Antwerpen: „Der Schmied von Gent“

Franz Schreker

Premiere: 02.02.2020

besuchte Vorstellung: 07.02.2020

TRAILER

Wie eine farbenfrohe Märchenerzählung aus dem Ruder läuft…

Lieber Opernfreund-Freund,

Franz Schrekers letzte Oper Der Schmied von Gent wird außerordentlich selten aufgeführt. In Europa hat zuletzt 2010 das Theater Chemnitz eine Produktion auf die Bühne gebracht, in Belgien, wo der im 16. Jahrhundert angesiedelte Märchenstoff spielt, war das Werk sogar noch nie zu sehen. Das will Opera Ballet Vlaanderen ändern und hat für die Koproduktion mit dem Nationaltheater Mannheim den jungen Theaterregiestar Ersan Mondtag mit der Umsetzung betraut – und der gibt hier nicht nur sein Operndebüt, sondern greift nach gelungenem Beginn im letzten Akt so richtig in die Vollen – und dabei daneben.

„Große Zauberoper“ hat Franz Schreker sein Werk aus dem Jahr 1932 überschrieben, fußt es doch auf einer zauberhaften Geschichte aus der Sammlung Légendes flamandes (Flämische Legenden) aus den 1850er Jahren:
Im Gent des ausgehenden 16. Jahrhunderts, zu Zeiten des 80jährigen Krieges, sympathisiert der Schmied Smee mit den niederländischen Geusen, die sich gegen die spanischen Besatzer auflehnen. Das kostet ihn neben Kundschaft und dem guten Ruf auch seinen Wohlstand und er geht deshalb einen Pakt mit dem Teufel ein, der ihm in Form der erotischen Astarte erscheint: er kann sieben Jahre in Glück und Reichtum leben, wenn er ihr danach seine Seele verschreibt. Smee lebt also wie die Made im Speck und vergisst dabei auch Bedürftige nicht, hilft unter anderem einem Bettlerpaar, das sich als die Heiligen Josef und Maria entpuppen, mit deren Hilfe er sich die drei Teufel, die ihn nach Ablauf der Zeit holen wollen, vom Leib schafft. Als alter Mann stirbt er schließlich, findet aber weder in die Hölle noch in den Himmel Einlass. Also eröffnet er kurzer Hand eine Taverne vor dem Himmelstor. Als seine Frau bei Petrus anklopft, ermöglicht der heilige Josef schließlich auch Smee den Zugang. Dem Teufel ist endgültig ein Schnippchen geschlagen.
Ein veritabler Schwank mit wurzeln im Volkstümlichen – also fast ein Märchen.

Märchenhaft bunt scheint auch die spektakuläre Kulisse, die Ersan Mondtag auf die Drehbühne der Antwerpener Opernhauses gestellt hat: Auf der einen Seite eine stilisierte Genter Altstadt, auf der anderen Seite ein mit Videoeinspielungen oder gespenstischem Licht von Rainer Casper angestrahltes Höllentor. Der Chor wird in diesem Aufbau gerne statisch platziert, was dem jungen Regisseur durch die Drehbühne die Möglichkeit gibt, wie in einem Märchenbuch zum nächsten farbenfrohen Bild umzublättern. Mondtag hat witzige Ideen, holt die Geschichte immer wieder in die Moderne; beispielsweise zeichnet er den heiligen Josef als emanzipierten Vater, der das hier farbige Jesuskind hätschelt, während Maria sich nicht kümmern muss. Die knallbunten Kostüme von Josa Marx sind höchst originell und passen hervorragend zum fantastischen Stoff, vor allem Astartes Ausstattung ist atemberaubend gelungen. Doch wir hätten es nicht mit einem der bekanntesten Theaterregisseure Deutschlands zu tun, würde er es bei schrillbunten Bildern belassen. Er sucht Gemeinsamkeiten zwischen der Belagerung der Flamen durch die Spanier im 16. Jahrhundert und Belgiens Rolle als Kolonialmacht und thematisiert die Befreiung des Kongo aus der Unterdrückung durch den Kolonialherren – eine Parallele, die sich einem nicht unmittelbar aufdrängt. Schon im zweiten Akt sind die Reichtümer, über die Smee nach seinem Deal mit der Hölle verfügt, unterwürfig von dem unterdrückten Volk herbei gebrachte Gaben. Immer wieder wird dabei ein Modell des Königlichen Palastes in Brüssel durchs Bild getragen, bis auch der letzte begreift: ja, der Wohlstand dieser Nation beruht nicht unwesentlich auf der Ausbeutung der Kolonien. Damit hätte es nach meinem Dafürhalten reichen können mit dem moralischen Zeigefinger; nach der Pause aber ufert Mondtags ohnehin reichlich an den Haaren herbei gezogene Regieansatz aus, minutenlang penetriert er nach Smees Tod den Zuschauer mit der eingespielten Rede von Patrice Lumumba anlässlich der Unabhängigkeit des Kongo aus dem Jahr 1960. Das raubt nur nicht der Musik und der Story den Fluss, sondern auch mir die Nerven, so dass ich Ihnen nun lieber von der viel erfreulicheren musikalischen Seite des Abends berichten will.

