Premiere am 11. 3. 2016
Herb-prächtiger Monteverdi!
Marburg bietet ein Kontrastprogramm: Nach der chinesischen Prinzessin Turandot in Puccinischer Üppigkeit steht nun etwa ein Monat später mit der römischen Kurtisane Poppea in Monteverdischer prächtiger Herbheit eine weitere dominierende Frau auf der Bühne – im ewigen Spiel um Liebe und Tod. Streng genommen kommt Amor wohl in jeder Oper vor, doch nicht überall tritt er leibhaftig auf. Allerdings zu Beginn der Operngeschichte beherrscht er das Geschehen: Schon in Jacopo Peris Dafne – der ersten Oper in der Musikgeschichte – beschwört Amor nach einem Streit mit seiner Mutter Venus das traurige Schicksal der Nymphe Dafne herauf und in Monteverdis rund 50 Jahre später entstandener letzter Oper verhindert er den Mord an Poppea, damit die Oper glücklich enden kann. Der erfahrene kroatische Regisseur Krešimir Dolenčić hat in seiner Inszenierung die Figur das Amor aufgewertet – Amor ist praktisch immer auf der Bühne und zieht gemeinsam mit der neu eingeführten stummen Rolle des Todes die Fäden der Handlung. Die szenische Umsetzung des Monteverdischen Meisterwerkes, das am Übergang von der Renaissance zum Barock steht, ist geprägt von den wunderbaren und üppigen Kostümen in klaren Farben (Ana Savić-Gecan) in einer sparsam-praktikablen Ausstattung (Tanja Lacko) und von einer klaren, gestenreichen, aber nie stereotyp-platten Personenführung. Goethe hat von der sinnlich-sittlichen Wirkung der Farbe gesprochen – und das kann man in dieser Inszenierung bildhaft erleben: Amor und die Götterwelt in Weiß, der Tod in Schwarz, die zu Beginn erscheinende Fortuna in geteiltem Scharz-Weiß, Senecas Kostüm wandelt sich vom distanziert-diskret pfirsichfarbenen Kleid des Philosophen in der Todesszene in eine blutrote Toga, die Kaiserin Octavia tritt zunächst in lebensfrohem Orange auf, bevor sie in völligem Schwarz ihren Abschied aus Rom beklagt. Nero ist in Königsblau gewandet, seit dem 13. Jahrhundert die Farbe der französischen Königsmäntel. Und Nero wird das ganze Stück hindurch durch eine goldene Löwenfigur begleitet, um seine Machtstellung zu illustrieren.
Die Titelfigur Poppea erscheint zunächst in Violett – hier wohl nicht die Farbe der Spiritualität, sondern eher als Farbe des Geheimnisvollen, des Zweideutigen, der Dekadenz -, bevor sie am Ende in strahlendem Gold die Hochzeit feiern kann. In diesen klaren Bildern wird durchaus spannendes Theater gemacht – der dreieinhalb Stunden dauernde Abend wurde mir in keinem Moment lang, immer wurde die szenische und musikalische Spannung gehalten – unverständlich, dass einige des – wohl nicht Monteverdi-erfahrenen – Publikums das Theater in der Pause verlassen haben. Aber der Abend hatte auch musikalisch ein erfreulich hohes Niveau. Marburg hatte sich für diese Premiere die Zusammenarbeit mit der Abteilung für Alte Musik der Akademie für Musik der Universität Ljubljana gesichert. Den Kern des Orchesters bildeten junge Leute auf alten Instrumenten, die das Marburger Sinfonieorchester effektvoll und stilsicher ergänzten. Der Dirigent Egon Mihajlovic leitete den Abend vom Cembalo aus mit großen und plastischen Gesten, immer den großen Zusammenhang und Bogen wahrend. Hatte man zu Beginn etwa beim Auftritt von Virtù und Fortuna, die szenisch durchaus effektvoll aus dem Zuschauerraum kamen, noch ein wenig Sorge – da klang manches ein wenig unsicher und verwackelt -, so konsolidierte sich alles recht schnell zu einem lebensvoll-kräftigen Musizieren, bei dem man auch kleinere Pannen und Unebenheiten (etwa in den Trompeten oder in den Nebenrollen bei der großen Hochzeitsszene am Ende) gerne überhörte. Die Hauptpartien waren alle sehr gut bis ausgezeichnet besetzt. Beginnen wir mit den Gastsolisten.
