Aus dem Jahre 1983 stammt Christine Mielitz’ atmosphärische Inszenierung von Puccinis La bohème in Dresden und ist noch immer ein Publikumsmagnet, wie die 369. Vorstellung am 13. Januar 2023 bewies.
Das fast ausverkaufte Haus feierte die Interpreten anhaltend, vor allem den chilenisch-amerikanischen Tenor Jonathan Tetelman, der als Rodolfo gastierte. Der Sänger hatte seine Laufbahn als Bariton begonnen und dieser Einstieg ist noch heute in der dunkel getönten Mittellage hörbar. Eine tenore-di-grazia-Süße wird man in seiner Stimme vergeblich suchen und für den Rodolfo ist sie vielleicht im Charakter schon zu heldisch.
Aber sie entfaltet in der Höhe ein heute nahezu unvergleichliches Potential von Volumen und Strahlkraft. So erklang die Arie im 1. Akt vor allem in der exponierten Lage in überwältigender Fülle und auch im Duett mit Mimì ließ sich der Tenor den Spitzenton am Schluss nicht nehmen. Die armenische Sopranistin Hrachuhì Bassénz war ihm als Mimì eine anrührende Partnerin mit aparter, melancholisch umflorter Stimme. Ihre Innigkeit und Zartheit im Ausdruck berührten ungemein, besonders bei „Donde lieta usci“ im 3. Bild und in der ergreifenden Abschiedsszene.
Auch der Marcello von Alexey Markov war ein Trumpf der Besetzung, denn sein prachtvoller Bariton verfügte über einen hinreißend virilen Klang. Das Duett mit Rodolfo im letzten Akt markierte in seinem emphatischen Vortrag einen weiteren vokalen Höhepunkt der Aufführung. Ofeliya Pogosyan war eine Musetta von fraulicher Körperlichkeit mit verhaltenem stimmlichem Beginn. Ihr Sopran konnte sich erst im Walzer profilieren, grelle Spitzentöne allerdings nicht vermeiden. Martin-Jan Nijhof gab Collines Mantel-Lied mit sympathischer Schlichtheit; Ilya Silchuk komplettierte das Künstler-Quartett solide als Schaunard. Die Dirigentin Giedré Slekyté am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden trug mit ihrer inspirierten musikalischen Leitung sehr zum hohen Niveau des Abends bei.
Bernd Hoppe, 17. Januar 2023
„La Bohème“ Giacomo Puccini
Semperoper Dresden
Aufführung am 13. Januar 2023 (Premiere am 23. Oktober 1983)
Inszenierung: Christine Mielitz
Musikalische Leitung: Giedré Slekyté
Sächsische Staatskapelle Dresden