Vorstellung am 06.03.2022
Selbst am Tag nach dieser umwerfenden Aufführung von Rossinis frühem Buffa-Meisterwerk schwirrt einem noch der Kopf – ganz ähnlich wie es dem herausragenden Ensemble auf der Bühne des Opernhauses Zürich im Finale des ersten Aktes ging. Alles purzelt durcheinander, man bringt kaum mehr einen sinnvollen Satz zustande, es klopfen unsinnige Silben an die Hirnrinde, Tierlaute werden geäußert, man fühlt sich seltsam beschwingt und berauscht, wie unter Psychodrogen. Die Regisseure Moshe Leiser und Patrice Caurier inszenieren dieses unglaublich irre Finale dementsprechend. Die Situation ist an Absurdität kaum noch zu toppen und die beiden Regisseure ziehen inszenatorisch alle Strippen: Das psychedelische Licht und die wie Autoscooter über die Bühne gleitenden Fauteuils (auf denen die Protagonisten sitzen, stehen, liegen … ergeben eine genau auf die Musik abgestimmte, atemberaubende Choreografie. Schon die Ouvertüre war genial bebildert: Elvira und Mustafa im Ehebett, Szenen einer in die Jahre gekommenen Ehe, bei der der Funke erloschen ist. Sie will, er nicht. Sie wendet allerlei Verführungskünste an, vom Bauchtanz bis zum Blowjob, bei ihm macht sich nur die Prostata bemerkbar und er geht pinkeln. Das ist alles so punktgenau umgesetzt, dass es einem die Sprache verschlägt. Selbst die Dromedare auf dem Bild über dem Bett haben mehr Spass und Liebe, als Elvira. Aus Frust greift sie zur Pralinenschachtel, ruft ihre Freundin, Zulma, an und schildert ihr das Eheleid. Rebeca Olvera singt das mit ihrem hellen, lichten Sopran berührend schön, wunderbar den satten Mezzo der Zulma von Siena Licht Miller kontrastierend. Den für diese Oper vorgesehenen Männerchor hat der Kostümdesigner Agostino Cavalca in arabische Frauenkleider gesteckt, derer sie sich dann entledigen, um in Bauchtanz Outfits Mustafas Gefühllosigkeit zu beklagen. Das Inszenierungsteam (zu den erwähnten kommen noch der Bühnenbildner Christian Fenouillat, der Lichtdesigner Christophe Forey und der Videokünstler Étienne Guiol hinzu) haben sehr genau auf Musik UND Text geachtet, analysiert und beispielhaft umgesetzt. Kaum ein Klischee wurde ausgelassen: Von den Satellitenschüsseln an den Häuserfassaden über den Plastikmüll in den Straßen zu dem Sonnenbrand und den weissen Socken in Sandalen bei Taddeo. Lindoro mutiert zu einem kiffenden Späthippie, Mustafa ist ein Schieber von geklauten Heimelektronik Artikeln und fährt im zerbeulten Mercedes vor. Isabella schliesslich hat ihren ersten Auftritt im blumig bedruckten Sommerkleid hoch zu Dromedar. Der unglaublich witzig agierende Herrenchor der Oper Zürich macht sowohl in Jogginghosen und Sneakers (Araber) als auch als Spagetti mampfende Fußballmannschaft im italienischen Nationaldress eine hervorragende Figur. Die vier Hauptrollen sind geradezu ideal besetzt: Cecilia Bartoli als Isabella setzt ihre agile Stimme mit herausragender gestalterischer Kraft ein. Die Koloraturgirlanden tanzen wie im lauen Sommerwind, angenehm, schmeichelnd und dann wieder launisch; sie weiß sehr wohl, dass sie keine Riesenstimme besitzt, das Volumen durchaus Grenzen hat. Das Volumen braucht sie auch nicht, denn so wie sie die Partie musikalisch unaffektiert und ohne protzende Manierismen anlegt, offenbart sie eine Gesangskultur ohnegleichen. Phänomenal sind ihre tiefen Töne, ihre rasanten, präzisen Läufe und ihre überragende darstellerische Präsenz. Da stimmt einfach jede mimische Geste, jeder Wimpernschlag, jedes Augenrollen. Darin steht ihr der Mustafa von Ildar Abdrazakov in nichts nach. Es macht einfach nur Spaß, ihm zuzusehen und zuzuhören. Das größte Plus dieser Produktion liegt eben gerade darin, dass die Figuren trotz der Gratwanderung mit den Klischees nicht der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Das gilt insbesondere auch für den Taddeo, der von Nicola Alaimo mit wunderbar wendigem Bariton gesungen wird, sowohl die Shorts, die weissen Socken und die Sandalen, als auch den rosa XXL Joggingdress und die Superman Unterhose mit Würde trägt. Abdrazakov und Alaimo sind beide absolute Weltklasse an diesem Abend. Das gilt auch für den Tenor: Lawrence Brownlee singt den Lindoro mit einer Bravour und einer Geläufigkeit, die zum Niederknien schön und richtig "geil" sind. Die Beifallsstürme, die er erntet, sind mehr als verdient! Ilya Altukhov als Haly schliesslich darf in seiner fabelhaft gestalteten Arie die amourösen Künste der italienischen Frauen beschwören – dazu wird eine filmische Sequenz aus Fellinis LA DOLCE VITA eingeblendet, in der Anita Ekberg lasziv im Trevi Brunnen badet und Mastroianni den Kopf verdreht. Herrlich.
Dem Abend wird durch das auf Originalinstrumenten spielende Orchestra La Scintilla die Krone aufgesetzt. Unter Gianluca Capuanos vorwärtsdrängender, federnder Leitung entfaltet Rossinis faszinierende Räderwerk-Mechanik ihren unentrinnbaren Sog und büßt trotzdem nichts an Farbigkeit ein. Es lohnt sich, Enrico Maria Cacciari am Hammerklavier genau zuzuhören: Was da abgeht ist beinahe eine Oper in der Oper.
Fazit: Besser geht kaum. Ein Riesenspaß, perfektes Timing und herausragende Künstler.
Bilder (c) Monika Rittershaus
Kaspar Sannemann 8.3.22