Rigoletto – der verspottete und spottende Hofnarr, ein einsamer Außenseiter und liebender Vater, der seine Tochter vor der niederträchtigen Außenwelt beschützen will, dabei jedoch, blind vor Rache, Wahn und falsch verstandener Liebe, zu spät erkennt, dass er genau das befördert hat, was er um jeden Preis verhindern wollte. Es ist diese selbsterfüllende Prophezeiung, die der Geschichte ihre Tragik und der zentralen Figur ihre scharfen Kontraste verleiht. Ute M. Engelhardt geht in ihrer Inszenierung jedoch noch einen Schritt weiter und verschärft die moralischen Abgründe, die sich so nicht zwischen zwei Welten, sondern inmitten der Persönlichkeit Rigolettos auftun. Zugleich versucht die Regisseurin die Frage nach dem Ursprung dieses gestörten, obsessiv-wahnsinnigen Verhaltens, das in Tod und Verlassenheit endet, zu beantworten. So entsteht eine vielschichtige, packende Ergründung einer gebrochenen Seele, die sich, anstatt zu heilen, immer weiter in Wahnvorstellungen und egoistischem Kontrollverhalten verliert und selbst vor Mord nicht zurückschreckt. Ein Haus- und ein Rollendebüt sowie ein agiles, spannungsreiches Orchester sorgten auch musikalisch für eine beeindruckende Premiere.

Das Glück scheint perfekt zu sein: In enger Umarmung hält Rigoletto seine Frau, gemeinsam betrachten sie liebevoll die neu geborene Tochter im Kinderwagen. Doch die Frau fühlt sich eingeengt, erstickt in der Umklammerung ihres Mannes, und reißt sich los. Rigoletto ist verzweifelt und kann den Verlust seiner Liebe nicht verkraften, es ist der Anfang seiner tief gestörten Persönlichkeit, die sich aufspaltet, verschiedene Personae annimmt und selbst die positiven Welten seiner Lebensrealität durch sein obsessives Bedürfnis nach Kontrolle und Gestaltung rein nach seinen Vorstellungen zerstört und unterdrückt. Mit dieser während des Preludio gezeigten Szene setzt Ute M. Engelhardt die Grundlage ihrer Interpretation. Dieser Anfang des Wahnsinns, letztlich der Persönlichkeitsstörung Rigolettos bildet den entscheidenden Einschnitt, die Ursünde – oder vielmehr die Vertreibung aus dem Paradies – in seinem Leben, die fortan all sein Handeln und sämtliche Beziehungen vergiften wird. Ob die Frau, wie im Libretto vorgesehen, stirbt oder sich aus Rigolettos egozentrischer, einengender Liebe befreit, spielt keine Rolle, entscheidend ist der Moment des Verlassenwerdens und die folgende Einsamkeit, die wesentlich auch von der Erfahrung, nicht alles im Leben nach den eigenen Wünschen gestalten zu können, geprägt ist. Engelhardt ergänzt diesen Wendepunkt im Leben Rigolettos durch eine psychologisch tiefgreifende und im weiteren Verlauf des Stücks sich als äußerst überzeugend erweisende Deutung: Nach der Flucht seiner Frau erscheint Sparafucile, der Auftragsmörder, und legt Rigoletto den Buckel um, der keine reine Deformierung des Körpers ist, sondern vielmehr eine der Seele, ausgedrückt durch eine von wutvollem Schrei verzerrte Maske auf seiner Schulter. Das Äußere Sparafuciles ist jenem Rigolettos angeglichen, wodurch erkenntlich wird, dass dieser die abgespaltete Persönlichkeit des Hofnarren verkörpert, seine dunkle Seite, die von dem Wunsch nach Rache verzehrt wird. Diese Vereinigung zweier Figuren, die mit einer Aufteilung der verschiedenen gestörten Wesenszüge und Lebenswelten einhergeht, wird im Laufe der Inszenierung geschickt fortgesetzt, immer wieder zeigt sich im Aufeinandertreffen von Rigoletto und Sparafucile als seiner dunklen, gefährlichen Seite das Ringen der Person mit sich selbst, an dem sie jedoch fortlaufend scheitert. Selten gehen solche Eingriffe in das Werk so schlüssig auf wie in dieser Inszenierung, in der dadurch psychologisch differenziert und auf eindrückliche Weise verstörend ein Psychogramm Rigolettos gezeichnet wird. Die Grenzen zwischen den Persönlichkeiten wie auch zwischen der Realität und Rigolettos eigener vom Wahn verzerrten Wahrnehmung verschwimmen. Das Ineinandergreifen seiner unterschiedlichen Seiten kulminiert in der durch diese Interpretation unheimlichen Textstelle: „Wir sind gleich! Ich habe die Zunge, er den Dolch.“

