Markgräfliches Opernhaus, 8.9.2021
„Am Bayreuther Hofe wurde er sehr geschätzt, 1752 ernannte ihn der Markgraf sogar zum Hofrat“. Gemeint ist Johann Pfeiffer, zu lesen ist’s im Programmbuch des Konzerts, mit dem das polnische Quintett-Ensemble {oh!} Orkiestra Historyczna die Besucher erfreute, die den Weg in das Opernhaus fanden, in dem einst mindestens eine seiner verlorenen Opern / Singspiele aufgeführt wurden. Der Markgraf hat ihn geschätzt? Die Markgräfin Wilhelmine auch, aber nachdem sie dessen „tout nouveau gout“ gelobt hatte und er in ihrer frühen Bayreuther Zeit, also ab den 1730er Jahren, als ihr Kompositionslehrer diente, kühlte sich das Verhältnis nach einigen Jahren ab: 1751 schrieb sie Bruder Friedrich, dass Pfeiffer nicht nur einen „barocken“, also überholten Geschmack habe, sondern noch dazu nicht in der Lage sei, gute Vokalmusik zu schreiben (man kann das alles in Sabine Henze-Döhrings Standardwerk über „Markgräfin Wilhelmine und die Bayreuther Hofmusik“ nachlesen). Hört man jedoch Konzert und eine Sonate, die der Bayreuther Komponist für die Viola da Gamba schrieb, lösen sich alle negativen Urteile, die man bisher aufgrund von nur sehr wenigen Einspielungen pflegte, auf. Zumindest in Sachen Instrumentalmusik hatte der Mann was zu sagen – wofür es freilich einer Interpretation bedarf, die den Namen verdient.
Martina Pastuzka (1. Violine), Adam Pastuszka (2. Violine), Krzysztof Firlus (Viola da Gamba), Anna Firlus (Cembalo) und Jan Čižmář (Theorbe und Barockgitarre) zeigen mit Verve und Grazie, dass es „die“ Barockmusik nie gab und die Werke, die spätestens ab der Mitte des 18. Jahrhunderts, dh: ab der Erbauungszeit des Markgräflichen Opernhauses, entstanden, nur schwerlich einem orthodoxen barock-Begriff untergeordnet werden können. Dass sich ein Konzert von Vivaldi so stark von der Musik Händels unterscheidet wie eine Suite Zelenkas von Bachs Ouvertüren wie das südamerikanische Tropen- und Pflanzenbarock vom norddeutschen Stil und das niederbayerische Bauernbarock fundamental vom Würzburger Imperialstil: man weiß es inzwischen, aber es braucht derartige Konzerte, um auf den Reichtum der Stile selbst bei den sog. „Kleinmeistern“ hinzuweisen. Eine Entdeckung sind an diesem Abend nicht allein die Triosonaten des bayerischen Kurfürsten Maximilian Joseph III von Bayern, die, so David Treffinger, der Dramaturg des Festivals, ein Spiegel seines bürgerlichen Bewusstseins sind. Schlicht klingen sie deshalb noch lange nicht, oder anders: Ja, was man so „schlicht“ heißt, wenn es kultiviert in das Musikzimmer der Residenz klingt. Das mit einem Furioso beginnende Konzert, mit dem zugleich die 6. Sonate – sie steht in der Glückstonart G-Dur – anhebt, eröffnet einen kurzen und guten Satz, nach dem (auch) die Cembalistin einfach nur lächeln kann. Sehr empfindsam, also modern im Stil der Epochen, ist die Melodie des Adagio über den ruhigen Grundbassvierteln, und ländlich, eine künstliche Schäferwelt vorstellend, tönt schließlich das Finale (dass es sich laut Programmheft beim Schlusssatz der 10. Sonate in C-Dur um ein Menuett handelt, ist ein Gerücht), aber hier wie dort regiert der „vermischte Geschmack“, gewirkt aus deutschen und italienischen Elementen: die Moderne des sog. Spätbarock. Schlicht zauberhaft aber ist das Adagio der C-Dur-Sonate, sordinierte Violinen wiegen sich im piano-Sechsachteltakt, nachdem uns die Wiener Terzen des Allegro davon überzeugt haben, dass „Einfachheit“ etwas sehr Schönes sein kann (wir bitten um eine Ersteinspielung).
{oh!} Orkiestra Historyczna wirft sich ganz hinein in diese Musik, der beherzte Strich, den die Primgeigerin und Leiterin des Ensembles in Michele Mascittis Sonaten (die er dem bayerischen Kurfürsten des Abends widmete) mit ihrem Barockbogen in Anwendung bringt, ist so typisch wie das Largo-Zwiegespräch mit der Theorbe und der Rausschmeißer, mit dem auch offizielle Konzertprogramm endet. Es kann keine Rede davon sein, dass Walter Kolneder 1990 anlässlich einer Rezension über die Edition der Violinsonaten Recht hatte: eine (und nicht zwei) Sammlungen von Sonaten hätten genügt – das Vergnügen ist an diesem Abend auch auf Seite der Hörer, die sich durch das kurze, schlichte, synkopierte, crescendierende und sanft abschwellende und absteigende Thema des Largo et affetuoso der e-Moll-Sonate op. 4/11 in entferntere Regionen forttragen lassen. Schließlich Pfeiffer: das Pizzicato-Unisono der Zupfinstrumente im Sechsachteltakt des ersten Satzes des A-Dur-Gambenkonzerts, die flott konzertierende Viola da Gamba im ersten Allegro (ebenso das Cembalo concertato der D-Dur-Sonate), die sensible Vielstimmigkeit des Largo (auch das Largo der Sonate, auch wenn das Thema vielleicht ein wenig zu oft wiederholt wird) das Triller-Allegro: all das markiert eine Ehrenrettung für den fast vergessenen Bayreuther Hofkapellmeister.
Und schon dafür hat sich der Besuch des Kammerkonzerts im Opernhaus gelohnt.
Frank Piontek, 9.9.2021
Foto: ©Andreas Harbach