Sinfoniekonzert am 25. Mai 2016
Südamerika zeigt auf kulturellem Gebiet in vielfacher Weise noch immer den Einfluß der „Alten Welt“, nicht durch neuerliche Aneignung wie asiatische Länder, sondern aus ungebrochener Tradition Europäischer Einwanderung. Bei Pianisten zeigen das Namen wie Claudio Arrau oder Bruno Leonardo Gelber. Zu diesen zählt auch der Brasilianer Nelson Freire. Bereits in seiner Heimat wurde er von einem Enkelschüler Liszts unterrichtet, später studierte er in Wien bei Bruno Seidlhofer, der auch Friedrich Gulda und Rudolf Buchbinder unterrichtete.
In Münster spielte er jetzt das zweite Klavierkonzert in B-Dur op. 83 von Johannes Brahms begleitet vom Sinfonieorchester Münster unter der Leitung von GMD Fabrizio Ventura.
Zur eher heiteren Grundstimmung dieses Werks paßte, daß das Sinfonieorchester unter GMD Ventura vorher im Rahmen der Aufführung aller Sinfonien Beethovens dessen zweite in D-Dur op. 36 spielte. Mit passend aber nicht übertrieben raschen Tempi gelang dies begeisternd. Durch die kräftigen Akzente im einleitenden „Adagio molto“ des ersten Satzes wurde bereits gezeigt, wie Beethoven gegenüber früheren Meistern sinfonisches Neuland betrat. Danach konnte man die schneidig aufspielenden Geigen und beim zweiten gesanglichen Thema die Holzbläser bewundern. Für die innige Melodik des folgenden „Larghetto“ zeigte das Orchester das passende Gespür. Der stürmische dritte Satz wird hier zum ersten Mal als „Scherzo“ bezeichnet. Dabei erfreute der witzige Wechsel zwischen Streichern und den auch solistisch eingesetzten Bläsern. Sehr akzentuiert erklangen die Fortissimo-Schläge auf unbetonten Taktteilen. Feurig tönte das Hauptthema mit dem grossen Intervallsprung des letzten Satzes, der dann triumphal im verhältnismässig langen Schlußstück endete.
Wie eine solche Sinfonie hat auch entgegen damaliger Gewohnheit Brahms´zweites Klavierkonzert in B-Dur vier Sätze. Trotz etwa des Beginns des ersten Satzes mit dem Hornmotiv – im Konzert ganz romantisch klingend geblasen – ist es keine Sinfonie mit begleitendem Klavier, aber auch kein Klavierkonzert mit Begleitung des Orchesters. Vielmehr vereint es genial sinfonische Form mit virtuosen Anforderungen an den Pianisten. Diese vermochte ohne kraftmeierische Pose Nelson Freire mit seiner langen Erfahrung souverän zu bewältigen, auch im technisch anspruchsvollen zweiten Teil dieses ersten Satzes mit den langen Oktavenläufen und Staccati teils im punktierten Rhythmus. Bei den wilden Sprüngen in beiden Händen war es unwichtig, wenn hier einmal ein Ton nicht exakt getroffen wurde. Dafür glänzte er mit Arpeggien auch im p glitzernd „leggiero“ gespielt. Im zweiten Satz – eigentlich einem Scherzo, aber„allegro apassionato“ genannt – zeigten er und das Orchester beginnend mit dem feurig aufsteigenden Hauptthema und dem späteren lyrischen Trio die ganze klangliche Raffinesse von Brahms´Klaviersatz und Orchestration. Der dritte Satz „Andante“ beginnt bekanntlich mit einem Cello-Solo, das Brahms später als Melodie des Klavierliedes „Immer leiser wird mein Schlummer“ verwendet hat. Es wurde ganz innig und kantabel gespielt von Shengzhi Guo. Wie das Klavier dieses Motiv aufgriff, dann im Zusammenspiel mit dem Orchester, hier besonders mit Klarinetten und anderen Holzbläsern , kantabel teils pp weiterentwickelte, begleitet dann von glitzernden Tongirlanden des Klaviers, das war der ergreifendste Moment des Abends. Ungarisch empfundene Melodik verwandte Brahms gerne, auch hier im „grazioso“ genannten letzten Satz. Das zeigte gleich das Klavier im tänzerischen exakt punktiert gespielten Hauptthema. Elegisch klang vor der Wiederaufnahme des Themas die Kantilene der Holzbläser. Bei der im immer schnelleren Tempo sich steigernden Schluß-Coda vereinten sich Pianist und Orchester zum strahlenden Finale. Besonders hervorgehoben werden muß die für dieses Konzert überaus wichtige Abstimmung zwischen Pianisten und Orchester, für die GMD Ventura durch umsichtige musikalische Leitung sorgte.
Das Publikum im ausverkauften Haus war begeistert, zeigte dies durch sehr langen Applaus und Bravorufe, nach dem als Dank vom Pianisten als Zugabe gespielten Intermezzo op. 118 Nr. 2 von Brahms auch stehend.
Sigi Brockmann 26. Mai 2016
Foto Arndt Zinkant/WN