Der „eigentliche“ Rigoletto, der in dieser Inszenierung letztlich so nicht existiert, ist als Narr am Hofe des Herzogs von Mantua ebenso Zielscheibe des Spottes der Hofgesellschaft, wie er umgekehrt spöttisch Kritik an der unmoralischen, unterdrückenden Lebensgestaltung des Herzogs übt. An dessen Hof werden üppige Feiern, eher Orgien, gefeiert, in denen die Frauen als reine Objekte behandelt und zur Bedürfnisbefriedigung der Herren, von Katharina Tasch in vom Barock inspirierten exzentrischen Kostümen eingekleidet, eingesetzt werden. Ob es zur Darstellung der dort herrschenden Amoralität so plakative Szenen, die für die mit Bananen hantierenden Frauen übermäßig herabwürdigend wirken, gebraucht hätte, ist fraglich. Die Problematik des sehr unedlen Hofzeremoniells wäre auch mit Andeutungen und feinfühligerer Symbolik deutlich geworden. Dass aus dem selbstsüchtigen, die jeweilige Person nicht respektierenden Handeln des Herzogs Konflikte entstehen müssen, sobald ein Vater zumindest die Ehre seiner Tochter vor der Korrumpierung, besser gesagt: dem Missbrauch, schützen will, ist vorprogrammiert. Dass Rigoletto den ausgesprochenen Fluch rein auf sich bezieht, davon besessen und immer mehr in den Wahnsinn gezogen wird, ist jedoch seiner gestörten, höchst unsicheren Persönlichkeit zuzuschreiben, die darin gewissermaßen auch eine Entäußerung der eigenen Verantwortung sieht. Ähnlich wie Macbeth klammert er sich an eine schicksalshafte Macht, die Drohung des Fluches scheint seine geplante Rache als beinahe notwendige Reaktion auf das ihm widerfahrene Unrecht zu rechtfertigen. Dabei übersieht er jedoch, dass er selbst es ist, der Unrecht übt, verantwortlich ist für Unterdrückung und die immer tiefere Verstrickung in das Verderben, das ihn letztlich selbst treffen wird. Durch die Umdeutung Sparafuciles zu einer der Persönlichkeiten Rigolettos greift selbst die versuchte Abwälzung der Verantwortung für den Mord nicht mehr.

Besonders im eigenen Haus zeigt sich Rigolettos egozentrische Kontrolle, die durch seine korrumpierte Psyche keine Kontrastwelt zu jener des herzoglichen Hofes mehr bildet, sondern nach denselben Strukturen männlich dominierter Macht geprägt ist. Auch wenn zu merken ist, dass Rigoletto selbst denkt, er würde aus Liebe zu Gilda handeln, hat dies mit Liebe wenig zu tun. Vielmehr ist Rigolettos Tochter seine Gefangene, die abgeschottet von der Welt, von Erfahrung und sogar von Wissen der elementarsten Dinge wie des Namens des eigenen Vaters in ihrem Zimmer als Projektionsfläche für die zwar abwesende, in Rigolettos Vorstellung, verbildlicht durch szenische Auftritte der Figur, aber stets herumgeisternde Mutter eingesperrt ist und manipuliert wird. Wie sehr Rigoletto in ihr das einholen möchte, was er in seiner Frau verloren hat, zeigt sich auch an dem nach dieser gestalteten Äußeren Gildas. Ihre übergroßen geflochtenen Zöpfe werden zu Fesseln, die ihr freie Bewegung verunmöglichen. Wie sehr Gilda selbst, da sie keine andere Realität als jene gestörte des Vaters kennt, in ihrer begrenzten Welt gefangen ist, stellt Stephanie Rauch gelungen an einem gefliesten Zimmer dar, das keine Wände hat und nur durch eine Schaukel in kontrolliertem Maße von Gilda überschritten werden kann. Dass sie sich selbst daraus befreien könnte, erkennt sie erst mit der Zeit, leider jedoch ebenso unter trügerischen Voraussetzungen. Das Ausmaß ihrer von Rigoletto gestalteten Überhöhung wird auch an der religiösen, im Text grundgelegten wortwörtlichen Inszenierung deutlich. Umrahmt von einem Sternenkranz gleicht Gilda auf ihrer Schaukel einem Marienbild – ein starker madonnenhafter Kontrast zu der objektifizierenden Wahrnehmung aller anderen Frauen. Die durch dunklere Fliesen sichtbar werdende Form eines Kreuzes stellt sie allerdings auch von Anfang an in den Kontext des Leids, das ihr zugefügt wird und das von Beginn an auf ihren innerhalb dieser Logik notwendigen, zudem auch proexistenten Tod hindeutet.

