Besuchte Vorstellung 19.10.2020
Herrliche Melodien und leidenschaftliche Darbietungen kämpfen gegen die Pandemie an
Niemand konnte ahnen, dass ein fürchterliches Virus, welches sich praktisch über die ganze Welt erstreckt, das Theaterleben für Monate stoppt, die Kultur zum Stillstand kommen lässt und mit eisiger Hand Ängste schürt, die von manchen Politikern, Virologen noch verstärkt werden. Fast könnte man von einer Massenhysterie sprechen, wenn nicht der Virus so überaus gefährlich wäre. Dennoch, zur Panik ist kein Anlass, wenn man sich entsprechend schützt und sich an die veränderte Situation verantwortungsvoll anpasst, dann werden wir auch diese Prüfung bestehen, so wie wir in unserem Leben schon etliche Prüfungen überstanden haben. Man freute sich richtig, dass das Schweinfurter Theater seine Tore wieder, wenn auch nur für einen kleinen Teil des sonst üblichen Publikums, aufgemacht hat und man freut sich umso mehr, dass der unheimlich bemühte und alles machbare schaffende Intendant Christian Federolf-Kreppel seine Künstler, denen er viele Jahre die Treue hielt, auch in der Not nicht im Stich gelassen hat. Die Operettenbühne Wien startet also ihre Tournee „Wiener Blut“ am Nachmittag in Schweinfurt und hat auch eine zusätzliche Vorstellung für den Abend eingeschoben. Die starke Ausbreitung des Virus bedingt, dass man, trotz riesigem Abstand, exzellenter Hygienevorschriften, trotzdem mit Maske (dies begann mit dieser Vorstellung) vor dem Gesicht der Aufführung folgt. Es ist eine starke Einschränkung, aber die Freude, die Künstler wieder live zu erleben, ist wesentlich größer. Es ist schon sehr eigenartig zu erleben, wie klein eigentlich die Lobby der Kultur in Deutschland ist und wie wenige Fürsprecher die Kunst in der Politik zu besitzen scheint. Es ist für mich erschreckend mitzuerleben, wie wenig sich beispielsweise der Kunstminister in Bayern mit den Möglichkeiten der Theater auseinandergesetzt hat und scheinbar auch kaum über die immensen Anstrengungen der Theater zur Einhaltung der Hygiene informiert zu sein scheint. Den bayerischen Ministerpräsidenten und seinen Kultusminister will ich gar nicht erst erwähnen. Von einem Opernhaus, mit mehr als eingehaltenen Hygieneregeln, geht aus meiner Sicht eine relativ geringe Gefahr der Ansteckung aus. Wir Musikliebhaber im klassischen Bereich, reden nicht, sitzen brav auf unseren Plätzen, denn wir wollen der Musik frönen, wollen die Künstler hören und sehen, und sind in keinster Weise vergleichbar mit teilweise ausufernden Ekstasen wie bei manchen Rockkonzerten und wir verstehen einfach nicht, dass man hier eine Sparte, die mit zum Wichtigsten eines Kulturvolkes zählt, so im Regen stehen lässt. Es ist mehr als traurig mitzuerleben, wie ein Häufchen begeisterter Musikliebhabern, einem Ensemble gegenübersitzt, das alles gibt, welches sein Herzblut auf der Bühne verströmt und bei denen man mit jeder Faser mitbekommt, dass sie unendlich glücklich sind, wieder für ihr geliebtes Publikum zu spielen, auch wenn dieses arg dezimiert ist. Das Ende der „stummen Zeit“, welche leider nur kurz dauerte, wird von allen herbeigesehnt.
