Salzburg: „Emilie“, Kaija Saariaho

Vorstellung: 10. 6. 2014

Österreichische Erstaufführung einer finnischen Oper

Im Salzburger Landestheater fand im Mai die Österreichische Erstaufführung der Oper EMILIE von Kaija Saariaho statt, deren Erstlingswerk „L’amour de loin“ im Jahr 2000 bei den Salzburger Festspielen zur gefeierten Sensation wurde. Die Uraufführung von Emilie war 2010 mit Karita Mattila, der das Werk gewidmet war, in Lyon. Kaija Saariaho (geb. 1952 in Helsinki) zählt zu den prominentesten finnischen Komponisten und wurde in den letzten Jahren mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. In ihrer Oper „Emilie“ zeichnete die Komponistin ein sensibles Psychogramm einer außergewöhnlichen Frau, der französischen Physikerin, Philosophin und glühenden Anhängerin der frühen Aufklärung Émilie du Châtelet. In der von Männern dominierten Welt schaffte sie es, sich eine international beachtete wissenschaftliche Stellung aufzubauen. Sie verband zeitlebens eine intensive Freundschaft mit Voltaire, mit dem sie auch eine Affäre hatte. Während ihrer Übersetzungstätigkeit von Newtons „Mathematischen Prinzipien der Naturphilosophie“ brachte sie ein Mädchen zur Welt, verstarb aber eine Woche nach der Geburt im Jahr 1749.

Dieses etwa 70 Minuten lange Einpersonenstück, in dem die 43-jährige Émilie einen Brief an ihren Geliebten verfasst, in dem sie über ihre Freundschaft zu Voltaire, über ihre wissenschaftlichen Arbeiten, ihre bevorstehende Geburt ihres Kindes – sie wünscht sich ein Mädchen – und über ihre Todesahnungen schreibt, setzte die Regisseurin Agnessa Nefjodov mit vielen Ideen eindrucksvoll um. Sie ließ Voltaire als Phantom über die Bühne schweben, stellte eine schaukelnde Kinderwiege auf die Bühne und imitierte ein Feuer zu den theoretischen Ausführungen von Émilie über dieses Element. Auch war ihre Personenführung beeindruckend. Die Ausstatterin Eva Musil baute einen Berg aus Brettern, auf dem sich die Darstellerin der Émilie problemlos bewegen konnte.

Die Titelfigur des Musikalischen Monologs in neun Szenen, dessen Libretto der libanesische Schriftsteller und Journalist Amin Maalouf verfasste – er schrieb auch die Texte der beiden früheren Werke von Saariaho –, wurde von der schottischen Mezzosopranistin Allison Cook gespielt, die eine Meisterleistung in mehrfacher Hinsicht bot. Stimmlich und darstellerisch voll überzeugend, musste man auch ihre Gedächtnisleistung bei der Bewältigung des riesigen Textumfangs bewundern. Mit der großen Bandbreite ihrer Stimme gelang es ihr, alle seelischen Empfindungen – von leidenschaftlicher Liebe über Enttäuschungen bis zu ihreTodesahnungen – ausdrucksstark zu gestalten.

Über das musikalische Schaffen der Komponistin findet sich im illustrativ gestalteten Programmheft unter dem Titel „Saariahos starkes Denken“ ein lesenswerter Artikel. Daraus ein Zitat: „Der Kompositionsprozess beginnt bei Kaija Saariaho fast immer mit der präzisen Idee einer Harmonie-Klangfarbe, die die musikalische Grundfarbe der Szene bestimmt, und mit einer globalen Vision der formalen Gestik des gesamten Prozesses der Formentwicklung. Im Fall der Opernszene ist die musikalische Formentwicklung mit der narrativen Handlung bzw. mit der Bedeutung des Textes und mit den Peripetien und Spannungen der Handlung eng verbunden. An die Stelle der thematischen Einheit der klassischen und romantischen Tradition aber treten in der kompositorischen Arbeit von Kaija Saariaho die Eigenschaften des analysierten Klangs; und statt der abstrakten klassischen Formschemata ersinnt die Komponistin immer neue mehr oder weniger dynamische Formenthaltungen der musikalischen Materie, die die Dimension des musikalischen Raums einbeziehen oder erschließen.“

Das Mozarteumorchester Salzburg gab die atmosphärisch ausdrucksstarke Partitur der Komponistin unter der Leitung von Leo Hussain, der seit der Spielzeit 2009/2010 Musikdirektor am Salzburger Landestheater ist, in allen Feinheiten wieder.

Das Publikum im gutbesuchten Salzburger Landestheater feierte am Schluss Allison Cook für ihre großartige Darstellung der Émilie mit minutenlangem Applaus und verdienten Bravorufen. Viel Beifall mit einigen Bravos erhielten auch das Orchester und sein Dirigent.

Udo Pacolt 11.6.14 Merker Online Wien

Bilder: Landestheater / Christina Canaval

P.S.1:

Ein Tipp für Freunde moderner finnischer Musik: Die im Jahr 2000 in Salzburg uraufgeführte Oper L’amour de loin von Kaija Saariaho wird in der kommenden Spielzeit am Musiktheater Linz gebracht – Premiere ist am 28. März 2015.

P.S.2:

Musikbeispiele aus der Lyoner Produktion 2010