Angesichts dieser Zurückdrängung jeder Entfaltungsmöglichkeit verwundert die Wirkung, die der sich als Student ausgebende Herzog bei Gilda entfaltet, nicht. Er scheint ihr ein neues, tatsächlich eigenes Leben, einen Weg in die Freiheit und Liebe zu eröffnen. Die große Tragik des Werks liegt allerdings in der Unehrlichkeit des Herzogs, die Gilda etwas vortäuscht, das nicht gegeben ist, das sie aber in ihrer Situation ohne jegliche Erfahrung mit anderen Menschen, geschweige denn Männern, nicht erkennen kann. Das Love Bombing des Herzogs, auf grotesk-humorvolle Weise verbildlicht in einer riesigen „Ti amo“-Leuchtschrift, hat Erfolg, er befreit sie aus den Schlingen ihrer kindlichen Zöpfe, doch schon ihre örtliche Befreiung hat mit diesem Wort nichts mehr zu tun, sondern geschieht durch Entführung, an der Rigoletto, im vollen Sinne blind in seinem Wahn, sogar mitwirkt. Gildas einzige selbstbestimmte Emanzipation besteht in der Entscheidung, an der Liebe zum Herzog festzuhalten und für ihn zu sterben, obwohl sie die Wahrheit seines beliebigen, untreuen Begehrens erfahren hat. Engelhardt unterstreicht diese Dimension der Selbstbestimmtheit durch das Abschneiden der Zöpfe, im Sinne einer Vollendung der Loslösung von vorgegebenen Strukturen. Gildas Tod ist die einzige frei von ihr gesetzte Handlung, aber dennoch eingebettet in das von männlicher Kontrolle bestimmte System, in dem ihr von Anfang an eine mehr tote als lebendige Rolle zukommt. Für Rigoletto wird die Brüchigkeit dieses Systems, in seinem Fall auch des aufgespalteten Systems seiner eigenen Psyche, in der Anagnoresis seiner eigenen Tochter als Opfer des von ihm selbst verübten Mordangriffes deutlich. Doch auch im Letzten dürfte er noch keine volle Einsicht in sein eigenes Tun erhalten haben, er beruft sich weiterhin auf den Fluch, dessen Erfüllung er nun eingelöst sieht, im Hintergrund lacht seine dunkle Seite Sparafucile, immer noch gefangen im Wahn der Rache.
Dass dieser durchdachte und stimmig umgesetzte Inszenierungsansatz mit so hoher Plausibilität und Intensität aufgeht, ist maßgeblich Nikoloz Lagvilava zu verdanken, der dem instabilen, nicht zurechnungsfähigen und zwischen kranker Liebe und wahnhafter Rachsucht hin- und hergerissenen Rigoletto höchst überzeugend Gestalt verleiht. Ihm gelingt ein beeindruckend facettenreiches Porträt dieser multiplen Persönlichkeit, sowohl mit lakonisch-zynischem Ton als Hofnarr, als auch als besessen liebender Vater mit zärtlichem Klang, genauso aber in den von Wahn durchdrungenen Szenen, in denen sich die Gewalt durchsetzt. Stets bewahrt er eine hohe Textdeutlichkeit und -gestaltung, die sich mit variablem stimmlichem Ausdruck zu einer beeindruckenden Darbietung vereint. Im Ton durchgehend kräftig und intensiv, gelegentlich zur Verstärkung der Verzweiflung aber auch mit Mut zu brüchiger oder grotesk verzerrter Stimme, vermag Lagvilava es, ganz in die Rolle einzutauchen. Zusammen mit beeindruckendem darstellerischem Vermögen führt dies zu einem emotional packenden Hausdebüt. Ebenso überzeugend ist Wilfried Zelinka als Rigolettos abgespaltete, kranke und bösartige Persönlichkeit Sparafucile, was besonders in den Duetten der beiden für beklemmende und gesanglich fein abgestimmte Momente sorgt. Besonders in der Tiefe gelingt Zelinka eine hohe Intensität, seine Stimme bleibt stets klar und kostet im Ausdruck die Facetten des Wahnsinns aus. Seine Klangschönheit führt in den höheren Passagen zu einem beinahe etwas zu gutmütigen Ton, was er allerdings durch sein höchst beunruhigendes Lachen am Ende des ersten und dritten Akts mehr als auszugleichen vermag. Als weiterer Höhepunkt der Premiere erwies sich Ekaterina Solunyas Debüt als Gilda, die nach anfänglicher leichter Nervosität, die sich jedoch stimmig mit der zu Beginn noch unsicheren, verängstigten Figur vereinte, immer mehr Sicherheit gewann und mit klar leuchtendem Ton sowie starkem, präzisem Klang den Entwicklungsprozess Gildas hörbar werden ließ. Solunya verfügt sowohl über hohe Agilität und Präzision in den