Gerhard Karzel, Verena te Best, Alexander Helmer
Die Operette „Wiener Blut“ war ein Auftragswerk des damaligen Direktors des Wiener Carl Theaters, Franz Jauner an den damals bereits 73jährigen Johann Strauss. Man entschloss sich für diese Operette diverse Stücke von Strauss zusammenzufügen und mit dem Libretto von Victor Léon und Leo Stein zu verschmelzen. Johann Strauss starb am 3. Juni 1899 und konnte die Uraufführung, die am 25.10.1899 stattfand, nicht mehr miterleben. Neben der unverwüstlichen „Fledermaus“ zählt „Wiener Blut“ zu den Meisteroperetten des großen Meisters und gehört mit zu den beliebtesten Stücken. Der Inhalt ist schnell erzählt und etwas verworren. Gabriele, eine temperamentvolle und lebenslustige Frau, heiratet Balduin Graf Zedlau. Sie zieht sich nach der Hochzeit auf das Schloss ihrer Eltern zurück, weil sie, die lebenslustige Wienerin, ihn, den Prinzgemahl. für zu langweilig, spießig und leidenschaftslos hält, halt ein ausgesprochener trockener Gesandter von Reuß-Schleiz-Greiz. Doch aus dem Langweiler ist ein richtiger Lebemann geworden, der nicht nur seine Geliebte, die Tänzerin Franzi Cagliari, deren Vater von höheren Weihen träumt, in der Villa seiner Frau untergebracht hat, sondern der auch der Pepi, der Freundin seines Kammerdieners, was er aber nicht weiß, nachstellt. Seine Frau Gabriele, die von allem hört, wird eifersüchtig und besucht ihren Schlawiner. Dabei kommt es zu den tollsten Verwechslungen, an denen Fürst Ypsheim-Gindelbach großen Anteil hat. Die Verwirrungen lösen sich natürlich am Schluss alle auf, alles kommt zusammen, was zusammengehört und schuld hat natürlich nur das Wiener Blut.
Steven Fiske, Kerstin Grotrian
Die Regie und die Bühnenfassung des heiteren spritzigen Werkes liegt in den bewährten Händen von Prof. Heinz Hellberg. Und wie immer, wenn er etwas in die Hand nimmt, weiß man, dass hier nichts kaputt modernisiert wird, sondern dass die Operette, wie sie geschrieben wurde, ganz leicht angepasst wird, ohne ihren Zauber und ihr Flair zu verlieren. Leider gibt es – aus verständlichen Gründen – diesmal kein Programm, so dass ich nur sagen kann, dass die Kostüme farbenfroh und stimmig sind, das Bühnenbild einfach, aber allen Gegebenheiten toll angepasst ist und für die „abgespeckten Verhältnisse“ mehr als gut.
Das Kammerorchester der Operettenbühne Wien, welches auf der Bühne hinter der Handlung platziert ist, holt erstaunliches aus den geringen Möglichkeiten heraus. Die musikalische Leitung liegt in den bewährten Händen des in Miskolc in Ungarn geborenen Laszlo Gyüker. Er, der die Musik mit der Muttermilch aufgesogen hat, hat nicht nur sein Rumpforchester fest im Griff, er darf diesmal auch am Klavier zeigen, dass er nicht nur dirigieren kann und alle musikalischen Finessen bis ins Kleinste draufhat. Und er macht dies einfach vorzüglich. Fast merkt man nicht, dass nur ein kleines Kammerorchester und nicht das ordentliche Orchester der Operettenbühne Wien zu Gange ist. Auch den wenigen Orchestermusikern ist die Leidenschaft und die riesengroße Freude anzumerken, vor ihrem Publikum wieder zu zeigen, was Musik bewirken kann. Laszlo Gykür, der ja auch seit einiger Zeit Gastdirigent der Wiener Volksoper ist, stellt ein klingendes Wiener Blut auf die Beine, wie man es selten zu hören bekommt. Dies bei diesen Voraussetzungen ist jeden noch so prasselnden Beifall wert.
