Premiere 5. März 2022
Die Semperoper erhält eine publikumswirksame Erweiterung des Repertoires.
Zu den Bestrebungen des Vizekönigs der osmanischen Provinz Ägypten Ismail Pascha (1830-1895) gehörte eine Vereinigung der Kunst und Kultur Europas mit dem Land der Pharaonen. Deshalb ließ er zu Beginn seiner Regentschaft noch als Gouverneur das Khedival-Opernhaus als erstes Opernhaus auf afrikanischen Boden bauen. Eröffnet werden sollte der Musentempel am 1. November 1869, also sechzehn Tage vor der Inbetriebnahme des Suez-Kanals. Der Vizekönig wollte dazu eine Repräsentations- und Prunkoper, die Macht und Bedeutung Ägyptens verherrlichte, aufführen lassen. Guiseppe Verdi (1813-1901) sollte die Oper nach einem Szenario des Ägyptologen Auguste Mariette (1821-1881) komponieren. Verdi wollte allerdings keine Gelegenheitskompositionen schaffen, erlag dann trotzdem 1870 der Überzeugungskraft des in Frankreich ausgebildeten „Khedive“ Ismail Pascha und akzeptierte den Vertrag. Allerdings erst, als angedeutet wurde, dass die Aufgabe ansonsten an Herrn Wagner oder Herrn Gounod gehen könnte und als ihm das Honorar in der zu dieser Zeit schwindelerregenden Höhe von 150.000 Goldfranken zugesichert worden war. Da waren der Kanal und das Opernhaus längst eingeweiht.
Im Spannungsfeld der Wünsche des Auftraggebers und Verdis Befindlichkeiten begann er im Juli 1870 mit der Arbeit.
Nach Verdis Anforderungen schrieb Antonio Ghislanzoni (1824-1893) das Libretto. Für den Triumph-Marsch baute Adolphe Sax (1814-1894) spezielle Fanfarentrompeten. Auch fertigten für die Kairoer Uraufführung die Werkstätten der Pariser Oper die Kulissen und Kostüme.
Unterdessen hatte Frankreich Preußen den Krieg erklärt. Die siegreichen Preußen beschlagnahmten in Paris die Ausstattung, so dass die Oper erst am 24. Dezember 1871 in Kairo zum ersten Mal auf die Bühne kommen konnte.
In seiner Oper ließ Verdi im extremen Kontrast monströse Prunkszenen auf intime Innerlichkeit aufschlagen, die den Inszenierungen die Voraussetzungen schaffen, mit einer einfach zu erfassenden Handlung, je nach Gemütslage, ein filmreifes Spektakel oder eine Studie menschlicher Gefühle unter gesellschaftlichen Zwängen zu bieten.
Die großartigen Bühnenbauten und die Kostüme Ezio Toffoluttis der Dresdner Inszenierung von 2022 deuten zunächst auf eine pompöse Variante. Hohe gold-bronzierte Wände bildeten beeindruckende Klangräume. Aber eine überlebensgroße Katharina am rechten Bühnenrand im dritten Akt deutet mit ausgestrecktem Zeigefinger, worum es gehen wird.
Mit ihrer Inszenierung erteilte Katharina Thalbach dem Verherrlichungs-Anliegen des Ismael Pascha eine Abfuhr, versuchte dabei die Autokraten unserer Zeit zu treffen. Und so gestaltete sich die Aufführung der Nationalhymne der Ukraine, nicht nur als Solidaritätsbekundung, zu einer Einheit mit Katharina Thalbachs Verdi-Deutung.
Statt Triumphmarsch–Pomp wurde die Grand Opera zum Kammerspiel eingedampft Die Dreiecksgeschichte erzählte Katharina Thalbach schlicht und geradlinig. Die individuellen Dramen stehen im Mittelpunkt ihrer Inszenierung. Die Figuren und Situationen waren konsequent und sinnlich aus dem Geist der Musik heraus gestaltet.
Aida als Schwächste im Trio erweist sich als die Stärkste des Bühnengeschehens. Trotzdem gehört das besondere Mitgefühl der Regie der verschmähten Amneris.
Die Massenszenen hatte die erfahrene Schauspielregisseurin so gestaltet, wie sie zum Fortgang der Handlung notwendig waren. Erfreulich gut eingebunden erwiesen sich die Choreografien von Christopher Tölle, der die Tänzerinnen und Tänzern fast etwas ironisch agieren ließ.
Die Mitglieder des Sinfoniechores Dresden, des Extrachores der Semperoper und des Sächsischen Staatsopernchore s Dresden erfreuten mit eindrucksvoller Intensität, bemerkenswerter Klangwucht und Profilschärfe in den dramatischen Phasen. Mit diesem hervorragend klug von André Kellinghaus koordinierten Klang-Raum-Erlebnis kam damit auch die Monumentalität in der Thalbach-Arbeit nicht zu kurz.