Die junge, aus Apulien stammende Sopranistin Silvia Susan Rosato Franchini war die betrogene Kaiserin Octavia. Ihr Lamento A, a, a, addio Roma im letzten Akt mit seinen abgerissenen, fast atemlos hervor gestoßenen Gesangsfetzen hat in der gesamten Geschichte der Oper wohl kaum seinesgleichen. Und dieses Lamento gestaltete sie außerordentlich berührend mit individuell gefärbtem Sopran und großer Intensität – klug unterstützt durch die Regie, die sie vor diesem verzweifelten Abschied durch den Zuschauerraum wanken ließ. Ottone war der deutsche Countertenor Joachim Stegmann , der seine Szenen mit klarer Artikulation sehr schön präsentierte. Nero war die aus Ljubljana stammende Barbara Jernejčič Fürst , die sich vor allem als Konzertsängerin auf dem Gebiet der alten und neuen Musik einen Namen gemacht hat und die inzwischen Dozentin an der Musikakademie in Ljubljana ist. In ihrer Interpretation ist Nero – in exzellenter Maske – eher ein resignativ-melancholischer Charakter, der durch Poppea getrieben ist. Mit ihrer schlanken, stets technisch sauber geführten Stimme singt sie die Partie makellos. In der Stimmfarbe erinnert sie mich ein wenig an Magdalena Kožená, die ich in dieser Partie vor etwa 10 Jahren im Theater an der Wien erlebt hatte. Barbara Jernejčič Fürst bietet als Nero eine Leistung auf internationalem Niveau. Ein weiterer Gast aus Ljubljana ist der junge Tenor Klemen Torkar, der in der dankbaren Rolle der Amme Arnalta stimmlich und darstellerisch brilliert.
Alle anderen Partien konnte Marburg überzeugend aus dem eigenen Ensemble besetzen. Andreja Zakonjšek Krt ist ein verdientes Ensemblemitglied. Mit der Poppea hat sie eine für sie ideale Rolle gefunden – sie singt die Partie mit klarem und sicherem Sopran sehr schön. Darstellerisch betont sie nicht die elegant-verführerische, sondern die eher etwas gewöhnlich-handfeste Seite dieses ehrgeizigen Kurtisanen-Charakters – eine durchaus plausible Interpretation. Alfonz Kodrič ist als Seneca eine würdige und dominierende Bühnenerscheinung mit machtvollem, ein wenig rauem und undifferenziertem Bass. Dada Kladenik als Octavias Amme ist gebührend drastisch mit saftiger Altstimme und Valentina Cuden ist eine reizende Amor-Figur, die in ihrer Gestik und Körpersprache den Ballett-Darstellern der eingefügten stummen Rollen – Tanja Baronik als Tod und Jure Masten als Löwe – ebenbürtig ist. Der Koloratursopran des Hauses, die Bulgarin Petya Ivanova ist eine absolut rollenadäquate und sehr gute Drusilla. Die Regie hat übrigens die im Libretto vorgegebene Verwechslung Drusilla/ Ottone sehr geschickt und ohne jegliche Peinlichkeit gelöst, obwohl Ottone seine Drusilla beträchtlich überragt!
Die zahlreichen kleinen Rollen erproben sich mit unterschiedlichem Erfolg an der Monteverdischen Klangwelt – aber wie schon eingangs gesagt: alle sind sehr gut studiert und mit herzhaftem Eifer im Einsatz, sodass insgesamt ein überzeugender Monteverdi-Abend entstanden ist, der den reichen Beifall des Publikums vollauf verdient.
Wer Monteverdis letztes Werk in einer szenisch und musikalisch gültigen Interpretation erleben will, der sollte unbedingt eine der weiteren vier Aufführungen besuchen – die Fahrt nach Marburg lohnt sich diesmal unbedingt!
Hermann Becke 12. 3. 2016
Szenenfotos: SNG Maribor, © Tiberiu Marta
Weil man bei Monteverdi unbedingt an den eben verstorbenen Nikolaus Harnoncourt denken muss, dem mit seinen maßstabsetzenden Zürcher Interpretationen gemeinsam mit Jean-Pierre Ponnelle vor 40 Jahren zu verdanken ist, dass Monteverdi wieder auf unseren Spielplänen zu finden ist, hier der Film der Züricher Aufführung der Incoronazione: Akte 1+2 und Akt 3 sowie der Link zu den 5 DVDs