Premiere am 07.06.2014
Statt Märchen auf „südöstlicher Insel“ realitätsnah: Erster Weltkrieg im verfallenden Habsburger-Reich – musikalisch traumhaft!
Es war die vierte Strauss-Oper in Folge, für die Hugo von Hofmannsthal das Libretto schrieb. Nach dem Rosenkavalier und der nachgebesserten Ariadne wollte sich aber Erfolg der früheren Werke der beiden Autoren nicht recht einstellen, worauf es zu gegenseitigem Murren kam. Strauss meinte, Stoff und Text seien zu schwer verständlich; richtig, meinte von Hofmannsthal, zu schwer verständlich, weil die gesungenen Texte nicht durchkämen. Denn damals gab es keine Übertitelungsanlagen. Hofmannsthal veröffentlichte zur Selbstrechtfertigung sofort seine gleichnamige Erzählung. Strauss schrieb sich das Libretto für seine nächste Oper („Intermezzo“) selber mit besonderer Beachtung Textverständlichkeit – als „Lückenbüßer bis zum nächsten Hofmannsthal.“ Langfristig gram waren sich die beiden kongenialen Autoren indes nicht. Es handelte sich postnatale Reibungen bei dieser letzten großen romantischen Feenoper, die auch heute noch weithin als symbolisch verklausuliert, sperrig und schwer spielbar gilt.
Kaiser; Onur Abaci (Falke)
Aber es gab auch etliche vorgeburtliche Wehen, von denen einige auf den Ausbruch des ersten Weltkriegs zurückzuführen waren. So konnte der eingezogene von Hofmannsthal den dritten Akt des Librettos nicht zügig fertigstellen, und schließlich sah sich Strauss nach Fertigstellung der Oper veranlasst, die Uraufführung des Werks bis nach dem Schlachten zu verschieben, das so gar nicht zu den hehren Themen der Oper passt. Im Herbst 1919 kam die Oper in kurzem zeitlichem Abstand in Wien und Dresden heraus. Die Entstehungszeit des Werks und die 100. Jährung des Kriegsausbruchs mögen den Regisseur Dominik Neuner mit veranlasst haben, das Geschehen der Fr. o. Sch. in die Donaumonarchie und in die Zeit des Ersten Weltkriegs zu verlegen, statt es im Kaiserreich einer fiktiven „Südöstlichen Insel“ zu belassen. Mit einiger Sicherheit ist anzunehmen, dass diese Verortung und Verzeitung den beiden Autoren nicht gefallen hätte. Aber es ist erstaunlich wie reibungslos das Konzept aufgeht, bei dem Neuner noch sehr eng am Libretto und dessen Regieanweisungen entlang inszeniert und manchen Textteilen eine veränderte und klarere Bedeutung zu geben versteht, statt sich am Originallibretto zu reiben.
Die Amme (über die Menschen):
Uns riecht ihre Reinheit
nach rostigem Eisen
und gestocktem Blut
und nach alten Leichen!
Dazu hat Neuner auch selbst ein geeignetes Bühnenbild entworfen, das aus einem breit über die Bühne reichenden Gemäuer mit drei Ebenen besteht. Es könnte ein vom Krieg beschädigter Industriebau oder auch verfallende Herrschaftsarchitektur sein. Susanne Hubrich hat die Akteure überwiegend in schlichte Kostüme oder schmuddelige Uniformen gesteckt. Der Einäugige, der Einarmige und der Bucklige sind Kriegsinvaliden. die irgendwie ihr Leben fristen. Das von Barak organisierte Festmahl besteht aus einer bescheidenen Menge zusammenorganisierter Lebensmittel. Der Kaiser und sein Falke fallen aus dem Rahmen, aber nicht ganz: der Falke kriecht in historischer Uniform mit einer zerfetzten österreichischen Kriegsfahne über die Bühnenstrukturen, wenn er sein „der Kaiser muss versteinen“ singt; letzterer ist in einen noblen Renaissance-Mantel gekleidet. Hier wird sichtbar, wie weit es im Habsburger-Reich von Carolus Quintus bis Kaiser Franz-Joseph gekommen ist. Die Bevölkerung vegetiert im Dreck des Kriegs. Vor dem Gemäuer liegt ein toter Soldat mit dem Kopf neben der Kriegsadler-Fahne und seinem Stahlhelm in einem Wassergraben, der dem Färber auch zum Spülen seiner Ware dienen könnte. Geisterbote, Amme, Kaiser und Kaiserin treten auf den oberen Ebenen auf, die normalen grauen Menschen müssen unten um ihre Existenz kämpfen. Das versöhnliche Ende mit dem klassischen Jubelgesang (es darf sogar die verjagte Amme hier zumindest szenisch mittun) findet vor dem Parterre im „Abgrund der Menschenwelt“ statt; Gleichheit lässt sich eben immer nur auf unterstem Niveau verwirklichen…
hinten: Dalia Schaechter (Amme); und Marion Amann (Kaiserin) auf dem Abstieg zu: János Ocsovai (Buckliger), Markus Jaursch (Einäugiger), Hiroshi Matsui (Einarmiger)