Mit seinem Dirigat orientierte sich Christian Thielemann am Inszenierungskonzept, zeigte den Schulterschluss des musikdramatischen Anliegens, immer spannungsgeladen, mit der unter die Haut gehenden Intensität der Inszenierung. Mit feinstem orchestralem Gewebe betonte er die intimen Momente und die kammermusikalische Struktur.
Mit den Erkennungsmotiven, die sich wie ein roter Faden durch den Orchesterpart der Sächsischen Staatskapelle ziehen, verband der Dirigent das Ganze geschickt zu einer großen musikalischen Einheit. Damit verhinderte er, dass die Oper zur Aneinanderreihung von beliebigen Gesangs- und Instrumentalstücken ohne erkennbaren Zusammenhang verfällt, auch wenn Zwischenbeifall den musikalischen Fluss gelegentlich gefährdete.
Die Sächsische Staatskapelle erwies sich an diesem Abend für Verdis Orchestrierung, als die höchste Errungenschaft der italienischen Oper, wie gemacht. Die Instrumente wurden zu musikalischen Seelenpartnern für die Liebenden, Eifersüchtigen oder Schmerzgeplagten.
Immer wieder begeisternd, wie Christian Thielemann die Koordinierung zwischen dem Orchester, den Solisten und dem Chor sicherte, vor allem auch Sänger-freundlich agierte und den Solisten viel Raum gab.
Als Aida beeindruckte Krassimira Stoyanova nicht nur mit ihrem wohlklingenden, bezaubernden Sopran, mit dem sie mühelos die vokalen Feinheiten meisterte. Auch die differenzierte Darstellung der rechtlosen Sklavin einerseits und der selbstbewussten liebenden Frau andererseits gelang ihr überzeugend. Beeindruckend, wie Frau Stoyanova die Achterbahn der Gefühle in den Auseinandersetzungen mit ihrem Vater Amonasro und ihrer Konkurrentin Amneris bewältigte.
Stimmliche Ausdruckskräfte mit berührenden Pianissimo bestimmten die Darstellung der Emotionen ihrer Aida. Ihre Gestik, ihre Körpersprache waren immer Spiegel ihrer Interpretation, selbst wenn sie nichts zu singen hatte.
Die Amneris von Oksana Volkova brillierte mit Kraft in den unteren Registern und edler Schönheit in den Höhen ihres technisch einwandfrei geführten, wohltuend kontrollierten Mezzosoprans. Differenziert bot sie mit grandioser Mezzowucht die giftige von Eifersucht geprägte Haltung der rachsüchtigen Frau und die verschmähte Liebende mit dramatischer Ausdruckskraft als voluminöser Mezzosopran.
Dazu spielte sie auch die Dramaturgie ihrer ägyptischen Prinzessin ordentlich aus.
Neben den beiden starken Frauen hatten es die Männer etwas schwerer:
Einen beeindruckenden Radamès kreierte Francesco Meli mit leicht eingedunkelten Tenor. Sehr präsent in der Mittellage, trifft er mit hervorragender Stimmkultur und mit darstellerischen Mitteln die Ausweglosigkeit der Situation des Radamès. Fast unverschuldet gerät er in den bitterernsten „Zickenkrieg“. Mit seinem widersprüchlichen Charakter geht er im Hoffen auf Treue und sinnhafte Bindung, als schmerzlich hoffnungsloser Romantiker, von Ängsten gepeinigt, als verträumter Idealist mit wehenden Fahnen unter. Da nützten ihm weder kriegerischen Erfolge, noch seine Glaubwürdigkeit und Menschlichkeit.
Einen starken König von Äthiopien Amonasro, der trotz Gefangenschaft stolzer Anführer bleibt, konnte der Bariton Quinn Kelsey darbieten. Die Höhepunkte seiner Darstellung fand er im Duett mit Aida und seinem emotionalen Ausbruch im dritten Akt.
Der Priester Ramfis , mit schwarz-markanter Kraft von
Georg Zeppenfeld raumfüllend gesungen und dargestellt, repräsentierte eindrucksvoll die Macht der ägyptischen Priesterschaft.
Wenige Möglichkeiten seinen etwas spröden sonoren Bass zu präsentieren, blieben für Andreas Bauer Kanabas mit der Rolle des Königs von Ägypten. Simon Esper hatte als Bote einen frischen Auftritt.
Als Tempelsängerin bestach Ofeliya Pogesyan vom Jungen Ensemble mit ihrer Aufweitung der Weihe des Radamès zum Feldherrn. Überhaupt gehörte diese Präsentation einer Nebenfigur zu den Glanzpunkten der vielen Regieeinfälle der Inszenierung.
Mit stehenden rhythmischen Ovationen dankte das Premierenpublikum für die brillanten Leistungen und diese populär-schlüssige Deutung der Verdi-Oper, die bereits im Juli 2022 ihren Weg in das Repertoire der Semperoper nehmen wird.
Bilder © Ludwig Olah
Thomw Thuilemann, 6.3.22.