisch informierter Aufführungspraxis orientiert, mit Schwung und hinreißenden Instrumentaldetails tritt er mit seinem Mozart den schlagenden Beweis dafür an, dass dieses Schlussstück der Da-Ponte-Trias ein erstzunehmendes, ein radikales, um nicht zu sagen verstörendes Werk ist, das zu Unrecht so lange missverstanden wurde, aber auch, dass es von exzellenter musikalischer Qualität ist, „frisch in der Partitur“ und „von unglaublicher Poesie“. Guggeis weiß aber auch die Sänger hervorragend zu führen, bei den Arien wie den unglaublichen Ensembles. Er begleitet die Sänger zudem persönlich am Hammerklavier. Dabei kennt er das Stück genau, hat Sinn für die kompositorischen Strukturen wie die klanglichen und emotionalen Balancen des Dramma giocoso. Hut ab vor dem Mozart-Interpreten Thomas Guggeis! Eine solche Così hört man nicht alle Tage.

Dieter David Scholz, 22. September 2025


Così fan tutte
Dramma giocoso in zwei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart

Oper Frankfurt

Premiere am 21. September 2025

Inszenierung: Mariame Clément
Musikalische Leitung: Thomas Guggeis
Frankfurter Opern- und Museumsorchester