WA am 08.10.14, (Premiere am 05.07.2014)
Extremkürzung vermag trotz Regie-Qualität den Opernfreund nicht zu überzeugen
Entgegen einer Feststellung im Programmheft ist die Finta Giardiniera (auf Deutsch fälschlich: die Gärtnerin aus Liebe; eigentlich aber etwa: die verstellte Gärtnerin) keine selten gespielte Oper; vor allem seit dem Mozart-Jubiläumsjahr 2006 hat man häufiger deren verrückten Charme mit neuen Inszenierungen honoriert. Operabase listet von 2012 bis 2015 (unvollständig) allein 16 Neuproduktionen auf, dazu Wiederaufnahmen und Koproduktionen. In Originalfassung gespielt würde die Finta fast vier Stunden dauern, mit der Handlung einer so verworrenen semiseria, bei der man sich am Ende wohl nicht mehr an den Anfang erinnern würde. Von dem Dutzend Ton/Bildträger-Aufnahmen und Finta-Opernbesuchen Ihres Kritikers rangiert von der Länge die Zürcher Produktion von 2006 (Regie: Tobias Moretti) mit 190 Minuten zeitlich am obersten und die Arbeit von Lydia Steier am Theater St. Gallen mit 120 Minuten reine Spielzeit am untersten Ende. Dabei ist die Länge der Moretti-Arbeit ausnahmsweise nicht einem typisch langsamen Dirigat Harnoncourts geschuldet, denn es wird zügig und inspiriert musiziert, sondern der Tatsache, dass der Dirigent die wenigsten Kürzungen zugelassen und viele, teils ermüdende secco-Rezitative muszieren ließ. Die kann erfahrungsgemäß ohne große Probleme einkürzen. Lydiac Steiers Arbeit erschien dagegen schon sehr gedrängt und in der musikalischen Ausbeute grenzwertig.
Algirdas Drevinskas (Contino Belfiore); Elizabeth Wiles (Marchesa Violante Onesti)
Die Gruppe Ulrich Cornelius Maier (musik. Ltg.), Tom Ryser (Regie) und Brigitte Heusinger (Dramaturgie) legt in Saarbrücken gar eine Fassung in 90 Minuten vor. Da sind die Rezitative fast vollständig gestrichen, kurze deutsche Dialoge eingeführt, und die Oper endet nach einer Auswahl von Arien und Ensembles ganz abrupt. Der Handlungsstrang mit den sieben Protagonisten ist auf ein Minimum eingedampft. Wer Mozarts Finta Giardiniera noch nicht kennt, erlebt in Saarbrücken einen unterhaltsamen Abend; aber er kennt die Oper hinterher immer noch nicht. Wer die Finta aber kennt, wird, wenn er das Haus verlässt, viel nicht gehörter Musik, aber auch ganz entscheidenden Szenen nachtrauern, die mit der traumhaft einfachen und schönen Musik des jungen Komponisten auch etwas interessanten Quertrieb in der Handlung belassen hätten. Ein weiteres Mal Fernsehformat statt Oper am Saarländischen Staatstheater! Geht es um Zeitgewinn für das Publikum? Dann hier noch ein Tipp an das Leitungsteam: streichen Sie doch auch die 30 Minuten Pause; denn die ist genauso überflüssig wie ein secco-Rezitativ. Dann käme man noch früher nach Hause. Denn der kleine Umbau hätte beim Stil dieser Inszenierung in wenigen Minuten vom Bühnenpersonal auf offener Bühne bewältigt werden können. „Unsere schnelllebige Zeit ist von Film und Fernsehen geprägt und verlangt ein anderes Tempo“ schreibt Ulrich Cornelius Maier im Programmheft. Eben! Warum dann die Pause? Aber: gehen wir etwa in eine Oper des 18. Jhdts., weil wir uns von der neuen Zeit getrieben fühlen? Das Ganze hinterlässt einen sehr zwiespältigen Eindruck.