Die ist nämlich nahezu makellos. Die teils recht schroffe Komposition, die dem Thema gemäß allerdings immer wieder durch Trinklieder und Tänze durchbrochen wird, ist bei Alejo Pérez in den besten Händen. Er lässt beide Aspekte der Partitur zu ihrem Recht kommen und präsentiert ein farbenreich-wuchtiges Dirigat aus einem Guss. Wenn ich nach Kritik suchte, fände ich allenfalls an einigen Stellen eine Überlagerung der Sänger durch allzu massiven Orchesterklang – aber das ist wirklich Nörgeln auf höchstem Niveau. Und auch über die Sangeskunst der Solisten kann ich nur positives vermelden: Leigh Melrose verfügt über einen Prachtbariton und erweist sich als Tausendsassa, singt und spielt den anfangs glücklosen Schmied in allen Lebens- und Stimmungslagen überzeugend. Kai Rüütel als seine Frau ist wunderbar, verfügt nicht nur über einen kraftvoll-voluminösen Sopran, sondern auch über hinreißendes komödiantisches Talent. Das bringen auch die beiden Teufel Leon Košavić und Nabil Sauliman mit, deren Bühnenwirkung allerdings von der höchsterotischen Astarte von Vuvu Mpofu mit nur einem Wimpernschlag übertroffen wird. Die gebürtige Südafrikanerin zeigt zudem klare Höhe und betörenden Gesang. Nicht unerwähnt lassen will ich auch Daniel Arnaldos, seit der Spielzeit 2019/20 Mitglied der Jonge Opera von Opera Ballet Vlaanderen, dessen Flipke an eine Amish-Version von Conchita Wurst erinnert und der neben ansteckender Spielfreude einen geschmeidigen Tenor mitbringt, der Lust auf mehr macht.

Angesichts der erstaunlichen Verständlichkeit ist es kaum zu glauben, dass keiner aus der Sängerriege deutscher Muttersprachler ist. Lediglich Michael J Scott müht sich im ersten Akt hörbar mit dem deutschen Text ab, da müssen dann schon einmal die flämischen oder englischen Übertitel aushelfen. Dafür ist die Stimme des Engländers bezogen auf Klarheit und Ausdruck am gestrigen Abend unübertroffen. Der Chor unter der Leitung von Jan Schweiger hat, wie eingangs bereits vermerkt, viel zu stehen – und eine ebenso umfassende Partie zu bewältigen und macht seine Sache gut. So ist die musikalische Seite des Abends eine Rundumempfehlung, szenisch wäre vor allem im Schlussbild weniger Konstruiertes mehr gewesen – doch auch hier entschädigen die Einfälle in den ersten beiden Akten für vieles. Also: Auf nach Antwerpen zum Schmied von Gent – oder direkt an den Originalschauplatz nach Gent. Da läuft die Produktion ab dem 21. Februar im Schwesterhaus.

Ihr
Jochen Rüth

08.02.2020

Die Fotos stammen von Annemie Augustijns.