Viktor Schilkowsky, Verena te Best
Sein Tour Debüt gibt an diesem Nachmittag als Balduin Graf Zedlau der junge amerikanische Tenor Steven Fiske. Und dies macht er einfach nur vorzüglich. Mit schönem weichem und warmem Tenor weiß er zu beeindrucken. Auch vom darstellerischen bietet er eine mehr als gute Leistung und besitzt bereits jetzt schon eine tolle Bühnenpräsenz. Sein Pianissimo ist exzellent und im Duett mit seiner Gabriele gibt es einen stimmlichen Zusammenklang, wie ich ihn in dieser Schönheit selten erlebt habe. Zart und fein, fast wie hingehaucht, verschmelzen die Stimmen miteinander. Wenn es ihm noch gelingt, seine Stimme insgesamt etwas voluminöser zu gestalten, ist ihm eine sehr große Operettenzukunft vorauszusagen. Ein mehr als gelungenes Debüt. Als seine Frau Gabriele weis die Koloratursopranistin Kerstin Grotrian mehr als zu gefallen. Mit ihrer hervorragenden und herausragenden Ausstrahlung beherrscht sie die Bühne. Ihr gut geführter, natürlicher und frischer Sopran weiß mehr als zu gefallen. Mit stimmlicher Leidenschaft, wobei die darstellerische Leidenschaft nicht dahinter zurücksteckt, setzt sie ein Ausrufezeichen und im Duett mit ihrem Balduin vergisst man beinahe die misslichen Umstände, unter denen hier gespielt werden muss. Es ist immer wieder schön, diese Ausnahmekünstlerin zu erleben. Als Tänzerin Franzi Cagliari sieht und hört man die Sopranistin Verena te Best, welche aus Wels in Oberösterreich stammt. Bezaubernd und liebreizend, quirlig und leidenschaftlich, spitzbübisch und einnehmend mit ihrem glockenreinen silbrigen Sopran, lässt sie natürlich auch die Herzen der (wenigen) anwesenden Männer im Publikum höherschlagen und den Blutdruck bei ihnen etwas ansteigen. Dazu kommt, dass in der letzten Zeit ihre Stimme wesentlich voller, reifer und voluminöser geworden ist. Es macht immer wieder Spaß und bedeutet eine große Freude, sie auf der Bühne zu erleben. Als ihr Vater ist einer meiner Lieblinge der Operettenbühne zu sehen und zu hören, der gebürtige Wiener Prachtbariton Viktor Schilowsky. Seine samtene, warme, raumfüllende, wohlklingende und noble Stimme nimmt immer wieder für ihn ein. Dass er dazu auch ein begnadeter Darsteller ist, braucht man nicht extra zu erwähnen. Als Kagler, dem Vater der Tänzerin Cagliari, ist der in Kärnten in Oberösterreich geborene und in Salzburg aufgewachsene Gerhard Karzel zu erleben. Und wie immer ist er ein komödiantisches Erlebnis. Er hat schon viele humoristische Paradestückchen auf die Bretter, die die Welt bedeuten, gestellt und auch der Kagler ist ein solcher. Leider hat man ihm seine Arie gestrichen, wie auch einige weitere musikalische Stücke in der Aufführung fehlen. Geschuldet ist dies der Tatsache, dass die Aufführung ohne Pause in 90 Minuten beendet werden muss. Jammerschade, aber man freut sich, dass es überhaupt weitergeht.
Susanne Hellberg
Als letztes Pärchen erleben wir dann noch den aus Wien stammenden Alexander Helmer als Josef, den Kammerdiener des Grafen Zedlau. Und was soll ich hier viel sagen. Mit kräftiger, klarer, warmer Stimme, angenehm im Ausdruck und beeindruckend ist der musikalische und darstellerische Tausendsassa auch an diesem Tag wieder zu bewundern. Mit stimmschönem weichen Tenorbariton beherrscht er die Bühne und zeigt, dass der Josef zu einer seiner Spitzenrollen gehört. Und zum guten Schluss Susanne Hellberg als seine Probiermamsell Pepi Pleininger. Es bedeutet schon Eulen nach Athen zu tragen, um dieses Phänomen zu beschreiben. Die Stütze der Operettenbühne Wien brilliert mit klarem, schönem, vollmundigem Sopran, angenehm im Ausdruck und einfach nur voll überzeugend. Dabei ist sie mehr als bühnenbeherrschend, sie ist eine darstellerische Ausnahmeerscheinung, die, so kann man fast glauben, mit den Jahren immer besser wird. Mit Leidenschaft und Humor ist sie, ein Urgestein der Operette, auch heute wieder ein Dreh- und Angelpunkt auf der Operettenbühne. Die 90 Minuten gehen wie im Flug vorbei und nach der Aufführung habe ich noch Gelegenheit mit dem Ensemble einige Worte zu wechseln. Man ist traurig, dass alles nur noch so eingeschränkt möglich ist, man macht sich natürlich auch Sorgen um die berufliche Zukunft, solange der Virus tobt, man ist aber auch unendlich glücklich, endlich wieder vor das Publikum treten zu können und es zu verzaubern. Gerade in der heutigen Zeit ist dies wichtiger denn je. Diese Aufführung und hoffentlich noch viele, die bald wieder folgen werden, ist genau die richtige Medizin für diese kranken Zeiten.
Manfred Drescher, 30.10.2020
Fotos: Claudius Schutte