Ulrich Cornelius Maier, Herdís Anna Jónasdóttir (Serpetta)
Wenn man es nicht anders kennt oder sich mit diesem Zuschnitt abfindet, dann kann man allerdings eine durchaus originelle und respektable Regiearbeit erleben, bei der allerdings Ulrich Cornelius Maier auch musikalisch einige recht gravierende Änderungen vorgenommen hat, die das Stück stilistisch deutlich von einer musikalischen Komödie des settecento unterscheiden, während der Inszenierungsstil gerade auf dieser Zeit aufsetzt. – Die opera buffa hatte sich zur 1775 (Jahr der UA) schon durchgesetzt. Haydn schrieb zur gleichen Zeit in Esterháza eine ganze Reihe von musikalischen Komödien. (Die werden wirklich nur noch ganz selten aufgeführt!).
Noch vor der Einführungsmusik wird hinter einem Vorhang im Schattenspiel des Gegenlichts die Vorgeschichte gezeigt. Zwei verschiedengeschlechtliche Personen lieben sich eigentlich, wollen gar heiraten, geraten aber in Streit, einer sticht auf die andere ein. Die verletzte Violante fällt durch den Vorhang auf die Vorderbühne; das „Gräflein“ (Contino Belfiore) ergreift die Flucht. Der Kinder- und Jugendchor (alle hübsch in weißen Rüschenkleidern) ist traumatisiert; man versucht mit allen erdenklichen ungeeigneten Mitteln zu helfen. Der Vorhang wird zur Seite gezogen, die Bühne bevölkert sich weiter. Man fühlt sich genau in den Park von Esterháza versetzt, wo in einem Park mit kleinen Bäumen und alten Gartenbänken vor einer großen halbrunden laubenartigen und begehbaren Holzkonstruktion wie in einem Heckentheater eine Oper aufgeführt wird. Zum Einstudieren wird die Musik der sinfonia leise aus einem Grammophon zugespielt; der Chor verstärkte sie mit Lalala und Vokalisen, während die Musiker nacheinander auf der Bühne in zwei Gruppen Platz nehmen. In der Mitte bleibt ein Gang nach vorne frei, vorne eine nur kleine Spielfläche. „Wir spielen eine Oper“ heißt das Thema. Die Personen werden teilweise wie in der klassischen Komödie vorgestellt. Sie sind in Rokoko-Gewändern verkleidet (Contino Belfiore) oder in hübsche zeitlose oder auch ganz moderne Kostüme gesteckt. (Die gesamte Ausstattung hat Stefan Rieckhoff beigesteuert.) Die Regie entwickelt ein recht munteres Spiel mit vielen gelungenen Einfällen auf dem wenigen freien Platz der Bühne, was hier und da aber zwangsläufig zu Rampensingen führt; insbesondere auch bei den Ensembles, die so typisch für die Buffen sind, sind die Protagonisten an der Rampe aufgereiht.
Ulrich Cornelius Maier, Elizabeth Wiles (Sandrina/Violante), Saarländisches Staatsorchester
Vor der Verwandlung in zweiten Akt liegt die Pause; die Musiker hatten schon ihre Plätze verlassen und spielten die letzten Takt ganz von hinten. Dann begann ein echter Bühnenzauber. Die Drehbühne zerteilte die große Laube, zeigte sie von hinten mit Aufgang, die Seitenelemente fuhren nach vorne. Die Beleuchtung schaffte schaurig schöne Effekte mit Bäumen; denn befand sich Violante verlassen im Wald. Das Orchester, gruppiert die Violinen und Violen links, die tiefen Streicher und Bläser rechts, hatte wieder seinen Platz auf der Bühne eingenommen. Die Regie hatte zum Kinderchor noch gleich gekleidet das Kind Sandrina und das Kind Belfiore gesellt; deren Rollen waren an sich unbeachtlich. Aber sie schoben ihre jeweils großen Pendants zwecks schnellerer Versöhnung aufeinander zu (die retardierende und verwirrende Verwechslungsszene war als solche gestrichen), was zum schnellen abrupten Ende der Vorstellung beitrug: anders als im Original jubelten nicht nur die sieben Darsteller bei der Mehrfachhochzeit, sondern die Kinder sangen das auch im Chor.
