besuchte Vorstellung: 30. Oktober 2013 (Premiere: 22. September 2013)
Da die Bühnentechnik im großen Haus des Saarländischen Staatstheaters erneuert wird, spielt das Ensemble noch bis Mitte November im Theaterzelt vor dem großen Haus. Als Oper steht Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ auf dem Spielplan und Regisseur Immo Karaman nutzt das besondere Ambiente des Raumes, um das Stück an Vaudeville und Varieté anzunähern.
Bereits zum eröffnenden Chor der Weingeister lässt Choreograph Fabian Posca diese im Varietéstill über die Vorbühne hüpfen, was für eine Opernaufführung anfangs etwas unbeholfen und unfreiwillig komisch wirkt, sich dann aber im Laufe des Abends logisch in das Konzept fügt. Jedoch muss man sich fragen, was hier gut sechs Wochen nach Premiere noch von Originalregie übrig ist, denn auf dem Programmzettel wird der Abend als Inszenierung und Choreografie nach Immo Karaman und nach Fabian Posca angekündigt.
Judith Braun als Muse ist ein Varieté-Mädchen und führt durch das Stück, wobei das Regieteam seine ganz eigene und fantasievolle Sicht auf „Hoffmanns Erzählungen“ präsentiert. Da die Aufführungen aus Lärmschutzgründen spätestens um 22 Uhr beendet sein muss, sind Prolog und Epilog sehr stark gekürzt. Am Beginn gibt es den Chor der Weingeister, eine kurze Einführung der Muse und dann geht auch schon der Vorhang auf und wir befinden uns in der heruntergekommenen Wohnküche des Dichters Hoffmann.
Der Autor döst gerade an seiner Schreibmaschine, während daneben seine von ihm ermordete Frau sitzt, die schnell im Kühlschrank entsorgt wird. Doch Hoffmann scheint die Beziehung zu der Getöteten aufarbeiten und literarisch verarbeiten zu müssen und erinnert sich schreibend an die Tote. Karaman und Posca teilen Olympia und Antonia in eine spielende und eine singende Frau auf, was den Eindruck, dass Hoffmann sich seine Frau nur erinnert oder diese herbeifantasiert, verstärkt.
Auf der Bühne verkörpert die spielfreudige und quirlige Jennifer Mai Hoffmanns Frau, während Yitian Luan immer aus einer Öffnung in der Vorderbühne auftaucht, wenn es etwas zu singen gibt. Ihr Sopran ist nicht allzu groß, aber leicht und beweglich. In den Olympia-Koloraturen springt ihre Stimme gut an und die Antonia singt sie mit weichen Lyrismen. Mickael Spadaccini singt den Hoffmann zuverlässig, wirkt aber auch etwas blass. Darstellerisch kann er in dieser verrückt- fantasievollen Inszenierung stärker überzeugen als sängerisch.
Was sich Karaman und Posca hier alles haben einfallen lassen, ist kaum zu beschreiben: Im Antonia-Akt verwandelt sich der besorgte Vater Crespel plötzlich in die Muse, welche die Partie singt, die eigentlich für Antonias Mutter vorgesehen ist. Hoffmanns Frau darf sich als schwebende Jungfrau vom Tisch erheben und im Giulietta-Akt, in dem Yitian Luan ihre Rolle auch spielt, erleben wir die Hauptfiguren verdreifacht. Die Ebenen des Varietés, die Geschichte um den mordenden Literaten Hoffmann sowie viele surreale Elemente durchmischen sich hier. Der Zuschauer bekommt eine Menge geboten, ist aber gefordert, diese Aufführung zu enträtseln.
Führt die Muse hier nur durch das Stück oder kämpft sie um Hoffmann? Sind Hoffmanns Erzählungen eine Aufarbeitung der Realität? Welche Rolle spielen die Bösewichter, die von James Bobby mit markantem Bariton und sehr einschmeichelnd gesungen werden. Ist diese Figur nur eine Fantasie Hoffmanns, ein Kommissar, der ihm auf der Spur ist oder ein Literaturagent, der ihn bei seinem mörderischen Treiben unterstützt? Trotz der vielen Nüsse, die es zu knacken gilt, macht die Aufführung eine Menge Spaß.
Dafür sorgt auch Gast-Dirigent Gregor Bühl am Pult des Saarländischen Staatsorchesters. Ihm gelingt das Kunststück zwischen dem Orchester, das in großer Besetzung direkt vor der Bühne sitzt, und den Sängern, die nicht immer über die größten Stimmen verfügen, eine gute Balance herzustellen. Wo nötig setzt er auf Dramatik und Emotionen der Musik, aber ebenso wie die Regie weiß er um die heiteren und tänzerischen Seiten von Offenbachs Partitur.
Rudolf Hermes
Bilder: Thomas M. Jauk