Obwohl die Inszenierung mit der Beziehungssetzung zum Krieg eine weitere Ebene von Symbolik schafft, rückt der symbolhafte Gesamtgehalt des Stoffs, „für den Hofmannsthal ausgiebig im Motivfundus der Weltliteratur plünderte“ (die Dramaturgin Caroline Scheidegger im Programmheft), durch die wahrhaftige, wenig märchenhafte, und leider real existierende Welt, die auf der Bühne gezeigt wird, in den Hintergrund. Der tote im Wasser liegende Soldat entpuppt sich szenisch als der verführerische Jüngling (von irgendwo her gesungen), Märchenfiguren werden nur annäherungsweise gezeigt: die Amme als böse Fee mit Zylinder und von Fuchspelzen umbaumelt, die Kaiserin hell gekleidet als gute Fee. Diesem Dualismus ist das niedere Paar mit seinen Begleitfiguren ausgesetzt. Das gute Ende wird durch die richtigen Entscheidungen der Kaiserin und der Färberin herbeigeführt. Aber der Ausblick bleibt trüb. Weiterhin laufen Figuren mit Gasmasken über die Bühne, die von grauen Flüchtlingsgestalten bevölkert ist, von denen eine gar mit einem alten Kinderwagen Kinderleichen eingesammelt hat. Sollte die wiedergewonnene Liebe und Fortpflanzungsfähigkeit (beide Frauen haben ja am Ende einen eigenen Schatten) nun nur dazu dienen, dass die (noch) ungeborenen Kinder wieder Kanonenfutter werden? Aber wir wollen lieber an den Jubelgesang glauben: „Nun will ich jubeln, wie keiner gejubelt, nun will ich schaffen, wie keiner geschafft“ (Barak). Krieg und Not finden nur noch auf den südöstlichen Inseln statt, nicht mehr im schönen Mitteleuropa. Neuner kann in seiner Inszenierung die Protagonisten durchaus im Sinne der „Erfinder“ charakterisieren und legt eine stringente, überzeugende Personenführung vor.
Olafur Sigurdarson (Barak), Hiroshi Matsui (Einarmiger), Markus Jaursch (Einäugiger), János Ocsovai (Buckliger), Marion Amman (Kaiserin), Dalia Schaechter Amme), Sabine Hogrefe (Färberin)
Die „Frau ohne Schatten“ hat sich auf den Opernbühnen erst allmählich durchgesetzt und wegen der hohen Ansprüche an Solisten, Orchester und Bühne bleibt sie den kleinen Bühnen unzugänglich. Fünf große und schwierige Hauptrollen sind zu besetzen, ein großes Strauss-Orchester muss zur Verfügung stehen und auch untergebracht werden, die szenische Umsetzung der verschiedenen Schichten des Stücks bleibt eine heikle Aufgabe zwischen kitschendem Märchen und unverständlicher Abstraktion oder tief „psychologisierender“ Dekonstruktion. Christoph Loy hat sich dem vor zwei Jahren in Salzburg durch Inszenierungsverweigerung entzogen; in Neuners herb-realistischer Bebilderung wird die Gratwanderung bestanden. Die zunehmende Beliebtheit des Stücks nun auch im Ausland ist bestimmt nicht der beziehungsreichen Bedeutung des Schattens, dem Thema Ehe und Kinderkriegen oder den allgemeineren Themen von Prüfung und Erlösung à la Zauberflöte geschuldet, sondern überwiegend der grandiosen Musik, die sich im Spannungsfeld zwischen Romantik und Neutönerei bewegt.
Sabine Hogrefe (Färberin), Dalia Schaechter (Amme)
Auch hier hat das mittelgroße Haus in Saarbrücken „bestanden“ und sogar mit Prädikat. Strauss spricht bei seinen Opern über die „sorgfältigster Ausarbeitung der … peinlich genau bezeichneten Dynamik“, die „dem Orchester diejenige Durchsichtigkeit verleiht, die ich bei der Komposition vorausgesetzt … und auch erzielt gesehen habe“. Gerade das ist auch dem Saarländischen Staatsorchester unter Toshiyuki Kamioka bestens gelungen. Fein ziselierte, kammermusikalische Passagen mit ihren betörenden Färbungen gelangen ebenso wie die in die Musik übertragenen Verwerfungen und Zuspitzungen der Dissonanzen-Kultur im zweiten Akt. Zarte Soli der Celli und Geigen überzeugten ebenso wie der feierliche Ausdruck der Wagner-Tuben und Posaunen, auch wenn bei den Piano-Einsätzen der Hörner und Trompeten nicht alles gelang. Kamioka erzeugte Spannung nicht durch zu schnelle Tempi, sondern im Gegenteil durch lang gespannte Bögen bei meist gemessenem Tempo. Im dicht bevölkerten Graben hatten nicht alle Musiker Platz gefunden; das Schlagwerk in die Glasharmonika wurden aus einem Nebenraum zugespielt, was die musikalische Leitung nicht einfacher machte. Auf gut dreieinhalb Stunden reine Spielzeit kam die Oper ohne die üblichen Schnitte im dritten Aufzug. Kamioka, der sein Amt als GMD in Saarbrücken zugunsten des Amts als GMD und Opernintendant in Wuppertal tauscht, wurde für sein letztes Dirigat in Saarbrücken gebührlich gefeiert. Vor Begeisterung wurde sogar in die Aktschlüsse hinein geklatscht (versehentlich nach dem ersten, mit Absicht nach dem dritten Aufzug). Neben dem Orchester hatten der Opern- und der Kinderchor des Saarländischen Staatstheaters (Einstudierung: Jaume Miranda) weniger Möglichkeit sich zu profilieren.