Koloraturen als auch über eine strahlende Durchschlagskraft, die besonders im dritten Akt mit schön phrasierten Kantilenen für eindrucksvolle Passagen sorgte. Die junge Sopranistin vereint ein ausgereiftes technisches Fundament mit interessantem Timbre und ausdrucksstarker Gestaltung – eine Kombination, die mit Freude auf weitere Rollendebüts blicken lässt. Pavel Petrov verkörpert den jugendlichen, moralisch verwerflichen Herzog hervorragend, auch stimmlich gelingen ihm besonders in den Szenen mit Gilda berührende Momente, doch entsteht der Eindruck, als wäre er noch nicht gänzlich bereit für diese Rolle. In der Höhe ist rasch eine gewisse Enge zu hören, wie insgesamt Energie und stimmliche Kraft rasch an ihre Grenzen stoßen. Äußerst energisch und mit fundiertem Klang ist hingegen Nikita Ivasechko als Marullo zu hören, dessen Rolle bei dieser Darbietung gern über längere Passagen verfügen dürfte. Ähnlich ist es bei Neira Muhić als Maddalena mit großer Klangfülle und warmem Timbre, das dennoch der Schärfe, beinahe Gehässigkeit der Schwester des Auftragsmörders Raum geben kann. Ebenso beachtenswert sind Daeho Kim als Graf von Monterone, Lovro Korošec und Agustina Calderón als Ehepaar Ceprano, Jianwei Liu als Borsa und Leah Bedenko als Giovanni. In gewohnter Weise überzeugend erweist sich auch der Herrenchor der Oper Graz, der über einen ausgewogen kräftigen Klang ebenso verfügt wie über große Präzision und Leichtigkeit.

Musikalisch differenziert getragen wird die Aufführung von den Grazer Philharmonikern unter ihrem Chefdirigenten Vassilis Christopoulos, der mit hohem Feingefühl zwischen passend harten Klangausbrüchen, unheimlich tönenden Schlägen und melodiös-zarten Linienführungen, die einer gewissen bitteren Süße nicht entbehren, changiert. Dabei bewahrt er stets die das düstere Geschehen oft kontrastierende, beinahe tänzerische Grundgestaltung des Orchesterklangs, der in den frühen Verdi-Opern tragend ist. Nie wird es dabei zu schwungvoll oder ausgelassen, umgekehrt jedoch auch nicht zu kontrolliert oder gehemmt. Zwischen dem Dirigenten und dem Orchester entsteht eine gelungene Symbiose, die ausreichend Freiheiten lässt und zu einem dynamischen gemeinsamen Musizieren führt. Gelegentliche Koordinationsschwierigkeiten zwischen Orchester und Sängern mögen auf die Premierensituation zurückzuführen sein, stören den Gesamteindruck allerdings nicht. Aufgrund ihrer hohen musikalischen Emotionalität hervorzuheben sind die Soli, sowohl jenes des Englischhorns als auch das ausdrucksstarke, homogen geführte Zusammenspiel von Cello und Kontrabass. Ute M. Engelhardt gelingt es durch ihre psychologische Tiefenbohrung, die Gründe des Verhaltens Rigolettos zu erforschen und jenes in eine umfassende Lebensgeschichte einzubetten, durch deren Erschließung die Tragik nicht in dem sich erfüllenden Fluch zu verorten ist, sondern in der korrumpierten Psyche, die sich an Illusionen festklammert und dadurch alles Fremde unter die eigene gewaltvolle Verfügung stellen will. Dass dies nur scheitern kann und letztlich ein Scheitern am eigenen Selbst ist, erfährt Rigoletto durch den Verlust des Einzigen, das ihm noch geblieben ist, seiner Tochter. Besonders die Umdeutung Sparafuciles zur abgründigen Facette der Persönlichkeit Rigolettos, aber auch die als Wahnbild immer wieder vor Augen gestellte abwesende Frau bilden höchst interessante und bewegende Aspekte, die zwar Interpretation sind, jedoch eine auch textlich durchaus stimmige. So entsteht eine Ergründung eines bekannten Stoffes, der für neue inhaltliche Dimensionen und Verständnismöglichkeiten sorgt, die ohne eine so umfassend beeindruckende gesangliche Darbietung, wie vor allem jene von Nikoloz Lagvilava, nicht gleichermaßen ihre Wirkung entfalten könnten.
Elena Deinhammer 20. November 2025
Besonderer Dank an unsere Freunde und Kooperationspartner vom OPERNMAGAZIN
Rigoletto
Giuseppe Verdi
Oper Graz
Rezension der Premiere vom 15. November 2025
Regie: Ute M. Engelhardt
Dirigat: Vassilis Christopoulos
Grazer Philharmonikern