Elizabeth Wiles (Sandrina Violante) mit Anna Ocsovai (Kind Sandrina); Kinderchor des SST
Knapp dreißig Musiker des Saarländischen Staatsorchesters bildeten die Kapelle. Der Dirigent Ulrich Cornelius Maier war sich natürlich der Tatsache bewusst, dass das auf der Bühne platzierte Orchester stärker in den Saal schallte als aus dem Graben, und nahm es durchweg ziemlich zurück. Aber er nahm es zu weit zurück. Es fehlte an fuoco, Inspiration und Dynamik. Da hätte er sich ruhig vorher einmal Harnoncourt mit La Scintilla anhören können, wo Emotion und Energie der frühen Mozart-Musik in ganz anderer Weise freigesetzt werden, und seinem sauber ohne Fehl und Tadel aufspielenden Orchester mehr Glanz verleihen können. Parodistisch wurden Eigen- und Fremdzitate mit hohem Bekanntheitsgrad frei in die Partitur gemischt. Mauro Barbierato und Hans-Joachim Hofmann hatten den Kinder- und Mädchenchor des Staatstheaters genau vorbereitet. Er wirkte auch stumm als Bewegungskörper, der anregend durch die Szene schwappte und wuselte. Besonders beziehungsreich stellen sie mit großen Zweigen einen sich nach vorne bewegenden Wald dar. (Plötzlich ist man in Schottland.)
Stefan Röttig (Nardo), Herdís Anna Jónasdóttir (Serpetta), Elizabeth Wiles (Marchesa Violante),Rupprecht Braun hinten: Podestà Don Anchise), Algirdas Drevinskas (Contino Belfiore), Tereza Andrasi (Arminda), Judith Braun (Don Ramiro); Kinderchor des SST
Alle Sänger waren aus dem Saarbrücker Ensemble besetzt. Dadurch, dass sie meistens dort sangen, wo normalerweise der Orchestergraben ist, waren Sie stimmlich und darstellerisch sehr präsent nahe beim Publikum. Dazu kam die sängerfreundliche Personenführung, so dass insgesamt ein sehr positiver Eindruck des Solistenensembles entstand. Wenn allerdings (erst Ramiro, dann Sandrina) ganz hinten und oben auf der Holzwand standen, hätten sie ihren Stimmausdruck der stark vergrößerten Distanz zum Theatersaal anpassen müssen. Die Fassung war von den Ensembles mit großem Musikreichtum beherrscht; es waren nicht viele Arien übrig geblieben. Elizabeth Wiles gab die Sandrina/Violante mit reizender Bühnenpräsenz ausdrucksstark mit silbrig klaren Höhen. Tereza Andrazi gefiel als Arminda mit ihrem kräftigen, auch dramatisch eingesetzen Sopran. Als Serpetta (einer dieser hübschen Namen der italienischen Buffa für das Dienstmädchen), eine weitere Sopranrolle, gefiel Herdís Anna Jónasdóttir mit beweglicher klarer Stimme und ansprechendem Spiel. Beim Sprechen kam sie nicht so deutlich rüber wie ihre Kollegen, dazu waren ihr noch ungarische Worte in den Mund gelegt worden. Judith Braun als Ramiro war die einzige verbliebene seria-Arie zugefallen; ihr klarer kräftiger Mezzo mit schöner Strahlkraft verlieh der Hosenrolle das optimale stimmliche Profil. Mit Algirdas Drevinskas als „Gräflein“ Contino Belfiore von stattlicher Figur stand ein feiner, gut geführter Mozart-Tenor zur Verfügung. Lediglich Rupprecht Braun in der Rolle des Podestà Don Anchise fiel ab, sein wenig fokussierter Tenor wirkte halsig.
Das Opernhaus war recht gut besetzt, wozu offensichtlich auch viel Jugend vom Theater angelockt wurde. Es gab lang anhaltenden Beifall für den (angebrochenen) Abend.
Manfred Langer, 09.10.2014
Die Fotos sind vom Thomas M. Jauk