Dalia Schaechter (Amme), Marion Amman (Kaiserin)
Auch beim Solistenensemble konnte das Staatstheater punkten. Für den erkrankten Marco Jentzsch konnte in der Rolle des Kaisers Torsten Kerl einspringen, der auf dem Wega nach Bayreuth zu den Tannhäuser-Proben kurzfristig aus irgendeinem Flugzeug geholt werden konnte. Es ist die einzige Rolle in der Oper, bei welcher Strauss mit dem Orchester nicht auf die Stimmbänder des Solisten Rücksicht genommen hatte (bei „Tenoristen“ fiel Strauss das nicht ein); Torsten Kerl hatte das auch nicht nötig; sein Heldentenor verfügt über eine überaus durchschlagskräftige baritonale Mittellage, auf welcher er seine klaren, leuchtenden und kraftvollen Höhen entwickelt. Die drei weiblichen Hauptrollen waren ebenfalls gut besetzt. Dabei hinterließ Dalia Schaechters dramatischer Mezzo in der Rolle der Amme mit seiner betörenden samtig-weichen dunklen Mittellage und schöner Strahlkraft in der Höhe den komplettesten Eindruck. Die Kaiserin von Marion Ammann zeichnete sich durch überirdisch schöne klare Linien in der Höhe ab, eine Paradebeispiel für einen jugendlich-dramatischen Sopran. Sabine Hogrefe als Frau des Färbers überzeugte hingegen am meisten mit ihrem tieferen Register, in welchem sie warm und innig klang, wohingegen die Höhen etwas eng wirkten. Eine Glanzpartie sang ein weiteres Mal Olafur Sigurdarson als Färber Barak. Fast als Ironie wirkt bei der untersetzten Statur des Bassbaritons seine Charakterisierung als „Breitspuriger“. (AMME zur Färberin: „Hat es dich blutige Tränen gekostet, dass du dem Breitspurigen keine Kinder geboren hast?“) Nun, Sigurdarson ist in der Tat kein Schmalspur-Bariton, sondern wusste auch weit über das Saarland hinaus schon in einer beachtlichen Vielzahl von Rollen in etlichen Sprachen zu überzeugen. Den Barak sang er an diesem Abend in Saarbrücken mit körperlich tief sitzender Kraft, einwandfreier Diktion und dem leichten Schuss Melancholie, der dieser Rolle zu Eigen ist. Im letzten Aufzug musste er allerdings der Riesenrolle hörbar Tribut zollen.
In der Rolle des Falken war mit Onur Abaci eine helle männliche Sopranstimme gesetzt. Da der Falke sich auch zum Gesang der „Stimme von oben“ (von geschmeidiger Leuchtkraft: Judith Braun) scheinbar qualvoll auf der Bühne bewegte, gelangte man zu dem Eindruck, dass szenisch diese beiden Rollen vereinigt werden sollten, was einer gewissen Logik nicht entbehrt. Mit kraftvoll hellem Bass gestaltete James Bobby seine Auftritte als Geisterbote. Die drei „Invaliden“ waren stimmlich kompetent mit Markus Jaursch (Einäugiger), das „Urgestein“ des Saarländischen Staatstheaters Hiroshi Matsui (grundsolide wie immer als Einarmiger) und Janós Ocsovai (Buckliger) besetzt.
Das Haus konnte für die Premiere dieser immer wieder viel beachteten Oper keinen besonders großen Publikumszuspruch verbuchen. Das sollte sich aber bei den Folgevorstellungen am 14.06., 19.06., 18.07. und 26.07. noch ändern. Der Applaus der Zuschauer für diesen Opernabend hoher Qualität fiel überaus stürmisch aus, war sehr lang anhaltend und galt ausnahmslos allen Mitwirkenden.
Manfred Langer, 09.06.2014
Fotos: Björn Hickmann